Der Frankfurter Gartenkünstler Heinrich Siesmayer (1817-1900) hatte einen Lebenstraum: eine große Baumschule im Raum Frankfurt am Main, um dort viele verschiedene Sorten von Zier- und Obstbäumen zu ziehen und einen Lehrgarten für alle Interessierten zu schaffen. 1883 war es dann so weit: Die 25 Hektar große Fläche am Vilbeler Bahnhof (heute Südbahnhof) war ideal für seine Idee - der gute Wetterauer Boden eignete sich perfekt und die direkte Nähe zur Bahn ermöglichte auch den Transport. Nachdem man die Böden umgegraben, die Wege angelegt und die jungen Bäume angepflanzt hatte, konnten 1889 die ersten Bäume verkauft werden.
Ein unternehmerischer Gartenkünstler – Heinrich Siesmayer
Heinrich Siesmayer ist also nicht nur einer der bekanntesten Gartenkünstler Deutschlands des 19. Jahrhunderts, sondern auch Gründer der Baumschule Elisabethenhain in Bad Vilbel. Seine umfangreichen Kenntnisse sammelte er während seiner Lehrzeit in einer der besten Gärtnereien Süddeutschlands, der S. & R. Rinz in Frankfurt am Main. Dort erfuhr er alles, was es über die Anzucht von Ziersträuchern und -bäumen, Obstbäumen, exotischen Gewächshauspflanzen, aber auch über die Anlage von Gärten zu wissen gab. Mit seinem Vater Jacob (1781-1866) und seinem älteren Bruder Nicolaus (1815-1898) gründete er die Gartenbaufirma „Gebrüder Siesmayer“. Wie wichtig ihm die Baumschule war, sieht man an seinem Testament: Dort verfügte er, dass sie niemals aufgeteilt oder verkauft werden dürfe. Er gilt als der Schöpfer des Frankfurter Palmengartens.
Alles aus einer Hand - die Gartenbaufirma Gebrüder Siesmayer
Die Gartenbaufirma Gebrüder Siesmayer legte Villengärten, Schlossparks, Kuranlagen und Stadtgärten an. Sie war wie ein eigener kleiner Kosmos: Sie plante die Parkanlagen, legte sie an und pflegte sie. Aber nicht nur das: Die Gartenbaufirma produzierte auch alle benötigten Pflanzen selbst. Egal, ob Linden oder Kastanien für Alleen, einheimische Bäume, seltene Gehölze, Sträucher oder Zierpflanzen. Selbst fantasievolle Holzgitterpavillons wurden angefertigt! Die von Gebrüder Siesmayer angelegten Anlagen waren ab Mitte des 19. Jahrhunderts im ganzen Rhein-Main-Gebiet, aber auch in Koblenz, Bad Ems und anderen Städten in Südwestdeutschland zu bewundern.
Elisabethenhain – wer war Elisabeth?
Die heutige Elisabethenstraße und der Elisabethenhain sind zum Gedenken an Heinrich Siesmayers Frau Elisabeth benannt. Sie wurde Mutter von 12 Kindern, führte den großen Gärtner-Haushalt und half bei den Rechnungen und der Korrespondenz der Gartenbaufirma, solange es noch kein Büro gab. Die Heirat zwischen Elisabeth und Heinrich war für die Firma auch aus einem anderen Grund sehr wichtig: Dank ihrer ansehnlichen Mitgift konnten weitere Baumschulflächen erworben werden. Leider erlebte Elisabeth die Realisierung von Heinrichs Traum, der eigenen Musterbaumschule, nicht mehr: Sie verstarb 1872 mit nur 34 Jahren.
Höhenflug und Niedergang – Philipp Siesmayer
Philipp Siesmayer (1862-1935) übernahm 1890 die Gartenbaufirma mit der Baumschule Elisabethenhain als Nachfolger seines Vaters. Unter ihm erlebte die Firma anfangs einen weiteren Aufstieg: Die Anzahl der Mitarbeiter stieg bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs von 350 auf ca. 600. Die Aufträge kamen nicht mehr nur aus Deutschland, sondern auch aus dem Ausland wie Belgien, Österreich, Polen oder gar Russland.
