Diese wurden wiederum mit ihren Ästen gebogen und am Boden befestigt (Lemmen), damit diese neue Triebe entwickeln. Die neuen Baumstämme wiederum verbanden sich zu ovalförmigen Wurzeltellern, zum Teil von mehreren Metern Durchmesser und obertägigen Baumgruppen mit entsprechenden weiteren Verästelungen und austreibenden Baumformen. Diese Bäume wirken sehr urwüchsig und natürlich, sind aber das Ergebnis menschlicher Bewirtschaftung und der Regenerationsfähigkeit der Bäumen. Die Niederwaldnutzung gehörte zum System der historischen bäuerlichen Waldnutzung insbesondere als Allmende und wird seit Jahren nicht mehr praktiziert.
In der Bockerter Heide gibt es seit den Rodungen und Kultivierungen nach 1850 kein größeres geschlossenes Waldgebiet mehr. Hierdurch ist eine gegliederte Waldstruktur mit großem Abwechslungsreichtum entstanden. Die Waldareale liegen im Gemenge mit Acker- und Grünland. Im Viersener Stadtgebiet reduzierte sich die Waldfläche von 1410 ha im Jahre 1820 auf 672 ha im Jahre 1980. Die dominante Baumart ist die Rotbuche, die in verschiedenen Bewirtschaftungsformen als Hoch-, Stock- oder Kopfbaum vorkommt, aus der sich die als wertvoll eingestuften überlieferten Rotbuchen-Niederwälder zusammensetzen. Es ist bemerkenswert, welche Auswirkungen die anthropogenen Aktivitäten auf das Aussehen des Ökosystems Wald gehabt haben. Für das Naturschutzgebiet Bockerter Heide war vor allem die Niederwaldnutzung prägend. Aufgrund des nachgewiesenen Alters und heutigen Aussehens sind folgende Waldareale unterschieden:
1. Wald mit gut erkennbaren Niederwaldstrukturen (auf der Karte dargestellt;);
2. Wald mit nur vereinzelten Niederwaldstrukturen (heute hauptsächlich. Eichen/Birken, auf der Karte dargestellt;););
3. Ehemaliger Niederwald mit einem als Folge der spontanen Waldentwicklung entstandenen Eichen-/Birkenbestand;
4. Wiederaufgeforstete, zuvor gerodete Niederwaldflächen (Buchen, Eichen);
5. Nadelbaumaufforstungen auf zuvor gerodeten Niederwaldflächen bzw. in alten Niederwaldarealen;
6. Junge Laubholzaufforstungen auf ehemaligen Agrarflächen.
Dominante Kennzeichen der unter 1. und 2. genannten Waldflächen sind die ehemaligen Rotbuchenstöcke mit mächtigen Ausschlägen. In diesen Arealen befinden sich außerdem noch wenige Reste der Mittelwaldbewirtschaftung in Form von einzelnen Kopfbäumen, die hauptsächlich aus Rotbuchen und Eichen bestehen. Der Hochwald ist nur durch Überhälter vertreten. Bei der Niederwaldnutzung wurden die Bäume auf den Stock gesetzt. Dies bedeutete, dass die Austriebe alle 15 bis 20 Jahren abgeholzt wurden. Deswegen war Beweidung wegen des Verbisses nicht möglich. Typisch sind die Stockbaumgruppen, die über Zweige miteinander verbunden sind. Sie sind das Produkt des sogenannten „Lemmens“. Hierbei wurde ein fingerdicker Zweig an der Berührungsstelle auf dem Boden mit einem Rasenstück bedeckt und das freie Ende nach oben gebogen, so dass ein neuer Stamm heranwuchs. Diese Technik ist bereits in einem Holzweistum für den Süchtelner Erbenbusch des Klosters St. Pantaleon in Köln von 1763 belegt. Heute wird das Lemmen, abgesehen von einigen Experimenten, kaum praktiziert.
(Ute Schumacher und Klaus-Dieter Kleefeld, LVR-Redaktion KuLaDig, 2021)
Quellen
- Plan cadastrale de la commune de Viersen. K8: Section G de Butzlohn (1812), K9: Section H de Bocketerbusch (1812), K10: Section I de Bockert (1812) und Verzeichnis der Güterbesitzer, der Grundgüter und ihres Flächen Inhalts vom 27.11.1812. Die Sektionen G: Butzlohn, H: Bocketerbusch und I: Bockert. Karten der Sektionen G, H, und I von 1812 (Stadtarchiv Viersen).
- Meetbuch V. Hoser und Bockerter Vroge 1706/1748. Meetbuch VI. Bebericher Vroge 1706/1747. Erstellt 1706 vom „verijdten Landmeeter“ MICHAEL SUIJCKERS, 1747/48 copiert von MICH. JOH. LAMBERTS „Schepen des gerichts viersen“ (Stadtarchiv Viersen).