Historische Siedlungsentwicklung Vorgeschichtliche Spuren in der Lorcher Gemarkung stehen in Verbindung mit dem Rheingauer Höhenweg, der als sogenannter (historisch nicht nachgewiesener) Kaufmannsweg Lorch mit den Orten des oberen Rheingaues und über den Reiterweg mit dem Lahngebiet verband. Aus römischer Zeit weisen Funde auf einen militärischen Stützpunkt hin. Für das 4. Jahrhundert n. Chr. wird die Anlage eines römischen Burgus angenommen; Reste werden in den Fundamenten des Kirchturmes vermutet. Aus derselben Zeit stammt ein alemannisches Grab im Stadtgebiet. Der hochgelegene Wehrkirchhof der Pfarrkirche war Bestandteild des ältesten, fränkischen Siedlungskernes. Der Ortsname in verschiedener Schreibweise (1085 Lorecha, 1092 Loricha) soll sich vom keltisch-romanischen Laur(e)acum herleiten und findet seit 1466 die heutige Form Lorch. Die noch in fränkischer Zeit gegründet Pfarrei wird erstmals 1254 erwähnt. Eine romanische Kirche stand an Stelle des heutigen Nordschiffes der Pfarrkirche und war die Mutterkirche für die umliegenden kleineren Siedlungen. 1270 wurde mit dem Bau der gotischen Pfarrkirche begonnen.
Die strategische und wirtschaftliche Bedeutung war Anlass für die Einbeziehung Lorchs in die Herrschaft des Mainzer Erzbistums mit Übernahme des fränkisch-karolingischen Salhofes noch im 10. Jahrhundert. Dieser seit Anfang des 12. Jahrhunderts bezeugte Hof bestand bis 1612, ein Salmeisteramt bis ins 18. Jahrhundert. Lorch wurde als Eckpfeiler des kurmainzischen Territoriums stark befestigt, ergänzt durch das vorgelagerte Lorchhausen und die Burgen Rheinberg, Waldeck und Kammerburg im Wispertal. Damit wurden zahlreiche Burgmannen und Adelige hier ansässig.
In Lorch entwickelte sich die erste Selbstverwaltung des Rheingaues. Ein Schultheiß ist seit 1167 nachgewiesen, das Gemeindesiegel seit 1277. Der Schultheiß war bis 1517 adliger, danach bürgerlicher Herkunft. Seit dem 14. Jahrhundert wurde das Haingericht unter Beteiligung des Adels abgehalten. Das Schöffengericht war mit 14 Schöffen besetzt. Seit dem 14. Jahrhundert tagte ein Rat. Gerichtsversammlungen fanden zunächst auf dem Kirchhof statt, 1235 wird ein Gerichtshaus genannt. Die Schuljunkernschaft war eine nur in Lorch bekannte Verwaltungseinrichtung, in der seit dem 16. bis ins 19. Jahrhundert der am Ort begüterte Adel vertreten war. Sie bestand aus 6 Adligen mit dem Mainzer Domprobst an der Spitze und führte die Aufsicht über bestimmte Bereiche des Gerichtswesens. Ihr Sitz war auf der Schull (Schullen), auch „Rathauß der Edlen, Trynckstuben genannt“. Auch kirchliche Institutionen waren am Ort in hoher Zahl vorhanden; so werden im Jahr 1482 in Lorch 27 Geistliche genannt. Das seit dem 16. Jahrhundert als Flecken bezeichnete Lorch erhielt 1671 eine Jahrmarkt und 1885 Stadtrechte. Die erste urkundliche Erwähnung 1085 nennt bereits Weinberge im Bodenthal. Dort wurden in der Folgezeit auch Weinberge vom gegenübergelegenen Trechtingshausen aus bewirtschaftet. Ein Weinmarkt ist 1274 für Lorch nachgewiesen. Er fand bis 1671 und, nach einer Unterbrechung, bis 1726 statt.
