1870 beschloss der Hildener Stadtrat die Einrichtung einer höheren Knabenschule. Schulleiter, Lehrpersonal und 40 bis 50 Schüler waren zuerst auf gemietete Räume angewiesen, bevor sie fünf Jahre später einen Neubau an der Heiligenstraße beziehen konnten (dieses Gebäude wurde 2015 abgerissen). 1896 musste der staatliche Schulbetrieb vorläufig eingestellt werden, da es zu wenig Neuanmeldungen gab. Schulleiter Carl Gottlieb Schneider ging in Pension.
Bereits während seiner Tätigkeit als Rektor verfolgte Schneider den Plan zu einer eigenen, privat geführten Schule mit Pensionat, die auch auswärtige höhere Schüler anziehen sollte. 1865 begannen die Bauarbeiten an der Kolpingstraße (damals noch Gasstraße). Der Schulbetrieb in dem nüchternen Backsteinbau begann 1875. Nach Gottlieb Schneiders Tod im Jahr 1898 leitete seine Witwe Anna (um 1852-1932) Schule und Pensionat noch vier Jahre weiter. Sie stellte Rektoren und weitere Lehrkräfte ein; die Schülerzahl war auf 100 angestiegen. 1902 verkaufte Anna Schneider das Gebäude an Heinrich Friedrich Röttger (1874-1962), der als Lehrer an ihrer Schule angestellt war.
Röttger ließ das bis dahin schmucklose Schulgebäude prächtig renovieren: Es erhielt ein säulengestütztes, reich verziertes Eingangsportal, pilasterähnliche Vorbauten mit Kapitellen und bekrönte Fenster. Die Innenausstattung mit Stuckdecken, Holzschnitzarbeiten und Glasmalerei stand dem repräsentativen Anspruch der Fassade in nichts nach. Die zum Garten weisende Rückseite zeigt hingegen noch die schmucklose Nüchternheit des ursprünglichen Baus von 1865.
Auch die Technik war auf dem neuesten Stand: Die Schule verfügte über moderne Physiklabore und ab 1908 eine eigene Sternwarte in einem etwa drei Meter Durchmesser aufweisenden Türmchen auf dem Dach des Ostflügels (vgl. auch nachfolgend). Die Schiebeblende vor dem Teleskop-Auslass ist an dem Dachtürmchen heute noch zu erkennen.
Der Unterricht war von elitärem Anspruch. Individuelle Betreuung der Schüler und eine Evaluation der schulischen Leistungen alle sechs Wochen (mit Weitergabe an die Eltern) gehörten zum pädagogischen Konzept. So erwarb sich die Schule einen guten Ruf, der sich in der sozialen Herkunft ihrer Schüler widerspiegelte. Zu ihr kamen Kinder reicher Industrieller, Akademiker*innen oder Botschaftsangehöriger aus dem europäischen Ausland. Das Pensionat für die bis zu 100 Jungen wurde von Röttgers Frau Clara (1875-1927) geführt. Sie übernahm auch die Schulleitung zur Zeit des Ersten Weltkriegs, während ihr Mann zum Kriegsdienst eingezogen war.
Die schwierige Nachkriegszeit konnte gut überstanden werden, denn mit der Rückkehr ausländischer Schüler kam auch deren Währung in die Kasse, was vor allem zur Zeit der Hyperinflation von 1923 von unschätzbarem Wert war.
Erst die Nationalsozialisten setzten dem Schulbetrieb ein Ende. Eine Anordnung von 1937 verbot die Aufnahme neuer Schüler. Die Klassen mussten verkleinert werden und der letzte Jahrgang machte 1942 seinen Abschluss. Danach wurde die Schule geschlossen und diente bis 1945 als Rettungsstelle des Roten Kreuzes. Nach Kriegsende beschlagnahmte die britische Besatzungsmacht das Gebäude und nutzte es als Quartier für Ausgebombte und Geflüchtete.
Im Jahr 1947 wurde das Gebäude von Friedrich Röttger und seinem Sohn Helmut (1903-1984) zu einem reinen Schülerpensionat umgebaut, dessen Leitung Helmut Röttger übernahm. Das „Knabenpensionat Röttger“ wurde bis zu seiner Schließung 1978 als Familienbetrieb geführt.
