Barackenlager Holbeckshof in Steele

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Fachsicht(en): Kulturlandschaftspflege, Landeskunde
Gemeinde(n): Essen (Nordrhein-Westfalen)
Kreis(e): Essen (Nordrhein-Westfalen)
Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Koordinate WGS84 51° 27′ 4,37″ N: 7° 04′ 9,11″ O 51,45121°N: 7,0692°O
Koordinate UTM 32.365.840,27 m: 5.701.771,70 m
Koordinate Gauss/Krüger 2.574.366,89 m: 5.702.387,56 m
  • Ehemaliges Barackenlager Holbeckshof in Steele, zeitgenössisches Foto (2011)

    Ehemaliges Barackenlager Holbeckshof in Steele, zeitgenössisches Foto (2011)

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  • Barackenlager Holbeckshof in Steele, alliiertes Luftbild von 1945  (2011)

    Barackenlager Holbeckshof in Steele, alliiertes Luftbild von 1945 (2011)

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  • Hinweistafel auf das ehemalige Barackenlager Holbeckshof in Steele (2011)

    Hinweistafel auf das ehemalige Barackenlager Holbeckshof in Steele (2011)

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  • Hinweistafel auf das ehemalige Barackenlager Holbeckshof in Steele (2011)

    Hinweistafel auf das ehemalige Barackenlager Holbeckshof in Steele (2011)

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Das im Frühjahr 1942 auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Deimelsberg eingerichtete Barackenlager war Ausgangs- und Sammelpunkt für die Deportationen von Essener Juden über den Essener Haupt- und Nordbahnhof. Das mit Stacheldraht umzäunte und durch uniformierte SA und Zivilbeamte der Gestapo bewachte Lager konnte von den Insassen tagsüber – etwa zum Einkaufen – verlassen werden.
Jeweils sechs Personen teilten sich einen Raum in den Baracken, die mit Gemeinschaftsküchen und einem Gemeinschaftsraum mit Betsaal und Schulzimmer eingerichtet waren. Die erhaltenen Einwohnerkarten des Barackenlagers enthalten rund 350 Namen. Die meisten Bewohner wurden in Konzentrationslager nach Izbica (bei Lublin, Polen) und Theresienstadt deportiert (Kraus 1999).

An der Ecke der beiden Straßen „Aronweg“ und „Holbecks Hof“ in Essen-Steele befindet sich vor dem Gebäude der Katholischen Pflegehilfe eine vom Steeler Archiv e.V. initiierte Gedenktafel, die an das 1942 von der Gestapo in der Nähe eingerichtete Barackenlager Holbeckshof erinnert.

Der Text der Gedenktafel vor Ort lautet:

„Wenige Meter von hier entfernt, auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Johann Deimelsberg, standen Baracken, in denen die Gestapo für etwa drei Monate im Jahr 1942 die meisten der noch in Essen lebenden Juden konzentrierte. Aus diesem Durchgangslager wurden sie in die Vernichtungslager des Ostens transportiert.

Die Deportation nach Izbica am 22. April 1942
Im Herbst 1941 verschleppten die Nationalsozialisten bei Deportationen aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf die ersten Essener Juden nach Lodz und Minsk. Auf der Wannsee-Konferenz im Januar 1942 fiel die Entscheidung, alle Juden im deutschen Herrschaftsbereich zu vertreiben und zu ermorden. Die Gestapo bereitete für April 1942 einen weiteren Transport “nach Osten„ vor. Bombenangriffe auf Essen in der Nacht vom 12. zum 13. April 1942 veranlassten die Gestapo, viele der so genannten Judenhäuser zu räumen und die jüdischen Bewohner sofort in die leer stehenden Baracken am Holbeckshof einzuweisen. Nach wenigen Tagen wurden sie zusammen mit insgesamt 350 Essener Juden von hier nach Izbica im heutigen Ostpolen mit der Reichsbahn deportiert. In den nächsten Monaten ermordete die SS alle Deportierten.