Lorchs wirtschaftliche Bedeutung erwuchs aus seiner Lage als Ausgangspunkt von Handelswegen zu Wasser und zu Land. Solange das Binger Loch bei Rüdesheim nur bedingt schiffbar war, mußten Waren auf kleine Schiffe umgeladen oder zu Land transportiert werden. Neben Schiffahrt, Weinbau und Holzhandel betrieben die Lorcher Bürger ein bedeutendes Tuchmacher- und Färbergewerbe. Im 14. Jahrhundert treten Lorcher Wollweber auf dem Friedberger Markt, im 15. Jahrhundert auf der Frankfurter Messe auf. Man zählte an die 300 Tuchweberfamilien. Sie begründeten den bürgerlichen Wohlstand im Mittelalter und besaßen ein eigenes Zunfthaus. Der Färberwaid, aus dem der blaue Farbstoff für die Webwaren gewonnen wurde, wurde am Weiselberg kultiviert.
1537 wurden Lorcher Weber und Tuchmacher, die sich der Reformation zugewandt hatten, als Wiedertäufer ausgewiesen und wanderten aus in katzenelnbogisches Gebiet aus, um in ihrer neuen Heimat (das sogenannte „Blaue Ländchen“) zum Protestantismus überzutreten. Der dadurch erlittene Verlust an Einwohnern und Wirtschaftskraft wirkte sich äußerst nachteilig aus und konnte auf lange Sicht nicht mehr ausgeglichen werden. Der Dreißigjährige Krieg und die Pest trugen zum Niedergang des Ortes bei. 1525 zählte man in Lorch und Lorchhausen noch 244 Herdstätten, 1569 war mit 1700 Personen wieder ein relativ hoher Bevölkerungsstand erreicht. Im Pestjahr 1666 starb mit 600 Personen etwa die Hälfte der damaligen Bevölkerung von Lorch und Lorchhausen. 1687 waren noch 137 Herdstätten vorhanden, 1718 lebten etwa 980 Personen in beiden Orten. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lag die Einwohnerzahl von Lorch bei 1800. Heute (1999) sind hier 2960 Einwohner mit leicht abnehmender Tendenz zu verzeichnen.
Eine auf die Zeit des frühen Mittelalters zurückgehende soziale Einrichtung, die bis in die Neuzeit überdauerte, waren – wie in anderen Rheingauorten – die Brunnennachbarschaften, die sich zunächst aus einer gemeinschaftlichen Organisation zur Pflege der Brunnen bildeten, dann aber auch Bereiche des gesellschaftlichen und kirchlichen Lebens regelten Im 15. Jahrhundert war in Lorch die größte Judengemeinde des Rheingaues mit 9 Familien ansässig; jüdische Bewohner werden seit dem frühem 13. Jahrhundert erwähnt. Sie hatten bereits im Mittelalter unter Verfolgungen zu leiden. Eine Judengasse wird im 13. und 14. Jahrhundert erwähnt. 1709 existiert keine jüdische Gemeinde mehr in Lorch.
Ortsentwicklung - Ortsbild Die Stadt liegt im Steiltal des Rheines an der Wispermündung. Als zwischen Fluß und Talbergen einzgezwängter, sich im Nebental hinaufziehender Winkelhakensiedlung zeigt sie ein für das Mittelrheintal charakteristisches Bild. Möglicherweise ist eine römische Gründung als militärischer Stützpunkt (burgus) in Lorch anzunehmen jedoch keine römische Wohnsiedlung. Die Reste des sogenannten fränkischen Saalhofes, der vielleicht die Stelle eines römischen Vorgängerbaues einnahm, liegen westlich unterhalb der Kirchenterrasse. Der älteste Siedlungskern, ehemals Platz genannt, soll sich dagegen auf einer höhergelegenen Geländeterrasse oberhalb der Pfarrkirche im Bereich um den heutigen Römerberg finden. Um den platzartigen Wegeschnittpunkt zeichnet sich noch eine verdichtete, haufendorfartige Struktur ab, jedoch sind hier in der aufgehenden Bausubstanz keine historischen Reste mehr erkennbar. Die mittelalterliche Siedlung orientierte sich an den bebaubaren schmalen Ufersäumen von Rhein und Wisper. Hier dehnte sich der Ort schon früh linear entlang der Flußläufe aus. Die überwiegend im 14. Jahrhundert angelegte Befestigung umfasst ein winkelförmiges Gebiet, das weit in das Wispertal reicht und einen noch wesentlich längeren, schmalen Ausläufer rheinaufwärts zeigt. Diese Bebauungsgrenze war wohl für mehrere Jahrhunderte, bis ins 18. Jahrhundert, gültig.
