Frühe Orte des jüdischen Glaubens in Mutterstadt
Neubau in der Oggersheimer Straße
Wie sah die Synagoge aus?
Schulhaus
Judenbad
Zerstörung der Synagoge in der Reichspogromnacht
Nachfolgegebäude der Synagoge
Virtuelle Ansichten der Synagoge
Stolpersteinschwelle
Internet
Frühe Orte des jüdischen Glaubens in Mutterstadt
Der erste bekannte jüdische Betraum in Mutterstadt befand sich im Dachgeschoß eines um 1725 erbauten Fachwerkhäuschens an der Ecke Obere Kirchstraße/Rheingönheimer Straße (früher Grasweg). Im Erdgeschoß soll eine jüdische Familie gelebt haben. Bereits im Jahr 1825 wird der Raum im Bethaus als ungeeignet und baufällig bezeichnet. Die zwölf Familien mit ihren 83 Angehörigen versammelten sich zum Gottesdienst unter der Leitung des Vorsängers und Religionslehrers Joseph Eppler. 1825 trug man sich wegen der unbefriedigenden räumlichen Situation mit dem Gedanken sich mit den Glaubensgenossen im benachbarten Alsheim zu vereinigen, um dann dort gemeinsam den Gottesdienst abzuhalten. Im März 1831 berichtete der für den Rabbinatsbezirk Frankenthal zuständige Rabbiner Aron Merz in einem Brief an die königliche Regierung des Rheinkreises, dass diese in einem Privathaus untergebrachte Synagoge 1830 wegen Einsturzgefahr geschlossen worden war.
Neubau in der Oggersheimer Straße
1832 befand sich das Anwesen in der Oggersheimer Straße 24 im Eigentum des jüdischen Bürgers Abraham Dellheim . Im Sommer 1832 verkaufte er laut Urkataster der Gemeinde Mutterstadt den hinteren Teil des Hauses für 305 fl. an die jüdische Gemeinde, die dort ihre kleine Betstube mit 36 Quadratmeter Grundfläche und vermutlich einer Frauenempore einrichtete.
Nachdem man 1821 64 Seelen, 1827 dann 89, 1835 aber bereits 101 Gemeindemitglieder zählte, war 1838 ein Synagogenbau dringend notwendig geworden. Den bisher als Synagoge genutzten Hausteil und die daran angrenzende Scheune hatte man im Laufe des Jahres 1838 abgerissen und dort einen Neubau errichtet.
Wie sah die Synagoge aus?
Die Synagoge im romanischen Rundbogenstil auf 78 Quadratmeter Grundfläche errichtet. Das Gebäude hatte drei Fensterachsen und eine Frauenempore an der Westseite, der Eingang befand sich an der südlichen Längsseite. Am Mittwoch, den 14. November 1838, konnte die vergrößerte Synagoge morgens um 9 Uhr feierlich eingeweiht werden. Neben in den Jahren nach 1838 immer wieder auftretenden kleineren Reparaturarbeiten erfolgte 1871 für 1400 Gulden eine umfassende Sanierung im Innen- und Außenbereich. Ausschlaggebend war wohl der Teileinsturz der Frauenempore 1868 gewesen. Nach Plänen des Architekten J. Ad. Rief wurde 1904/1905 die Synagoge, die an der Westseite mit einem auf das Satteldach aufgebrachten achteckigen, befensterten Tambour bekrönt wurde, um rund sieben Meter und zwei Fensterachsen nach vorne bzw. Westen verlängert. Eine Postkarte von 1915 zeigt nunmehr eine für eine Landgemeinde repräsentative Fassade und einen von der Seite nun zur Straße hin verlegten Haupteingang. Die Fassade endete an den Seiten in kuppelbekrönten Türmchen, die Mittelachse wurde von einem geschweiften Aufsatz mit den Gesetzestafeln abgeschlossen. Bei diesem Umbau wurden vermutlich auch die für Synagogenbauten einzigartigen Glasmalereien hergestellt. An sieben Fenstern wurden insgesamt 28 Bildmotive mit Menschendarstellungen angebracht. Der Künstler Michael Kunz hat auf Vermittlung von Herbert W. Metzger und nach den Erinnerungen von Werner Dellheim Rekonstruktionszeichnungen in Aquarellmalerei gefertigt (siehe Abbildungen in der Mediengalerie).
Schulhaus
Einige Jahrzehnte lang gab es in Mutterstadt auch eine eigene jüdische Volksschule, die zunächst im Eckhaus Rheingönheimer Straße/Obere Kirchenstraße, seit den 1870er Jahren in der Jahnstraße 4, dem zum Schulhaus umgenutzten ehemaligen Kantonsgefängnis untergebracht war. Bis 1868 unterrichtete hier Simon Bärmann. Im Jahr 1869, die jüdische Gemeinde zählt 175 Mitglieder, unterrichtete Jakob Ehrlich als Lehrer an der sogenannten „israelitischen Elementarschule“. Er unterrichtete 35 schulpflichtige Kinder.
