Ernst Bohlig: „der stärkste Mann der Welt“
Ernst Bohlig wurde am 22. November 1846 als Sohn des Apothekers Dr. Phil. Franz Joseph Bohlig und Christina Elisabeth Brettinger aus Freinsheim in Mutterstadt geboren. Die Familie wohnte in der Neustadter Straße 22, ein Neubau mit Apotheke im Erdgeschoss. Der Vater galt als sehr sozial, er soll den Armen Medikamente umsonst gegeben haben. Für seine freiheitlich-liberale Einstellung trat er offen ein, in den Revolutionsjahren 1848/49 war er einer der Mutterstadter Wortführer. Außerdem war er zeitweise Mitglied im Gemeinderat, Mitglied der bayrischen Abgeordnetenkammer und des pfälzischen Apothekergremiums sowie Schöffe am Landgericht Zweibrücken. Er starb 1874 und hinterließ noch einen Sohn: Eugen Bohlig (1865-1951). Schon als Schüler erregte Ernst Bohlig mit seiner „unbändigen Körperkraft“ Aufsehen. Er selbst sah sich als Athlet und wollte daher nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten und studieren. Jedoch stand er, genau wie sein Vater, der Monarchie sehr kritisch gegenüber. Und so ging er Anfang der 1870er-Jahre, um wegen „Majestätsbeleidung“ nicht belangt zu werden, in die USA und verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Turnlehrer und mit Schaukämpfen an der Ostküste, in New York und Chicago. Mitte der 1870er-Jahre kam er zurück nach Europa und zeigte in Frankreich, Schweiz und Österreich seine ungewöhnliche Körperkraft und seine Kunststücke. Seine Auftritte als „stärkster Mann der Welt“ machten ihn zu einer europäischen Berühmtheit, seine Vorstellungen waren stets ausverkauft. 1876 heiratete er in Mannheim Maria Schäfer (1857-1938) aus Grünstadt, zehn Jahre später wurde diese Ehe geschieden.
Einer der Höhepunkte seiner Auftritte als stärkster Mann der Welt war mit Sicherheit die Vorführung, verbunden mit einem Vortrag über Leibesübungen, im österreichischen Bad Ischl am 2. Juli 1882 vor der damaligen Kaiserin Elisabeth (Sisi) und dem Hofstaat. Auch Wissenschaftler bekundeten nun ihr Interesse an diesem außergewöhnlichen Mann und eine Untersuchung in Wien ergab, dass Ernst Bohligs Körpermaße sogar die des berühmten „Herkules Farnese“ - Sinnbild der Körperkraft aus der Antike - übertrafen. Am 15. Juni 1886 erlangte er durch königlichen Erlass die Staatsangehörigkeit des Königreichs Bayern zurück und gleichzeitig war er wieder Bürger seines Heimatortes Mutterstadt. Hier hielt er am 11. Juli 1886 im Gasthaus „Jägerlust“, dem früheren Stammlokal seines Vaters, einen Vortrag über die Themen Leibeserziehung und Körperertüchtigung. Daraufhin gründeten sport- und turnbegeisterte Männer noch im gleichen Jahr den Turnverein Mutterstadt, den Vorläuferverein der heutigen Turn- und Sportgemeinde Mutterstadt (TSG). Doch blieb Bohlig nicht in Mutterstadt, sondern folgte einer Berufung als kaiserlicher Rechnungsrat in das Gesundheitsamt Berlin, wo er im Bereich „Entwicklung der Leibesübungen für Schule und Militär“ tätig war. In Berlin heiratete Ernst Bohlig im Jahr 1896 Marie Helene Auguste Kemnitz (1854-1945). Sie blieb bei ihm bis zu seinem Tod. Nach seiner Pensionierung 1912 zog er sich mit ihr zurück in die Kurpfalz nach Heidelberg und starb hier am 24. Oktober 1918: „[…] und trauernd steht die deutsche Turnerschaft an der Bahre eines ihrer größten Vorkämpfer.“ (Heidelberger Tageblatt vom 25.10.1918)
AC Mutterstadt
Im Zuge der allgemeinen Sportbegeisterung und mit Sicherheit auch unter Einfluss von Ernst Bohligs Auftritten und Vorträgen wurde im Jahr 1892 der „Freie Athleten-Club Mutterstadt“ gegründet, der sich später mit dem „Bürgerlichen“ zum „Vereinigten freien Athletenclub“ zusammenschloss. Bereits im Jahre 1900 startete Lurichs vom AC Mutterstadt in Rotterdam und schaffte im Schwergewicht 165 Kilogramm im beidarmigen Stoßen und 1901 in Prag im einarmigen Stoßen 121 Kilogramm. Schon damals war der AC international auf der Sportbühne vertreten. In den zwanziger Jahren war Ludwig Reimer mit über 70 Siegen der erfolgreichste pfälzische Mittelgewichtler seiner Zeit. Er war sogar Teilnehmer an der „Internationalen Arbeiterolympiade“ 1925 in Frankfurt am Main und erkämpfte sich einen 4. Rang im Dreikampf.
