Das mittelalterliche Rathaus
Kriegszerstörung
Rekonstruktion
Die Fassade
Die archäologischen Untersuchungen 1987/88
Das erste Rathaus von 1390
Das zweite Rathaus von 1455/1477
Internet, Literatur
Das mittelalterliche Rathaus
Das Rathaus auf dem Großen Markt in Wesel wurde 1477 fertiggestellt. Während im Erdgeschoss der Fleischmarkt eingerichtet war, konnte der große Saal im ersten Stock für Ratssitzungen, Tagungen und Feste genutzt werden. Anfangs war die Verwaltung im zweiten Stock untergebracht. Als diese im Laufe der Zeit jedoch immer mehr Platz benötigte, wurde das Rathaus immer wieder erweitert.
Das Rathaus wurde auch als Gerichtsgebäude genutzt. Seit 1493 tagte hier das Tägliche Gericht, ab 1523 auch das Hochgericht. Als 1815 das Stadt- und Kreisgericht eingerichtet wurden, war das Rathaus jedoch zu klein, das Gericht kam in der Ritterstraße unter.
Die Fassade aus Baumberger Sandstein am Großen Markt zeigte Figuren der Heiligen Maria, Sankt Antonius, Sankt Christophorus, Sankt Willibrord und der Heiligen Drei Könige. Da die Fassade und auch die Figuren mit der Zeit stark verwitterten, wurde 1854 beschlossen, die gesamte Fassade zu restaurieren. Hierbei entschied man sich für zeitgemäße Figuren, die wichtig für die Geschichte Wesels gewesen waren.
Kriegszerstörung
Am 16., 18. und 19. Februar 1945 zerstörten alliierte Fliegerbomben bis zu 95 Prozent der Stadt Wesel. Das Rathaus überstand diese Bombardierung in großen Teilen. Der anschließende Artilleriebeschuss pulverisierte das Rathaus dann jedoch gänzlich. Das neue Rathaus wurde an der Ecke Hohe Straße und Kreuzstraße errichtet.
Rekonstruktion
Im Laufe der Jahre gab es immer wieder Pläne, das historische Rathaus wieder aufzubauen. 1995 errichtete die Firma Trapp eine Bebauung mit hochgiebeligen Häusern auf dem Großen Markt. Der vierte Bau hatte bereits die Maße des historischen Rathauses.
Im Oktober 2007 erfolgte dann auch die Grundsteinlegung für die Rekonstruktion der Fassade. Die Quellenlage zu den ursprünglichen Figuren war sehr dünn, daher wurden vor allem verschiedene Abbildungen und Fotografien aus dem 19. Jahrhundert bis zur Kriegszerstörung für die Rekonstruktion genutzt.
Am 18. September 2011 wurde die Rekonstruktion der Fassade der Stadt Wesel übergeben. Die Figuren wurden nacheinander zwischen 2015 und 2017 angebracht.
Die Fassade
Die Fassade des Weseler Rathauses orientiert sich in seiner gotischen Bauweise nicht an anderen Bauwerken am Niederrhein, sondern erinnert mit ihrer flämisch-brabantischen Ausgestaltung viel mehr an die Rathäuser in Aachen oder Brügge.
Anders als viele andere Rathäuser wird die Fassade des Weseler Rathauses jedoch nicht durch eine Öffnung in der Mitte zweigeteilt, sondern bildet einen gesamten Baukörper mit einem Eingang an der Seite. Zwischen den Fenstern der ‚Beletage' stehen je auf einer Konsole Steinfiguren, von links nach rechts:
- Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der Große Kurfürst (1620-1688)
- Herzog Adolf I von Kleve-Mark (1373-1448)
- Kaiser Karl der Große (742-814)
- Der Heilige Willibrord (658-739)
- Rudolf I. von Habsburg, Deutscher König (1218-1291)
- Graf Dietrich VIII. von Kleve (1256-1305)
- Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg (1572-1619)
Der Abschluss der Sandsteinfassade findet sich auf dem Dach, in Form zweier typischer Wetterfahnen mit den Jahreszahlen 1455, in gotischer Schrift, und 1698, in barocker Schrift. Das Jahr 1455 gilt als Baubeginn des Rathauses, während 1698 das vermutete Baujahr für die Dachhaube im Stil des Barock ist. Neuere Forschung legt jedoch nahe, dass die Dachhaube erst 1801 angebracht wurde.
