Altgrabungen entdecken die Straßensiedlung vicus Belgica
Ausgrabungen in den 1870er-Jahren unter der Leitung von E. aus’m Weerth legten circa 3,5 Hektar einer römischen Siedlung frei. Da keine detaillierte Grabungsdokumentation vorliegt, lässt sich die Größe der Grabungsfläche nur anhand des historischen Gesamtplans erschließen. Auf einer Länge von 350 Metern konnte eine circa 13 Meter breite, Südwest–Nordost ausgerichtete Hauptstraße festgestellt werden, die aus Richtung Nettersheim-Marmagen nach Wesseling an den Rhein führt. Unweit des beobachteten Anfangs dieser Trasse im Südwesten zweigt eine weitere, annähernd West–Ost orientierte, nur acht Meter breite Nebenstraße ab. Im Siedlungsbereich wurde die Hauptstraße auf einer Länge von 75 Metern nachgewiesen. Der Straßenkörper bestand aus einem 21 Zentimeter starken Unterbau aus Sand und Kies, darüber befand sich der Straßenbelag in Form einer zehn Zentimeter mächtigen Steinpflasterung. An dieser Hauptverkehrsader lagen lang-rechteckige, meist giebelständige Gebäude, die wegen ihrer Form als „Streifenhäuser“ bezeichnet werden. Meist handelt es sich um einstöckige Fachwerkbauten, die auf einem nur circa 30 Zentimeter tiefen Steinfundament errichtet waren. An der Front der Häuser lagen kleine Vorräume, die als Verkaufsläden gedient haben. Die Siedlung war zudem mit einer Abwasserentsorgung versehen. Die Wasserversorgung erfolgte trotz der Nähe zur Eifelwasserleitung über Brunnen, die meist im rückwärtigen Bereich der Parzellen gelegen waren.
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Unsichtbares sichtbar machen – moderne Methoden der Archäologie
Um die tatsächliche Ausdehnung des vicus Belgica festzustellen, führten Mitarbeitende des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege im Rheinland von 1973 bis 2005 mehrfach Begehungen durch. Vor allem bei den jüngeren Untersuchungen wurde die Ausdehnung der Fundstreuungen kartiert. Es stellte sich heraus, dass die Fläche des vicus wesentlich größer als der gegrabene Bereich gewesen ist. Um darüber hinaus Informationen zur Struktur der Straßensiedlung und der römischen Straßen zu erhalten, wurden weitere zerstörungsfreie Prospektionsmethoden angewandt. Auf heutigen Ackerflächen sind archäologische Befunde meist völlig eingeebnet und nicht mehr obertägig zu erkennen. Hier ermöglichen geophysikalische Untersuchungen und die Auswertung von Luftbildern, den genauen Verlauf einer Straßentrasse sowie die Lage von Gebäuden und Einrichtungen zu ermitteln. In Luftbildern machen sich archäologische Relikte im Untergrund durch unterschiedliche Bewuchshöhen oder Reifegrade der angebauten Frucht oder als Trocken- beziehungsweise Feuchtmerkmale des Bodens bemerkbar.
Zu heute regelhaft in der rheinischen Archäologie angewendeten geophysikalischen Methoden zählen die Magnetometerprospektion und das Bodenradar. Das Messprinzip der Magnetik basiert auf örtlichen Abweichungen in der Magnetisierung des Bodens. Nahezu überall im Boden gibt es magnetische Partikel und Minerale. Durch Veränderungen im Boden wie zum Beispiel Verlagerung oder Hitzeeinwirkung kann die Ausrichtung und Magnetisierung dieser Partikel beeinflusst werden. Es bildet sich ein lokales Magnetfeld aus, welches von dem der Erde abweicht. So können auch menschliche Eingriffe wie Gruben, Gräben oder Mauern zu einer Veränderung des lokalen Magnetfelds führen, welche mit einem Magnetometer als sogenannte Anomalien messbar sind.
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Beim Bodenradar schickt ein Sender elektromagnetische Wellen in den Boden. Elektrische Eigenschaften des Bodens haben Einfluss darauf, wie weit die Wellen in den Boden eindringen und wann sie wie stark reflektiert werden, um vom Empfänger des Messgeräts registriert zu werden. Aus der Laufzeit der Wellen lässt sich die Tiefe der Objekte oder Bodenschichten ermitteln, an denen die Welle reflektiert wurde. Mit dem Bodenradar sind folglich dreidimensionale Einblicke in den Untergrund möglich, ohne auszugraben und das Bodendenkmal damit zu zerstören.
Durch die in den letzten Jahrzehnten erfolgten Untersuchungen im Bereich des vicus Belgica wurden neue Erkenntnisse zu dieser römischen Siedlung des 1. bis 5. Jahrhunderts nach Christus gewonnen. Der vicus Belgica dehnte sich in Südwest–Nordost-Richtung über eine Länge von ca. 1200 Metern aus. Die Bebauung links und rechts der Straße mit den dazugehörigen Gartenflächen erstreckte sich aller Wahrscheinlichkeit nach über 250 Meter. Die Häuser konnten bis zu 50 Meter lang sein. Auch der Verlauf der Straße von Marmagen nach Wesseling ließ sich in den letzten zehn Jahren sowohl über Luftbildaufnahmen als auch Magnetometerprospektionen in südliche als auch nördliche Richtung bestätigen und weiterverfolgen. Wie bedeutend der vicus Belgica in römischer Zeit war, zeigt allein die Tatsache, dass er in einer antiken Reisebeschreibung genannt ist. Der Reisende wusste also, dass er auf dem Weg von Trier an den Rhein als vorletzte Station in Belgica vorbeikam und dort auch rasten konnte. Dass er sich dabei in einer Siedlung entsprechender Größe mit der notwendigen Infrastruktur aufhielt, belegen die Ergebnisse der Ausgrabungen des 19. Jahrhunderts. Von besonderer Bedeutung ist, dass dieser kleine zentrale Ort, der als lokales Zentrum für die umliegenden ländlichen Siedlungen fungiert hat, in Gänze erhalten und im Laufe der Jahrhunderte nicht überbaut worden ist.
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Spätrömische Befestigungsanlagen zum Schutz der Siedlung
Mit dem Magnetogramm konnte nicht nur ein Teil der Bebauung der Altgrabung sichtbar gemacht und ergänzt werden, sondern auch überraschenderweise eine spätrömische Befestigung, die zunächst aus einem 800 Quadratmeter großen burgus (vgl. zum Begriff wnk-viewer.lvr.de) mit dreifacher Grabenumwehrung (40 mal 40 Meter) und später einem 80 mal 80 Meter großen befestigten Straßenposten (Militärkastell) an der Straße in Richtung Bonn bestand. Die ehemalige Bebauung an dieser Stelle war zu diesem Zeitpunkt bereits aufgegeben worden. Die beiden Befestigungsanlagen legen beredt Zeugnis der Schutzbedürftigkeit der Bewohner in Unruhezeiten ab, die in Verbindung mit den Germaneneinfällen ab dem 3. Jahrhundert nach Christus gebracht werden.
(LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland, 2024)
Hinweis
Der vicus Belgica war Station der Archäologietour Nordeifel 2024.
Internet
wnk-viewer.lvr.de: Wortnetz Kultur, polyhierarchischer Sachthesaurus des LVR, burgus (abgerufen 11.10.2024)
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