Ortsbefestigung Seit Beginn des 12. Jahrhunderts wird ein castellum in loriche erwähnt, das im Bereich des Saalhofes vermutet wird. Danach scheint ein stufenweiser Ausbau der Ortsbefestigung betrieben worden zu sein. Neben dem Wehrkirchhof (mit Kirchturm) übernahmen zunächst wehrhafte Rittersitze die Sicherung des Ortes und seiner Bewohner. Eine erst kürzlich erfolgte Untersuchung erbrachte als Baudatum des später in die Ortsmauer einbezogenen Steinhauses des Sanecker/Breitbacher Hofes (Rittergasse 3) das Jahr 1290. Als Beispiel für mehrere in der Überlieferung genannte Wohntürme ist nur der Zehnthof erhalten.
„Die Befestigung von Lorch bestand aus starken Mauern, Türmen und Gräben. Besonders stark war die Wispermündung befestigt. Das Turmhaus rechts und der äußerst starke Turm, der sogenannte Strunk links lassen auf die Stärke der übrigen Befestigung schließen. Vom Strunk rheinaufwärts zog sich eine starke Mauer mit Graben bis zum Obertor (Oberdorfer Pforte), dessen Spuren noch erkennbar sind. Von hier aus zog sich die Mauer längs des steilen Kapellenbergs nach der Kellerpforte, von da nach dem Plätzertor, um dann dem linksseitigen Abhang in der Linie zu folgen, die durch den Katzengraben bestimmt wird, bis zu dem Borgetor, später Kuhtor. Von dort führte die Mauer bis zur Schauerpforte, dann weiter bis zum Hexenturm und Weißelberger Tor. Eine kurze Mauer ging bis an den steilen Abhang des Berges, der heute Bozemann genannt wird. Auf der anderen Seite diese Abhangs, auf dem eine Mauer nicht errichtet werden konnte, schloß sich die Mauer mit Graben des Sanecker, später Breitenbacher Rittersitzes an, der außerdem noch einen Wehrturm (Eschbachturm) hatte. Diese Breitenbach’sche Befestigung ging in eine Stadtmauer mit Graben über, die hier am Fuße des Berges am Niederflurer oder Niedertor endigte. Eine rheinseitige Stadtmauer mit tiefem Graben (die heutigen Gärten zwischen der noch sichtbaren Ringmauer und der Bahn), endigte – nur unterbrochen durch das sogenannte Pförtchen an der Wisper – am Turmhaus (Leprosenhaus), das mit dem gegenüberliegenden Strunk und starken Ringmauern bis zur Steinernen Brücke die Wispermündung sperrte.“ (nach Altenkirch, 1926). Dieser Mauerring wurde ergänzt durch die außerhalb gelegenen, zeitweilig auch als Burg bezeichneten Wehr- und Wachttürme Nollig und Fürsteneck. Während der Nollig, um 1300 zunächst als Holzbau errichtet und später mit starken Steinwänden ummantelt, als Ruine erhalten ist, gibt es von Fürsteneck keine Spuren mehr. Es lag auf einem Plateu inmitten der Biegung des Wispertales (Flurbezeichnung Am Kreuz), von wo aus sowohl der Flecken Lorch als auch die Talstraße zu überblicken war. Die Flurbezeichnung Im Weiher zeigt hier eine frühere Aufstauung der Wisper zur weiteren Sicherung dieser Anlage an. Fürsteneck soll unter Erzbischof Heinrich III. durch Cuno von Falkenstein 1348 erbaut worden sein. Die Burgmänner waren meist Lorcher Adlige. Diese „Burg“ wird letztmalig 1354 erwähnt und scheint bereits im 15. Jahrhundert untergegangen zu sein.
1521 konnte die Gemeinde wegen Verschuldung Mauer und Türme nicht erhalten (Inv. 1965), sie verfielen daher und wurden, bis auf wenige Reste, 1816 abgebrochen. Dagegen wurde der Strunk erst wesentlich später als der Mauerring, nämlich 1567 – offensichtlich in Verbindung mit der Wisperbrücke von 1556 - errichtet (erneuert?) und diente damit, neben der Überwachung von Rheinufer und Wispermündung, auch der Sicherung der Brücke (und der Erhebung eines Brückenzolles). Die ihm zugeschriebene Funktion als Gefängnisturm dürfte dagegen zweitrangig gewesen sein. Tatsächlich findet sich seit dem frühen Mittelalter in Lorch eine auffallende Häufung adliger Wohnsitze, Kloster- und Stiftshöfe. Neben der reich ausgestatteten Pfarrkirche gab es zahlreiche Kapellen. Auch eine Wasserleitung der Zeit um 1400 wurde gefunden.
