Der gigantische Düsseldorfer „Rheinturm“ war ein um das Jahr 1913 schon in Details geplantes, aber nie realisiertes Großprojekt. Am Rhein zwischen Oberkassel und Düsseldorf sollte als „Wunderwerk deutscher Eisenindustrie“ ein 500 Meter (!) hoher Stahlfachwerk-Turm samt einer den Fluss überspannenden Bogenbrücke entstehen.
Auch wenn KuLaDig seinem Auftrag gemäß das bestehende (und teils auch das untergegangene) Kulturerbe abbildet, sei an dieser Stelle der Blick auf ein zwar spektakuläres, aber nie real existierendes Bauwerk gerichtet - zumal dieses als exemplarisch zu „Düsseldorf nach der Jahrhundertwende“ betrachtet werden kann.
Wachstum und Verkehrsprobleme: Düsseldorf um 1900
Das Vorbild: der Eiffelturm des „Erbfeindes“ Frankreich
Der geplante Rheinturm zwischen Oberkassel und Düsseldorf
Quelle, Internet, Literatur
Wachstum und Verkehrsprobleme: Düsseldorf um 1900
Die heutige Landeshauptstadt Düsseldorf tat sich lange schwer mit ihrer städtischen Entwicklung: Nach der Verleihung ihres Stadtprivilegs von 1288 und auch noch als bevorzugte Residenz der bergischen Grafen bzw. Herzöge seit den 1380er-Jahren entwickelte sich die Stadt zunächst eher zögerlich.
Ein spürbares Wachstum ist erst um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu verzeichnen, als eine rasch fortschreitende Industrialisierung und zeitgleich zahlreiche infrastrukturelle Maßnahmen einen regelrechten Boom bewirkten. Die Einwohnerzahl Düsseldorfs stieg von 40.400 im Jahr 1850 auf über 400.000 im Jahr 1913 an.
Seinerzeit diente beispielsweise die nach 1900 entstandene große Düsseldorfer Rheinuferpromenade zwar vorrangig dem Hochwasserschutz, war zugleich aber auch bereits ein durchaus beabsichtigter Ausweis einer nunmehr mit gehörigem Selbstbewusstsein und Stolz verbundenen Eigendarstellung der Stadt. Im Jahr 1912 wurden in einer Städtebauausstellung bereits optimistische Pläne für eine Millionenstadt Düsseldorf vorgelegt (Groten u.a. 2006).
Ein großes infrastrukturelles Problem stellte für lange Zeit die Verbindung der beiden Düsseldorfer Rheinseiten durch eine zeitgemäße Brücke dar:
Die von dem avisierten Standort des Rheinturms nur wenige hundert Meter nördlich befindliche alte Oberkasseler Brücke hatte mit ihrer Eröffnung 1898 endlich die längst überkommene Schiffbrücke von 1839 ersetzt - eine bis dahin die Rheinschifffahrt behindernde schwimmende Brücke aus miteinander verzurrten Pontons, die nur höchst unzureichend die einzige Verbindung mit dem linken Rheinufer darstellte.
Doch auch die nunmehr feste Oberkasseler Rheinbrücke war nur ein zeitweiser Behelf und entwickelte sich infolge des gestiegenen Verkehrsaufkommen rasch zum Nadelöhr. Bereits 1925/26 musste sie verstärkt und verbreitert werden, im Zweiten Weltkrieg wurde das Brückenbauwerk 1945 zerstört.
Diese Situation um das Jahr 1910 und daneben auch die seinerzeit geradezu typisch-preußische Großmannssucht des deutschen Kaiserreichs sowie der stets argwöhnische Blick auf den „Erbfeind“ Frankreich am Vorabend des Ersten Weltkrieges, waren wohl maßgebliche Faktoren für die damaligen Planungen des kolossalen Rheinturms.
Das Vorbild: der Eiffelturm des „Erbfeindes“ Frankreich
Die Entwürfe für den Düsseldorfer Turm sind erkennbar an dem 1889 zur Weltausstellung in Paris eröffneten Pariser Eiffelturm orientiert. Der zur Erinnerung an den 100. Jahrestag der Französischen Revolution errichtete Tour Eiffel mit seinerzeit zunächst 312 Metern Höhe gilt bis heute als Weltwunder und das Wahrzeichen der französischen Metropole und Hauptstadt Paris. Der nach seinem Konstrukteur, dem genialen Ingenieur Alexandre Gustave Eiffel (1832-1923, bzw. Bonickhausen dit Eiffel) benannte Eiffelturm war seinerzeit - und das noch bis 1930! - das höchste Bauwerk der Welt.
