Universitätsgebäude der pädagogischen Fakultät

„Klein-Tschernobyl“

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Fachsicht(en): Kulturlandschaftspflege, Landeskunde
Gemeinde(n): Bonn
Kreis(e): Bonn
Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Koordinate WGS84 50° 45′ 8,45″ N: 7° 05′ 47,38″ O 50,75235°N: 7,09649°O
Koordinate UTM 32.365.726,91 m: 5.624.013,01 m
Koordinate Gauss/Krüger 2.577.423,05 m: 5.624.669,97 m
  • Das unter anderem als Universitätsgebäude der pädagogischen Fakultät genutzte Hochhaus in Bonn-Castell (2020), Ansicht von Westen her.

    Das unter anderem als Universitätsgebäude der pädagogischen Fakultät genutzte Hochhaus in Bonn-Castell (2020), Ansicht von Westen her.

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    Knöchel, Franz-Josef / LVR CC-BY 4.0
    Fotograf/Urheber:
    Franz-Josef Knöchel
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In dem markanten und weithin sichtbaren Baukomplex mit einem zentralen zwölfstöckigen Hochhaus waren früher einmal unter anderem die pädagogische Fakultät und die Informatik-Abteilung der Universität Bonn untergebracht. Wegen der Entdeckung von Schadstoffen in der Rauminnenluft wurde das Gebäude im Jahr 2010 geräumt und abgesperrt. Die hier befindlichen universitären Einrichtungen wurden in Ausweichquartiere umgesiedelt. Der Bau steht seitdem leer und wartet auf seinen Abriss.

Baugeschichte, PCB-Schadstoffbelastung
Maßnahmen, Sanierungs- und Rettungsversuche
Ausblick & „lost place“
Internet, Literatur

Baugeschichte, PCB-Schadstoffbelastung
Erbaut wurde der mehrere miteinander verbundene Einzelbauten umfassende Komplex Anfang der 1970er-Jahre als Teil der damaligen Pädagogischen Hochschule Rheinland, Abteilung Bonn. Das Luftbild aus dem Jahr 1967 zeigt das Areal südlich der in diesem Jahr eröffneten Friedrich-Ebert-Brücke noch nicht, 1972 ist der Bau dann bereits gut zu erkennen (stadtplan.bonn.de).

Heutiger Eigentümer des Gebäudekomplexes ist der 2001 gegründete Bau- und Liegenschaftsbetrieb Nordrhein-Westfalen (BLB NRW), der landeseigene Immobilien und Liegenschaften verwaltet und bewirtschaftet.
In dem Hochhaus befindet sich unter anderem ein großer Audimax-Hörsaal. Die zu dem Universitätsgebäude gehörende Bibliothek, das Sportinstitut und die einstige Mensa sind bereits zwischen 2021 und 2022 abgerissen worden. Anstelle der einst in Richtung Rhein liegenden, inzwischen ebenfalls abgerissenen Tiefgarage befindet sich heute eine große Brachfläche. Genutzt werden mittlerweile nur noch einzelne Nebengebäude und einige Sportanlagen im Bereich der schadstoffbelasteten Gebäude.

Wie seinerzeit üblich, wurden beim Bau auch Produkte verwendet, die Polychlorierte Biphenyle (PCB) enthalten. Zur Zeit der Entstehung des Hochhauses wurden diese organischen Chlorverbindungen unter anderem für Anstriche und Fugenmassen verwendet. PCB-Stoffe sind giftig und gelten als krebsauslösend, sie können vom menschlichen Organismus über die Luft und die Haut aufgenommen werden und das Nerven- und Immunsystem sowie die Leber und die Schilddrüse schädigen.
PCB sind in Deutschland seit 1978 in offenen Systemen und seit 1989 generell verboten, ein weltweites Verbot gilt seit Mai 2001.
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Maßnahmen, Sanierungs- und Rettungsversuche
Seit dem Zeitpunkt der Feststellung der Schadstoffbelastung wurde diese kontinuierlich überwacht und Maßnahmen ergriffen, um die PCB-Konzentration in der Raumluft zu senken. Aufwendige Luftwäscheanlagen konnten die Konzentration der PCB-Stoffe zwar senken, doch blieb diese in den Oberflächen und der Bausubstanz zu hoch, um das Gebäude unbedenklich weiter nutzen zu können.
„Wie hoch die PCB-Konzentration in der Raumluft im Jahr 2004 war, als die Belastung festgestellt wurde, ließ der BLB unbeantwortet. Ebenso die Frage, auf welchen Wert die Reinigungsmaßnahmen die Schadstoff-Konzentration gesenkt haben.“ (zitiert nach ksta.de 2024)

Nach der Feststellung der Schadstoffbelastungen im Jahr 2004 durften zunächst Schwangere nicht mehr in das Hochhaus und die Informatiker*innen wurden in einen benachbarten unbelasteten Altbau ausquartiert. Gleichwohl hielten sich zunächst immer noch Studierende und Forschende täglich in dem Hochhaus auf, darunter bis 2016 auch Labor-Mitarbeitende (wenn auch mit wenigen Stunden Aufenthalt).
Ein seinerzeit Studierender berichtet über die strengen Nutzungsregelungen: „Man durfte nur einige Stunden dort sein und nur den Aufzug benutzen, nicht die Treppe.“ Der Anblick der leerstehenden Gebäude sei gruselig gewesen, scherzhaft habe man den Bereich um das Hochhaus „Klein-Tschernobyl“ genannt (zitiert nach ksta.de 2024).