Wohnhaft Essen-Steele, Barackenlager
Unmittelbar nach dieser Deportation befahl die Gestapo den meisten der noch in Essen lebenden Juden, ihre Wohnungen zu verlassen und die Baracken am Holbeckshof zu beziehen. Die Einwohnerkartei Holbeckshof mit etwa 350 Namen ist erhalten geblieben. Wir wissen deshalb Genaueres über das Schicksal dieser meist älteren Menschen. Am 15. Juni 1942 wurden 65 von ihnen nach Izbica, und am 20. Juli desselben Jahres 191 nach Theresienstadt im heutigen Tschechien transportiert. In der NS-Sprache hiess es offiziell: “Nach Theresienstadt abgewandert.„ Fast alle anderen wurden am 5. August 1942 in eines der übrig gebliebenen Judenhäuser in Essen eingewiesen.
Am 20. Juli 1942 wurden die meisten Bewohner des Barackenlagers mit der Straßenbahn zum Bahnhof Essen-Nord gebracht. Am nächsten Tag begann die schreckliche Fahrt in das Lager Theresienstadt. Dort starben die ehemaligen Bewohner des Lagers Holbeckshof an den katastrophalen Bedingungen oder wurden von dort in ein Vernichtungslager transportiert.
Von der Deportation ausgenommen blieben einige Menschen, die die Gestapo mutmaßlich als weiterhin arbeitsfähig einstufte. Anfang August 1942 hatten sie das Barackenlager zu verlassen, um in eines der noch übrig gebliebenen Judenhäuser in Essen zu ziehen, bevor auch sie im Jahre 1943 nach Auschwitz verschleppt wurden.
Von der Einweisung in die drangvolle Enge des Lagers wurde fast niemand verschont. Im Hausbewohnerverzeichnis tauchen beispielsweise die 89jährige Rosa Aron, der 87jährige Levi Freudenberg genauso auf wie die 6 und 18 Monate alten Kinder Chana Meyer und Gerson Herz. Das Lager war umzäunt und bewacht, doch konnten die Bewohner es tagsüber verlassen. Die Baracken hatten mehrere kleine Räume und einen Flur.
Hanna Aron geb. 1925, konnte fliehen und überlebte bei einer Familie, die sie in Essen-West “versteckte„ In einem späteren Bericht schildert sie das Lagerleben:
“In unserer Familie waren wir zu viert, zwei Kinder und zwei Erwachsene. Wir mussten uns einen Raum mit zwei weiteren Personen, einem Ehepaar, teilen. Sechs Personen in einem Zimmer, drei Betten übereinander an den Seiten. Die Matratzen waren aus Stroh. ... Die Küche befand sich in einer separaten Baracke; dort mussten alle Frauen kochen. Die Baracken waren mit einem Zaun umgeben. Da wir abends Ausgehverbot hatten, blieben wir innerhalb der Baracken. ... Statt zu verzweifeln – oder vielleicht auch gerade, weil wir dabei waren zu verzweifeln – inszenierten wir ein Theaterstück. ... Alle Leute, die in den Baracken wohnten, kamen zu dem Schauspiel. Und weil es ein trauriges Schauspiel war, ließ man den Tränen freien Lauf. Wir inszenierten noch weitere Stücke; wir veranstalteten Singen und am Samstag unseren Gottesdienst. Wir ließen uns nicht unterkriegen.„
Der Aronweg ist nicht nach ihr benannt, sondern nach Toni Aron, geb. Sieger. Toni Aron wurde am 20. Juli 1942 nach Theresienstadt schleppt und kam dort ums Leben.

Ein Abschiedsbrief vor der Deportation nach Theresienstadt
Der 73jährige Leopold Stern schrieb über die letzten Tage vor der Deportation in einem erschütternden Brief aus dem Holbeckshof an seine Kinder, die Deutschland verlassen hatten:
“Heute schreibe ich Euch einen Abschiedsbrief, bleibt alle gesund und behaltet alle ein glückliches Leben ... Ja, liebe Kinder, Ihr habt es gut mit uns vorgehabt, Ihr hattet die beste Absicht, unseren Lebensabend zu verschönern, es ist alles anders gekommen. Mutter hat das bessere Los gezogen, sie ruht jetzt bald 2 ½ Jahre in der Erde und braucht all die Misere nicht mitzumachen. Für mich könnt Ihr, meine lieben Kinder, heute nichts mehr tun, aber es ist gar nicht schlimm. Ich habe mein Leben ausgelebt und habe nichts mehr zu erhoffend Mein Trost ist immer nur der, dass Ihr lieben Kinder immer alle glücklich und zufrieden eine neue Heimat bekommen habt. ... Gestern Abend ist die Liste verlesen worden, Tante Fanny u. ich sind dabei. ... Ich küsse Euch alle auf das Innigste und nehme hiermit Abschied von Euch,
Euer Vater und Opa.„

Wir gedenken der jüdischen Bürgerinnen und Bürger aus Essen, die aus dem Barackenlager Holbeckshof in die Vernichtungslager deportiert wurden.“


(Franz-Josef Knöchel, LVR-Redaktion KulaDig, 2011)

Quelle
Text und Abbildungen der Gedenktafel vor Ort, 2011.

Internet
de.wikipedia.org: Barackenlager Holbeckshof (abgerufen 06.01.2022)

Literatur

Aron, Hanna (1980)
Erinnerungen an das Lager am Holbeckshof. In: Alte Synagoge Essen (Hrsg.): Katalogbuch zur Ausstellung "Stationen jüdischen Lebens", Essen.
Kraus, Stefan (1999)
NS-Unrechtsstätten in Nordrhein-Westfalen. Ein Forschungsbeitrag zum System der Gewaltherrschaft 1933-1945, Lager und Deportationsstätten. (Schriften zur Bodendenkmalpflege in Nordrhein-Westfalen 4.) S. 115, Essen.
Niemann, Ingrid; Hülskemper-Niemann, Ludger / Alte Synagoge Essen (Hrsg.) (1994)
Vom Geleitbrief zum gelben Stern. 450 Jahre jüdisches Leben in Steele. (Studienreihe der Alten Synagoge, 3.) Essen.
Schmidt, Ernst; Zimmermann, Michael (2002)
Essen erinnert. Orte der Stadtgeschichte im 20. Jahrhundert. Essen (3. Auflage).
Stadt Essen (Hrsg.) (1980)
Hausbewohnerverzeichnis des Grundstücks Holbeckshof. In: Stadt Essen (Hrsg.): Schröter, Hermann: Geschichte und Schicksal der Essener Juden: Gedenkbuch für die jüdischen Mitbürger der Stadt Essen, Essen.

Barackenlager Holbeckshof in Steele

Schlagwörter
Straße / Hausnummer
Aronweg 1-7
Ort
45276 Essen - Steele
Fachsicht(en)
Kulturlandschaftspflege, Landeskunde
Erfassungsmaßstab
i.d.R. 1:5.000 (größer als 1:20.000)
Erfassungsmethode
Literaturauswertung, Geländebegehung/-kartierung
Historischer Zeitraum
Beginn 1942, Ende 1942

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„Barackenlager Holbeckshof in Steele”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/O-18547-20111010-4 (Abgerufen: 26. April 2024)
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