Verschiedene Träger versuchten Schulneugründungen als Internat und Privatschule. Diese Projekte endeten nach wenigen Jahren. Ab 1989 fand die frühere Rektoratsschule als Übergangswohnheim für Aussiedelnde und Asylbewerbende Verwendung.
Um die Jahrtausendwende war der Bau stark abgewohnt und renovierungsbedürftig. Schließlich investierte der Hildener Architekt Klaus Röttger (ein Enkel des Schulgründers Heinrich Friedrich Röttger) erhebliche Geldmittel in eine aufwendige, substanzerhaltende Restaurierung. Seit 2002 kann man das Gebäude wieder in seiner ursprünglichen Pracht bewundern.
Heute befinden sich dort eine Praxis für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, ein neuropsychologischer Fachdienst und ein Kosmetikinstitut. Nebenan haben ein Architekturbüro und eine Anwaltskanzlei ihre Räume.
Sternwarte
Der begeisterte Astronom Friedrich Röttger ließ 1920 eine zweite Sternwarte im Garten errichten, da die Anlage auf dem Dach nicht völlig erschütterungsfrei arbeitete - in einem Gebäude, das von 80 bis 100 Menschen bewohnt wird, lassen sich Erschütterungen nicht ganz ausschalten. Die sechs Meter hohe Konstruktion der Gartensternwarte war eines der größten Observatorien in Privatbesitz, mit einem Spiegelteleskop von 307 Zentimetern Brennweite und einem Öffnungsdurchmesser von 19 Zentimetern. Alleine das Fernrohr der Dresdener Firma Gustav Heyde kostete stolze 21.000 Reichsmark.
Ein späteres, noch leistungsfähigeres Spiegelteleskop mit 180 Zentimetern Brennweite und einem Öffnungsdurchmesser von 21 Zentimetern wurde zu großen Teilen von Rektor Friedrich Röttger selbst gebaut; unter anderem wurden die Linsen für das Teleskop von Röttger und Mitarbeitenden in mühsamer Handarbeit selbst geschliffen.
2022 wurde die Sternwarte demontiert und ins LVR-Freilichtmuseum Kommern transportiert, wo sie einen dauerhaften Platz finden und dem Publikum präsentiert werden soll. Derzeit befindet sich die Sternwarte in einer zeitintensiven Restaurierung, insbesondere die präzise geschliffenen Gläser bedürfen einer aufwendigen Instandsetzung. Zukünftig soll der unter Hinzuziehung astronomischer Expertise gewählte Standort auf dem Museumsgelände den Besucher*innen einen Blick in den Sternenhimmel der Eifel ermöglichen und die Hildener Sternwarte wieder im Einsatz sein.
Baudenkmal
Die ehemalige Rektoratsschule an der Kolpingstraße wurde am 17. Oktober 1985 mit der Nummer 22 in die Liste der Hildener Baudenkmäler aufgenommen.
(Barbara A. Lenartowicz-Senguel und Rainer Hotz, im Auftrag des Kulturamts der Stadt Hilden, 2024)
Quellen
- „Ein Leben im Dienst an der Jugend, Rektor Röttger seit 50 Jahren in höherer Privat-Knabenschule“, in: Hildener Zeitung vom 5. Mai 1950, Nr. 104.
- Friedrich Röttger: Die Hildener Privat-Sternwarte, in: Hildener Heimatblätter, Jahrgang 1952, S. 83-86.
Internet
de.wikipedia.org: Rektoratsschule Hilden (abgerufen 19.07.2024)
de.wikipedia.org: Liste der Baudenkmäler in Hilden (abgerufen 16.07.2024)
www.ksta.de: Bis Sommer 2024 aufgebaut - Sternwarte kommt ins Freilichtmuseum nach Kommern (Text Thorsten Wirtz, Kölner Stadtanzeiger vom 03.11.2022, abgerufen 16.07.2024)
kommern.lvr.de: LVR-Freilichtmuseum Kommern, Rheinisches Landesmuseum für Volkskunde (abgerufen 20.07.2024)
rp-online.de: Von Hilden nach Kommern - Hildener Sternwarte zieht ins Freilichtmuseum (Text Tobias Dupke, RP-Online vom 28.10.2022, abgerufen 20.07.2024)