Zahlreiche Brände sind archivalisch dokumentiert: 1621 brannten zahlreiche Häuser in der Rheinstraße und der Schaar einschließlich des Saalhofes ab. 1639 wurden 80, 1640-46 weitere 51 Häuser vernichtet; 1842 brannten 21 Häuser ab. Karten vom Beginn des 19. Jahrhunderts zeigen ein nur geringfügiges Wachstum über die Grenzen der Ortsbefestigung hinaus.
Die jüngere Siedlungsentwicklung führte zunächst zu einer Verdichtung im Inneren mit Bebauung des bis dahin noch freien Wispergrundes. Die weitere Ausdehnung der Bebauung orientierte sich nach drei Seiten an den Tallagen. Parallel zu den alten Wegeführungen beiderseits der Wisper wurde 1856-70 die Landstraße nach Bad Schwalbach ausgebaut. Die einschneidenste Veränderung war die Ausweitung der Verkehrswege am Rheinufer. Der Eisenbahndamm von 1862 und die 1924 ausgebaute Chaussee (Bundesstraße) schnitten die Stadt vom Ufer ab und verdrängten die zwischen Rheinstraße und Leinpfad gelegenen Gärten und Rasenplätze. Nur ein schmaler Rest davon ist zwischen Rheinstraße und Bahndamm erhalten, wird gegenwärtig aber zunehmend durch Garagen und ähnliches besetzt.
Das durch zahlreiche Brände teilweise zerstörte, dennoch bis dahin mittelalterlich geprägte Ortsbild war bis zum Zweiten Weltkrieg weitgehend erhalten. Zahlreiche ins 16. oder 17. Jahrhundert zurückreichende Giebelhäuser reihten sich am Ufer auf. Anhand alter Fotos ist der ursprüngliche Bautypus erkennbar: Über einem hallenartigen oder auch mit einem Zwischengeschoss versehenen, hohen Massiv-Erdgeschoss, das wegen der Hochwassergefahr Wirtschaftsräume, Lager oder Stallungen enthielt, erhob sich das häufig mit einem Erker versehene Fachwerk-Wohngeschoss mit seinem steilen Schieferdach, meist abgeschlossen durch einen kleinen Schirm- oder Firstwalm. 1945 wurden durch Kriegseinwirkungen 26 Häuser, überwiegend an der Rheinstraße, zerstört; der Wiederaufbau orientierte sich an den alten Parzellen, ersetzte jedoch die Giebelhäuser durch eine weitgehend geschlossene Traufenbebauung. Dennoch hat sich hier in den Grundmauern und in einzelnen Bauten noch alte Substanz, wenn auch nicht immer sichtbar, erhalten.
Die flächenintensive Verkehrsanbindung der Stadt mit Bahnunterführung, Verbreiterung der alten Brücke, Abbrüchen von Wohnhäusern und Resten der Stadtmauer machten im Bereich Bleichstraße besonders den rechts der Wisper gelegenen, noch 1965 als „malerisch“ bezeichneten Ortsteil Kirchspiel (Niederbrücker Viertel) weitgehend unkenntlich. In neuerer Zeit entstanden hier einige Neubauten mit Blendfachwerk, ein wenig überzeugender Versuch zur Wiedergewinnung des Ortsbildes. Dagegen blieben im Zentrum links der Wisper die alten Strukturen erhalten, in einigen Bereichen – besonders im Kerngebiet um die Kirche - auch das Straßenbild. Trotz der vorgelagerten Verkehrsflächen bietet die von der Kirche überragte Gesamtansicht des Ortes mit den umgebenden Rebenhängen und der „Burg“ Nollig ein hervorragendes, für eine Weinstadt im Steiltal des Rheines typisches Bild.
(Landesamt für Denkmalpflege Hessen, 2013)
Literatur
Söder, Dagmar / Landesamt für Denkmalpflege Hessen (LfDH) (Hrsg.) (2013)
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Kulturdenkmäler in Hessen: Rheingau-Taunus-Kreis I. (Altkreis Rheingau). Wiesbaden.
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