Eine besondere Siedlungsform am unteren Niederrhein bildet die Heil- und Pflegeanstalt der Provinzialverwaltung der Rheinprovinz. Die Auffassung, „Geisteskranke“ anstatt zu Hause zu versorgen, in Anstalten zu pflegen und zu beschäftigen, führte zur Gründung dieser Anstalt bei Bedburg in einer waldreichen Umgebung (Reichswald). Außerdem sollte für die Versorgung und Beschäftigung der Insassen ausreichend Acker-, Grün- und Gartenland vorhanden sein.
Am 13. März 1907 traf der 47. Provinziallandtag den Baubeschluss für die Anstalt, die für 2.200 Patienten, die damals als „Geisteskranke“ bezeichnet wurden, vorgesehen war. Zwischen 1908 und 1912 wurde die Anstalt fertiggestellt und am 3. Juli 1912 feierlich eingeweiht. Sie umfasst 36 Kranken-, 16 Wirtschafts- und Verwaltungsgebäude, eine Anstaltskirche sowie 38 Wohngebäude auf einer Gesamtfläche von 202 Hektar. Die gesamten Baukosten beliefen 11.000.000 Mark. Die Anstalt verfügte über einen eigenen Eisenbahnanschluss. Hierzu wurde 1911 eigens der sogenannte „Staatsbahnhof“ in Hau gebaut, der am 1. Juli 1911 dem Verkehr übergeben wurde (Jörissen 1990, S. 139-141). Es war seiner Zeit mit einer Gesamtzahl von 2.200 Patienten eines der größten Krankenhäuser/Kliniken in Europa.
Schließlich verfügte die Anstalt noch über drei Gutshöfe und eine Gärtnerei außerhalb des eigentlichen Anstaltgeländes (Jörissen 1990, S. 139-153 und Übersichtsplan auf S. 140). Seit der Gründung des Landschaftsverbandes Rheinland 1953 ist dieser Träger und Rechtsnachfolger der ehemaligen Provinzialverwaltung in Koblenz. Nach ca. 10 Jahren wurde deutlich, dass die Anstalt über zu wenige Unterbringungsmöglichkeiten verfügte. Deswegen wurde 1928 das Isolierungshauses für Patienten mit ansteckenden Krankheiten errichtet.
Die NS-Periode und der Zweite Weltkrieg Nach dem 1933 verabschiedeten „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wurden auch zahlreiche Patienten aus Bedburg-Hau zwangssterilisiert. Belegt ist, dass bis 1936 705 Patienten zwangssterilisiert wurden und für weitere hunderte Patienten die Sterilisation beantragt worden ist. Im Rahmen der Ermordung von behinderten Kranken durch die Nazis 1939 wurden Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Bedburg, insgesamt ca. 2300, in andere Anstalten u.a. nach Hadamar transportiert und dort ermordet. Die ersten 356 Patienten aus Bedburg-Hau sind bereits im September 1939 verlegt worden. Man brauchte nämlich Platz für ein Wehrmachtslazarett. Innerhalb von vier Tagen sind im März 1940 schon 1.600 Menschen aus Bedburg-Hau unter anderem in die Tötungsanstalten Grafeneck in Gomadingen mit der benachbarten Zwischenanstalt Zwiefalten und Brandenburg an der Havel verbracht worden. Man brauchte den Platz für ein Marinelazarett. Zwischen dem 6. Mai 1941 und dem 27. August 1941 wurden 157 Kranke aus Bedburg-Hau in die Anstalt Galkhausen überführt und von dort in die Tötungsanstalt Hadamar, wo sie größtenteils ermordet wurden. Ebenfalls sind Patienten aus Bedburg-Hau in Meseritz-Obrawalde ermordet worden.
Zu den beteiligten Ärzten 1939/1940 zählte Hermann Wesse der auch in Andernach tätig war. Die Beteiligung des Direktors Arthur Trapet an den Morden ging so weit, dass er im Oktober 1944 bei dem Landesmedizinalrat Walter Creutz und bei der NSDAP-Kreisleitung beschwerte, dass es keine Transportmöglichkeiten zur Abbeförderung von 50 Alterspfleglingen gab. In Bedburg-Hau überlebten nur diejenigen Kranken, die dort im Marinelazarett als Hilfspersonal arbeiteten. Im Januar 1945 wurden die letzten Patienten zum Abtransport gemeldet. Nach Kriegsende nutzen die Alliierten das Gelände als Internierungslager.
Nachkriegszeit 1952 übernahm der Landschaftsverband Rheinland (LVR) die Trägerschaft der Klinik. Seit den 1960er Jahren wurden Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt, aber auch neue Häuser wie die Wadtberg- und Förenbachklinik gebaut. Auf dem Klinikgelände befindet sich ein öffentlich zugängliches Museum über die Geschichte der Klinik. Die Namensgebung der Anstalt hat sich sechs mal verändert: 1912 in Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt, 1950 in Landesheilanstalt, 1960 in Rheinisches Landeskrankenhaus, 1978 in Rheinische Landesklinik, 1997 in Rheinische Kliniken Bedburg-Hau und 2008 in LVR-Klinik Bedburg-Hau.
Die Einrichtung verfügt heute über etwa 950 Betten; 260 Betten befinden sich im Klinikgelände und der Rest ist auf Außenwohngruppen, Tageskliniken u.ä. verteilt. Es sind ca. 1700 Mitarbeiter bei der LVR-Klinik Bedburg-Hau beschäftigt. Dazu zählen neben den Krankenpflegerinnen und -pfleger auch die Mitarbeiter der Handwerksbetriebe, kaufmännische Angestellte, LKW-Fahrer, Gärtner usw. Die LVR-Klinik fungiert für diese Berufe auch als Ausbildungsstätte. Das Klinikgelände ist trotz der Anwesenheit von geschlossenen Stationen frei zugänglich. Es umfasst ca. 100 Häusern und hat eine Größe von etwa 80 ha. In der Vergangenheit war die LVR-Klinik selbstversorgend, aber heute nicht mehr. Nur das Kraftwerk ist noch übriggeblieben.
Bis heute ist die Bausubstanz der Anstalt, der heutigen LVR-Klinik Bedburg-Hau, weitgehend erhalten geblieben und als Zeugnis der damaligen Auffassung bezüglich des Umgangs mit psychiatrischen Patienten und den entsprechenden Therapiemethoden zu betrachten.
Hinweis Das Objekt „Landeskrankenhaus Bedburg-Hau“ ist ein eingetragenes Baudenkmal (LVR-ADR Nr. 29784, Denkmalliste Bedburg-Hau, laufende Nr. 29). Die ehemalige Rheinische Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in Bedburg-Hau ist wertgebendes Merkmal des historischen Kulturlandschaftsbereiches Rheinische Landesklinik in Bedburg (Kulturlandschaftsbereich Regionalplan Düsseldorf 035).
(Peter Burggraaff, Universität Koblenz-Landau, 2013)
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