(Tabea Tischer, LVR-Niederrheinmuseum Wesel, 2020)
Die archäologischen Untersuchungen 1987/88
Der Große Markt sollte zum 750-jährigen Stadtjubiläum 1991 in seiner alten Größe, die er bis zu den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg besaß, wieder erstehen; zugleich war der Bau einer Tiefgarage vorgesehen. Nach Voruntersuchungen im Jahre 1987 konnten 1988 archäologische Ausgrabungen durchgeführt werden. Ziel war die bauhistorische Erforschung der beiden auf dem Großen Markt lokalisierten Rathäuser. Darüber hinaus sollten ältere Besiedlungsspuren in einer größeren Fläche im Nordwesten des Platzes untersucht werden, zusammen mit dem älteren Rathaus aus dem 14. Jahrhundert. In einem zweiten Komplex wurde die Bebauung an der Südseite des ehemaligen Platzes mit dem gotischen Rathaus erfasst.
Das erste Rathaus von 1390
Das erste Weseler Rathaus des 14. Jahrhunderts war bis zur Ausgrabung nur aus Schriftquellen bekannt. Der damalige Kreisarchivar, Herr Dr. M. Pohl, gab den entscheidenden Hinweis auf die Lage des Rathauses, die er historischen Quellen entnommen hatte, die Herr Dr. M. W. Roelen bearbeitet hatte. Dieser Hinweis erwies sich bei den Grabungen als erstaunlich genau.
Nach diesen Quellen errichtete man 1386 auf dem Marktplatz ein Fleischhaus, vom Chor der damaligen Willibrordikirche durch eine Straße und eine Häuserreihe getrennt. Über diesem Fleischhaus wurde 1389/90 eine Ratskammer erbaut, die 1390 bezogen wurde. Dabei sollte das alte Fleischhaus im Osten einen Vorbau erhalten haben. Die bei den Grabungen aufgedeckten Mauern aus Feldbrandziegeln besaßen eine Stärke von rund 1,2 Metern. Anlässlich des Neubaues des spätgotischen Rathauses riss man das ältere Rathaus ab, die Ziegel wurden wiederverwendet. Die freigelegten Fundamente und Ausbruchgruben erlaubten die Rekonstruktion eines schmal rechteckigen Grundrisses. Der außerhalb der Baugrube liegende Westabschluss wurde nicht erfasst. In den Fundamenten unterteilte sich der Baukörper in zwei Räume von 7 mal 5 Metern und 7 mal ca. 16 Metern. Ein Keller war nicht zu belegen. In der südlichen Wand fand sich ein in das Fundament integrierter Rundbau. Bei einer Mauerstärke von nur 0,4 Metern ergab sich ein lichter Durchmesser von 1,8 Metern. Es war nicht zu klären, ob es sich um einen Brunnen oder einen der historisch überlieferten Türme des Rathauses handelte. Die Baugruben schnitten in die älteren Marktplatzschichten ein. Durch stratifizierte und datierte Keramik bestätigte sich die historische Überlieferung der Erbauung im 15. Jahrhundert. Die an die Fundamente ansetzende Pflasterung des Marktplatzes war in einem funktionalen Zusammenhang mit dem Rathaus zu sehen.