Judenbad
Zu den Einrichtungen der Gemeinde Mutterstadt gehörte auch eine kleine Mikwe, ein Ritualbad. Eine Art Kellerquellenbad wird vermutlich schon im 18. Jahrhundert existiert haben. Schriftlich erwähnt wird ein solches in Mutterstadt erstmals im August 1829. Es befand sich im Haus der Witwe von Simon Dellheim.
Zerstörung der Synagoge in der Reichspogromnacht
Einhundert Jahre lang war die von den Gemeindemitgliedern unter großen finanziellen Opfern errichtete und unterhaltene Synagoge in der Oggersheimer Straße 24 der Mittelpunkt der jüdischen Gemeinde. Bis zu ihrer Zerstörung durch Nazi-Schergen in der beschönigend „Reichskristallnacht“ genannten Reichspogromnacht in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde in ihr noch Gottesdienst abgehalten. Gegen 5 Uhr am Morgen brachen SA-Leute die Tür auf und setzten das Gotteshaus mittels 100 Liter Benzin, das sie von einer Tankstelle mit Handwagen herbeigeschafft hatten, in Brand. Durch eine gewaltige Explosion aus dem Schlaf geweckt, eilten auch jüdische Mutterstadter zur Synagoge. Die SA-Männer prügelten auf alle herbeigeeilten jüdischen Männer ein. Sie mussten mit ansehen, wie die Synagoge niederbrannte, der Feuerwehr unter ihrem Kommandanten Reichert war verboten worden zu löschen. Wie sich Simon Marx 1959 erinnerte, war ein nichtjüdischer Mutterstadter daran gehindert worden, mit den Kirchenglocken Brandalarm zu läuten. Die Synagoge brannte völlig aus. Neben der Zerstörung der Synagoge drang der Pöbel auch in die 18 Wohnungen und die zwei verbliebenen Geschäfte jüdischer Familien ein und plünderten und verwüsteten diese (siehe dazu auch das Video der Zeitzeugin Irmgard Metzger in der Mediengalerie). Alle Männer zwischen 16 und 60 Jahren wurden am Morgen des 10. November verhaftet und kamen über eine Zwischenstation in den Gefängnissen Frankenthal und Ludwigshafen in das KZ Dachau. Am 22.10.1940 deportierte man 51 Juden aus Mutterstadt in ein Lager nach Gurs in Südwestfrankreich; von diesen überlebte nur knapp die Hälfte. Damit erlosch die jüdische Kultusgemeinde in Mutterstadt. Die Synagogenruine wurde abgerissen, Anfang 1939 erinnerte nichts mehr an sie. Auf dem Gelände wurde später ein Feuerlöschteich angelegt, nicht einmal Fundamente blieben deshalb erhalten.
Nachfolgegebäude der Synagoge
Das zu Unrecht von der politischen Gemeinde sich angeeignete Gelände wurde 1948 an die Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz, die Rechtsnachfolgerin aller untergegangenen Kultusgemeinden der Pfalz war, zurückgegeben. Sie verkaufte das Gelände 1956 an einen einheimischen Landwirt. Im Jahre 2023 wurde auf dem ehemaligen Gelände ein modernes Wohnkomplex mit Eigentums- und Mietwohnungen errichtet.
Virtuelle Ansichten der Synagoge
Durch einen „Kosten-Anschlag“ vom April 1871 und die Handwerkerrechnungen ist es möglich, die Maße und die farbliche Ausgestaltung der im Giebelbereich mit einem großen Hufeisenbogenfenster versehenen Synagoge von 1838 und 1871 zu rekonstruieren. Eine 3D-Computer-Rekonstruktion der Synagoge konnte im Rahmen der Bürgeraktion „Gedenkmaßnahmen für nach Gurs deportierte Mutterstadter“ im Jahre 2005 geschaffen werden (Zugang über verlinkten Screenshot in der Mediengalerie oder über Textlink unter „Internet“).
Stolpersteinschwelle
Am 22. September 2023 setzte Gunter Demnig eine „Stolperschwelle“ an den Standort der ehemaligen Synagoge in der Oggersheimer Straße. Die Messingtafel ist wie die Stolpersteine 10 cm hoch, aber breiter, so dass auf ihr zu lesen ist: „1838 HIER ERBAUT - DIE SYNAGOGE - 9./10. NOVEMBER 1938 - IN BRAND GESTECKT - ZERSTÖRT - DIE BRANDRUINE WURDE ABGERISSEN.“ Die Schwelle stiftete die Gemeinde.
(Zusammengestellt von Michael Ceranski, Historischer Verein der Pfalz e.V. Ortsgruppe Mutterstadt, 2024)
Internet
www.architectura-virtualis.de: Rekonstruktion Synagoge Mutterstadt (abgerufen 13.02.2025)
judeninmutterstadt.org: Die ehemalige Mutterstadter jüdische Gemeinde, die Gurs-Deportation 1940 und Auschwitz (abgerufen 13.02.2025)