Der Erste Weltkrieg, die darauffolgende Wirtschaftskrise und die sich verändernden politischen Verhältnisse beendeten den Höhenflug des Unternehmens und Philipp Siesmayer musste als über 70-Jähriger den Ruin der einst angesehenen Gartenbaufirma erleben. Zu seinen letzten Arbeiten gehörten zwei Entwürfe für den Kurpark von Bad Vilbel 1933 und 1934.
Was „lernen“ Bäume in einer Baumschule?
In einer Baumschule werden Bäume auf ihre spätere Funktion vorbereitet. So entfernt man z. B. bei künftigen Alleebäumen schon früh die unteren Seitenäste, damit sich ein gerader Stamm und eine schöne Baumkrone entwickeln können.
Heinrich Siesmayer hatte auch klare Vorstellungen darüber, wie diese Vorbereitung am besten funktioniert: So wollte er die Bäume länger als damals üblich aufziehen. Diese kräftigen Pflanzen sollten Herausforderungen wie Anfahrschäden, Wind oder Sonneneinstrahlung besser widerstehen.
Bis ein Baum die Baumschule verlassen kann, gibt es viel zu tun: So versetzt man die Bäume z. B. regelmäßig - „verschult“, wie man in der Gärtnersprache sagt, - um neues Wurzelwachstum anzuregen. Daraus entsteht ein kompaktes und dicht verzweigtes Wurzelsystem, damit der Baum an seinem neuen Standort besser anwachsen kann.
In der Baumschule werden auch Bäume veredelt, indem man nah verwandte Gehölze an scharfen, glatten Schnittstellen miteinander verbindet, um die günstigen Eigenschaften beider Formen zu vereinen.
Bäume waggonweise – Betrieb der Baumschule Elisabethenhain
Von der Baumschule der Gebrüder Siesmayer gingen die Bäume auf große Fahrt - gut, dass der Elisabethenhain direkt am Vilbeler Bahnhof, an der wichtigen Main-Weser-Bahn lag. So wurden beispielsweise Tausende der seltensten Laub- und Nadelbäume 1888/89 von hier aus nach Kirchheimbolanden in die Pfalz transportiert, wo Siesmayer den Schlosspark neu anlegte. Auch die Kurverwaltung Bad Nauheim benötigte 1898-1900 rund 35.000 Gehölze für die Schaffung des Erholungswalds Johannisberg.
Um den Versand so großer Bestellungen bewältigen zu können, gehörten zum Elisabethenhain auch eine eigene Packhalle für den Versand. Eine „Weidenanlage“ lieferte Weidenruten u. a. als Bindematerial.
Konkurs und Kurpark – das Ende der Baumschule
Die Baumschule Elisabethenhain in Bad Vilbel lieferte bis zum Ersten Weltkrieg Zigtausende von Pflanzen. Dann aber mussten die Besitzer Philipp und Ferdinand Siesmayer gegen die widrigen Zeitumstände ankämpfen: Im Ersten Weltkrieg fehlten Arbeiter, die sich um die Bäume kümmern konnten, in der darauffolgenden Wirtschaftskrise die neuen Aufträge.
Deshalb versuchte man ab 1925, das Gelände für Wohnsiedlungen zu verkaufen, was zunächst nicht gelang. Erst als die Siesmayers 1931 finanziell am Ende waren, kaufte die Stadt Bad Vilbel das Gelände und errichtete dort eine Siedlung. Die Obstbäume der Baumschule kamen in die Gärten der Bewohner. Viele Zierbäume bildeten den Grundstock für den 1933-1934 angelegten Kurpark.
Heute erinnern die Straßennamen „Siesmayerstraße“, „Elisabethenstraße“ und „Elisabethenhain“ an die bedeutende Baumschule.
(Barbara Vogt, Gartendenkmalpflege Frankfurt, 2021)