Das zweite Rathaus von 1455/1477
Unter den Fundamenten des gotischen Rathauses konnten bei den Untersuchungen drei Gruben der Vorgängerbebauung beobachtet werden. Eine rechteckige Grube von zwei Metern Länge und mindestens 0,85 Metern Breite hatte man mit Holzbrettern verschalt. Die zahlreichen Henkelkrüge schwarzgrauer Ware, manganviolette und hellgelbe Steinzeug, Siegburger Steinzeug, glasierte Irdenware, Hohlglas, Eisenfragmente, Ziegel- und Knochenfragmente ließen an eine Vorratsgrube denken. Diese Grube überlagerte zwei weitere Befunde. Die darin gefundene Keramik datierte sie in das 14. bis frühe 15. Jahrhundert (Datierung G. Krause, Duisburg).
Das Rathaus mit seiner spätgotischen Fassade wurde bei den Bombenangriffen am 24. Februar 1945 im Aufgehenden zerstört; der Keller blieb nahezu vollständig erhalten. Von dem 30 Meter langen Gebäude konnten bei den Ausgrabungen 22,5 Meter in der Baugrube der Tiefgarage aufgedeckt werden.
Der ursprüngliche Bau des 15. Jahrhunderts besaß eine Länge von rund 15 Metern bei einer Breite von 13,5 Metern. Die ursprüngliche, später ausgebrochene schmalere Südwand hatte sich in den Außenmauern erhalten. Das östliche Fundament wurde von der mit einer Breite von 1,3 Metern sehr massiv ausgeführten Nord-Süd-Mauer gebildet. Die die Fassade tragende nördliche Quermauer hatte man erst später an die übrigen Fundamente angebaut; die einzige Verbindung mit der Nord-Süd-Mauer stellte ein kleiner, aus Ziegeln gemauerter Bogen her. Im Osten des Rathauses stimmte der Abschluss des Fundamentes mit der späteren Parzellengrenze überein. Das westliche Fundament entsprach der Mauer des benachbarten Hauses mit dem romanischen Keller, da man auf die Errichtung einer separaten Wand verzichtet hatte. Offenbar wurden Rathaus und romanischer Keller als zusammengehörend angesehen; im Aufgehenden waren beide bis zuletzt als zwei eigenständige Gebäude erkennbar. Innerhalb des ursprünglichen Rathauses war ein Fußboden nachzuweisen, der aus Schieferplatten mit in Ziegeln ausgeführten Reparaturen bestand. Dieser stieß an das nur noch in Resten erhaltene Fundament der ursprünglichen Südwand.
Im Süden hatte man an das ursprüngliche Rathaus eine Erweiterung angebaut. Nach Beseitigung der alten Südwand überwand man den Höhenunterschied zwischen dem ursprünglichen Gebäudeteil und dem Neubau mit einer Treppe, die in die ehemalige Südwand eingebaut wurde. Erst bei weiteren Umbauten wurde ein durchgehender Fußboden in Alt- und Neubau aus Schieferplatten verlegt.
1893 wurde der Keller vollständig umgebaut, als man ein Tonnengewölbe einbaute. Die West- und die Nordwand des neuen Kellers wurden vor die vorhandenen Fundamente geblendet. Im Osten fügte man eine neue Mauer ein, im Abstand von rund 1,2 bis 1,4 Meter zur älteren Nord-Süd-Mauer. Diesen Keller baute man später mehrfach um, zuletzt verband man im Zuge von Luftschutzmaßnahmen im Zweiten Weltkrieg die nebeneinander liegenden Keller der Nachbarhäuser miteinander, um durchgehende Fluchtwege zu ermöglichen.
Im Zuge der Luftschutzmaßnahmen fügte man zudem einen Fluchttunnel an, der vom Rathaus in einem weiten Bogen bis auf die Mitte des Marktplatzes verlief. Er besaß eine massive, dreieckige Überdachung aus Beton. Er diente der Besatzung des Rathauses, in dem sich die Luftschutzzentrale befand, als zusätzlicher Fluchtweg aus dem Keller.
(Claus Weber, LVR-Redaktion KuLaDig, 2021)
Internet
historisches-rathaus-wesel.de: Historisches Rathaus Wesel (abgerufen 23.09.2020)