Im Jahre 1933 wurde der „Vereinigte Freie Athleten-Club 1892 Mutterstadt“ verboten. Der Verein hatte bereits damals schon ein eigenes Vereinsheim, welches abgerissen wurde, und 600 Mitglieder. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Verbotsaufhebung durch die französische Militärregierung formierte sich der „Allgemeine Sportverein“, dem sich auch die Schwerathleten anschlossen. 1951 wurde er in „Turn- und Sportgemeinde 1886 e.V. Mutterstadt“ umbenannt. Am Wiederaufbau der Schwerathletik waren Ludwig Reimer, Emil Krick und der damalige Vorsitzende der TSG, Wilhelm Spoor, entscheidend beteiligt. Im Dezember 1953 konnte sich wieder eine komplette Mannschaft am Sportgeschehen beteiligen. Im Jahre 1957 gelang es, die erste „Deutsche Mannschaftsmeisterschaft“ nach Mutterstadt zu holen und in den folgenden Jahren diesen Titel 11 Mal erfolgreich zu verteidigen. Im Jahre 1969 lösten sich die Gewichtheber von der TSG, machten sich selbstständig und gründeten wieder den „Athleten-Club 1892 e.V. Mutterstadt“. Nach anfänglichen Schwierigkeiten ist der AC schließlich ein fester Begriff im bundesdeutschen und internationalen Gewichthebersport geworden. Weltmeister, Vizeweltmeister, über 100 Deutsche Meister, eine Vielzahl von Regionaltiteln in allen Klassen beweisen die kontinuierliche Aufbauarbeit. Von 1960 bis 1972 wurden sieben Olympiateilnehmer gestellt. Nach 69 Mitgliedern noch in 1969 wurde vor einigen Jahren mit dem Freizeitkraftsport und der Gymnastikgruppe nicht nur Spitzensport betrieben, sondern auch begonnen, den Breitensport zu fördern.
Im Jahre 1988, also genau 55 Jahre nach dem 1933 das erste Vereinsheim enteignet und abgerissen wurde, konnte der AC durch die Übernahme der kreiseigenen Konditionshalle und deren Umbau mit einem Volumen von über 1 Mio. DM ein besonderes Sportzentrum erschaffen. Somit wurde in Mutterstadt ein Ort für den Freizeit- und Spitzensport geschaffen, der nebeneinander ausgeübt werden kann.
(Zusammengestellt von Christina Wolf, Historischer Verein der Pfalz e.V. Ortsgruppe Mutterstadt, 2024)
Internet
www.wochenblatt-reporter.de: Enthüllung des neuen Zusatzschildes der Familie Bohlig, Artikel im Wochenblatt-Reporter vom 10.05.2019 (abgerufen 11.12.2024)
www.tsg-mutterstadt.de: Chronik der TSG Mutterstadt (abgerufen 11.12.2024)
www.ac-mutterstadt.de: Athleten-Club Mutterstadt - Über uns (abgerufen 06.01.2025)