Damals wie heute gilt der Eiffelturm zugleich aber auch als Inspiration und technisches Vorbild für zahlreiche Nachbildungen unterschiedlichster Größe in aller Welt. Während sich heute die meisten Repliken in Miniaturwelten oder in Freizeitparks befinden, entstanden auch einige Nachbildungen in annähernd realem Maßstab, darunter in Deutschland:
- der im Jahr 1926 anlässlich der dritten Großen Deutschen Funk-Ausstellung in Betrieb genommene Berliner Funkturm mit zunächst 138 Metern Höhe (heute 146,78 Meter), der durch seine stilistisch und technisch an das große Vorbild angelehnte Stahlfachwerkkonstruktion als Derivat des Eiffelturms gilt,
- der 1934 erbaute so genannte „Bayerische Eiffelturm“, eine 163 Meter hohe Sendemast-Holzkonstruktion des Senders Ismaning nordöstlich von München (1977 durch einen Stahlfachwerkmast ersetzt und 1983 aufgrund Baufälligkeit abgerissen).
Der geplante Rheinturm zwischen Oberkassel und Düsseldorf
Der Düsseldorfer Rheinturm wurde als Kombination eines riesigen Stahlfachwerk-Turms mit einer den Fluss überspannenden Bogenbrücke projektiert. Eine im Stil einer fotographischen Aufnahme gehaltene Planungszeichnung zeigt den damaligen Entwurf des Rheinturms (vgl. Abb.). Das gigantische Bauwerk wird 1913 in der Zeitschriftenbeilage „Wissen und Leben“ wie folgt beschrieben:
„Der projektierte Rheinturm in Düsseldorf. Ein Wunderwerk deutscher Eisenindustrie wird für Düsseldorf geplant. Der Rheinturm soll den Eiffelturm noch um 200 m überragen, also 500 m hoch werden. Der Rhein soll mit einer Brücke überspannt werden, und die Stützung des Turms erfolgt durch vier Fachwerkstreben in Eisenkonstruktion, von denen sich zwei auf die Brückenbögen stützen, während die anderen auf eigene Pfeiler gesetzt sind.“
Auch wenn es das Bild nicht ausweist, so hätte die äußere Spannweite der Stützpfeiler-Unterkonstruktion sicher bei mehr als 150 Meter gelegen. Zum Vergleich: die des Pariser Eiffelturms misst 124,9 Meter und die hier symbolisch gezeichnete Geometrie rund 150 Meter Kantenlänge.
Wohl ganz bewusst im Bild plaziert, passiert ein Luftschiff in großer Höhe den Rheinturm. Dies ist nicht nur ein Indiz für die Technikbegeisterung der Zeit, sondern vermutlich auch ein deutlicher Wink in Richtung Frankreich - wurden die legendären „Zeppeline“ seinerzeit doch vorrangig für militärische Zwecke entwickelt.
Der mit aller gebotenen Vorsicht angenommene geplante Standort ist wohl im Bereich des Oberkasseler Rheinufers gegenüber dem innerstädtischen Kasernenviertel zu verorten. Mit Blick auf zeitgenössische Stadtpläne (vgl. www.landkartenarchiv.de) waren demnach als Brückenzufahrten von Düsseldorfer Seite aus vermutlich die Harold- bzw. Graf-Adolf-Straße, die Hubertusstraße und die Fürstenwallstraße vorgesehen.
Das baulich fragwürdige Vorhaben des Rheinturms wurde nie realisiert. Grund dafür dürfte vor allem der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 gewesen sein. Offen bleiben muss daher, ob sich das Vorhaben überhaupt hätte technisch durchführen lassen.
Anstelle dessen entstand zunächst 1960/61 der 75 Meter hohe Fernmeldeturm Gerresheim und dann zwischen 1978 und 1982 der ebenfalls „Rheinturm“ benannte Fernsehturm im Düsseldorfer Medienhafen mit allerdings „nur“ 240,50 Metern Höhe.
Die magische Marke von 500 Metern Höhe wurde erst einige Jahrzehnte nach den Düsseldorfer Rheinturm-Planungen von Bauwerken „geknackt“. Der von einer Fernsehgesellschaft 1960 erbaute abgespannte KFVS-Sendemast von Cape Girardeau (Missouri, USA) erreichte 511,1 Meter und der 1963-67 in Moskau frei stehend erbaute Funk- und Fernsehturm Ostankino 537 Meter.
Aktuell haben weltweit 17 freistehende Gebäude eine Höhe von mehr als 500 Meter.
(Franz-Josef Knöchel, Digitales Kulturerbe LVR, 2024)
Quelle
Planungszeichnung des „Rheinturms“, in: Wissen und Leben (Beilage zu Reclams Universum: Moderne illustrierte Wochenschrift), Heft 39, 29. Jahrgang 1913, Leipzig, S. 75.
Internet
www.landkartenarchiv.de: Historische Stadtpläne, 1903-1945 (abgerufen 25.09.2024)
de.wikipedia.org: Eiffelturm-Nachbildungen und Derivate (abgerufen 25.09.2024)
de.wikipedia.org: Rheinturm (abgerufen 25.09.2024)
de.wikipedia.org: Liste der höchsten Bauwerke der Welt (Stand 2022, abgerufen 27.09.2024)