Als sich die Bonner Politik aus Sorge um die Gesundheit und den Schutz der dort tätigen Menschen in den Jahren 2009 bis 2011 mit dem Bau beschäftigte, erklärte die Stadtverwaltung, sie habe keine Einflussmöglichkeiten, die Angelegenheiten des Gesundheits- und Arbeitsschutzes würden der Universität Bonn und dem BLB obliegen.
Noch im Jahr 2016 soll die Schadstoff-Konzentration bis zu zehnmal höher gewesen sein, als es die Grenzwerte der PCB-Richtlinie des Bundeslandes NRW vorschreiben.
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Ausblick & „lost place“
Inzwischen ist der an dem Hochhaus entlangführende Weg verwildert und fast komplett überwuchert. Wasser- und Dreckspuren prägen das verlassene Gebäude, um das umgefallene Bauzäune, Bauplatten und Müll herumliegen:
„Die Fenster des Hochhauses sind leer. Das grau-braune Gebäude ist von schwarzen Regenflecken überzogen, es ist verwahrlost. Bäume und Sträucher umgeben das alte Hochhaus, ranken teilweise an den Seitenwänden hoch. … Das Gebäude zeigt starke Abnutzungszeichen. Überall wuchern Pflanzen, als würde sich die Natur das Gebiet schon zurückerobern.“ (ksta.de 2024)

Seit um 2020 plant die Universität Bonn in Abstimmung mit dem BLB NRW auf dem Gelände Ausweichflächen für die zu sanierenden Gebäude, Büro- und Unterrichtsräume am Campus der ehemaligen Pädagogischen Fakultät zu schaffen. Hierfür sind unter anderem Modulbauten aus Holz geplant (www.uni-bonn.de).
Nach einer für 2024 ausgeschriebenen Schadstoffsanierung und -entsorgung soll das Hochhaus vollständig, das heißt ober- und unterirdisch, abgebrochen werden.

Der ruinöse Gebäudekomplex gilt mittlerweile als „lost place“, also als ein sehenswerter vergessener Ort mit einer gewissen historischen Bedeutung. Aufgrund der Schadstoffe und der weiteren Gefahren für vermeintliche Abenteurer*innen und Entdecker*innen, die hier Verborgenes und Verbotenes erkunden möchten, sowie zum Schutz vor Vandalismus und Diebstahl, wird die Bauriune von einem Sicherheitsdienst überwacht. Vor einem Betreten wird daher mit Nachdruck gewarnt!

(Franz-Josef Knöchel, Digitales Kulturerbe LVR, 2024)

Internet
www.uni-bonn.de: Modulbauten schaffen in Bonn-Castell Platz für Forschung und Lehre (20.08.2020, abgerufen 05.07.2024)
ga.de: Marodes Hochhaus. Abriss der Pädagogischen Fakultät in Bonn hat begonnen (Text Alexander Barth, General-Anzeiger vom 13.05.2022, abgerufen 05.07.2024)
www.ksta.de: „Klein-Tschernobyl“ - Lost Place mitten in Bonn steht seit mehr als zehn Jahren leer (Text Anica Tischler, Kölner Stadt-Anzeiger vom 25.06.2024, abgerufen 05.07.2024)
stadtplan.bonn.de: Stadtplan der Bundesstadt Bonn, Suche in der Karte, dort Luftbilder 1967 und 1972 (abgerufen 09.07.2024)
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Literatur

Groten, Manfred; Johanek, Peter; Reininghaus, Wilfried; Wensky, Margret / Landschaftsverband Rheinland; Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Hrsg.) (2006)
Handbuch der Historischen Stätten Nordrhein-Westfalen. (3. völlig neu bearbeitete Auflage). (HbHistSt NRW, Kröners Taschenausgabe, Band 273.) S. 153, Stuttgart.

Universitätsgebäude der pädagogischen Fakultät

Schlagwörter
Straße / Hausnummer
Römerstraße / Eduard-Spoelgen-Straße
Ort
53117 Bonn - Castell
Fachsicht(en)
Kulturlandschaftspflege, Landeskunde
Erfassungsmaßstab
i.d.R. 1:5.000 (größer als 1:20.000)
Erfassungsmethode
Auswertung historischer Karten, Literaturauswertung, Geländebegehung/-kartierung
Historischer Zeitraum
Beginn 1967 bis 1972

Empfohlene Zitierweise

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Empfohlene Zitierweise
„Universitätsgebäude der pädagogischen Fakultät”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-354120 (Abgerufen: 30. April 2025)
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