Das auch als „Gladbecker Geiseldrama“ bekannte Verbrechen, in dessen fatalem Verlauf mehrere Personen verletzt wurden und bei dem drei Menschen ihr Leben verloren, zog sich über rund 54 Stunden vom 16. bis zum 18. August 1988. Sowohl das Agieren der Polizeibehörden mit zahlreichen Pannen wie auch die Art und Weise der journalistische Berichterstattung wurden im Nachgang massiv und empört kritisiert. Die Geiselnahme hatte nachhaltige Folgen für die Polizeitaktik bei ähnlichen Verbrechen und auch der Pressekodex (eine Sammlung journalistisch-ethischer Grundregeln) wurde in der Folge entsprechend erweitert.
Die erste Gedenkstätte (bis 2002)
Die zweite Gedenkstätte (seit 2009)
Weitere Gedenkorte
Die Geiselnahme von Gladbeck
Internet, Literatur
Die erste Gedenkstätte (bis 2002)
Bereits vor dem Bau der ICE-Trasse von Köln nach Frankfurt am Main war auf dem Seitenstreifen der Autobahn ein schlichtes Gedenkkreuz aus Holz zum Andenken an die hier getötete Silke Bischoff angebracht worden, an dem immer wieder verbotenerweise Autofahrer anhielten, um Blumen niederzulegen. Im Zuge der Fertigstellung der ICE-Strecke durch das Siebengebirge wurde der Bereich am Aegidienberg-Tunnel neu gestaltet und das Kreuz im Jahr 2002 entfernt.
Nachfolgenden privaten Initiativen zur Einrichtung eines Gedenk- und Erinnerungsorts drohten über Jahre hin immer wieder an Bedenken der Verwaltung und an gesetzlichen Hürden seitens der Stadt und der nordrhein-westfälischen Landesregierung zu scheitern: Gedenkorte mit Zugang von der Autobahn seien aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht möglich und auch die häufig nach tödlichen Unfällen an öffentlichen Straßen zu sehenden Holzkreuze, würden aus Gründen der Pietät lediglich eine gewisse Zeit geduldet und danach stillschweigend entfernt (www.general-anzeiger-bonn.de).
Eine Tafel zum Gedenken an Silke Bischoff und an das Geschehen befindet sich an der Lärmschutzmauer zur A 3 an der Kochenbacher Straße in Aegidienberg. Von hier aus ist die etwa 300 Meter entfernte Gedenkstätte gut zu Fuß zu erreichen.
Die zweite Gedenkstätte (seit 2009)
Die heutige Umsetzung der Gedenkstätte erfolgte schließlich im August 2009 mit der Installation einer von dem im bayrischen Windach am Ammersee tätigen Bildhauer, Theologen und Musiker Franz Hämmerle (*1949) geschaffenen Skulptur aus Stein und Stahl neben einer Linde. Der Lindenbaum gilt meist als weibliches Wesen und ist kulturgeschichtlich zumeist positiv besetzt – so etwa über Tanz- oder Dorflinden im Sinne von Ortsfesten und der Brautschau.
Die aus einer steinernen Stele aufragende und sich nach oben hin teilende Metallskulptur weist 62 Einschusslöcher auf – so viele, wie der Fluchtwagen nach dem tragisch verlaufenen Zugriff hatte.
An die zum Zeitpunkt ihres gewaltsamen Todes 18-jährige Auszubildende zur Rechtsanwaltsgehilfin, die im Familiengrab ihres Großvaters in Stuhr-Heiligenrode (niedersächsischer Landkreis Diepholz) bestattet wurde, erinnert die auf dem Stein unter einem Porträtfoto in Versalien eingemeißelte Inschrift:
SILKE BISCHOFF
* 9.9.1969 + 18.8.1988
* 9.9.1969 + 18.8.1988
Weitere Gedenkorte
Seit 2019 erinnert am Busbahnhof in Bremen-Huckelriede eine vom Bremer Senat errichtete Gedenkstele aus Granit und ein Ginkgo-Baum an die Todesopfer des Verbrechens, den Schüler Emanuele De Giorgi (*1973), den Polizeiobermeister Ingo Hagen (*1957) und an Silke Bischoff. Der Ginkgo-Baum steht in vielen Kulturen für Freundschaft und Liebe, die den Tod und die Trauer überdauern.
Zu der Trauerfeier für Emanuele De Giorgi, der im italienischen Heimatort seiner Familie Surbo in der Region Apulien beigesetzt wurde, kamen 25.000 Gäste.
Ein 2007 gestellter Bürgerantrag zur Aufstellung einer Gedenkstele mit Bronzetafel in der Kölner Innenstadt wurde 2008 nach einer ablehnenden Stellungnahme der Stadtverwaltung zurückgezogen. Bei einer Zwischenstation am 18. August 1988 hatten die Geiselnehmer ihren Fluchtwagen mit den beiden Geiseln in der Fußgängerzone an der Breite Straße geparkt, wo dieser von Schaulustigen und Journalisten umringt wurde (vgl. nachfolgend; ratsinformation.stadt-koeln.de).
Die Geiselnahme von Gladbeck
Zunächst nahmen die beiden vorbestraften männlichen Täter nach einem missglückten Banküberfall in Gladbeck (Kreis Recklinghausen) zwei Bankangestellte als Geiseln, mit denen sie nach 14 Stunden in einem von der Polizei bereitgestellten Fahrzeug und 120.000 DM aus dem Banktresor sowie weiteren 300.000 DM erpresstem Lösegeld flüchteten. Die Täter (*1956 und *1957) werden als „unstrukturiert, zu keinem großen Coup fähig und nicht gerade mit übermäßiger Intelligenz gesegnet“ beschrieben und der Überfall selbst als geradezu stümperhaft geplant (gladbeck.rnd.de).
Die anschließende Irrfahrt, während der bei Münster die Freundin (*1954) eines der Gewaltverbrecher zugestiegen war, führte – mit mehreren von Polizei und Presse beobachteten Fahrzeugwechseln, Einkaufs- und Frühstückspausen – nach Bremen-Huckelriede, wo die Verbecher am 17. August gegen 19 Uhr einen Linienbus mit zunächst 32 Fahrgästen in ihre Gewalt brachten. Hier gaben die Täter anwesenden Reportern Presse- und TV-Interviews und posierten mit ihren Schusswaffen, die sie Geiseln an den Kopf hielten.
An der Raststätte Grundbergsee an der Autobahn 1 in Niedersachsen eskalierte das Geschehen:
Während die Täter die beiden Bankangestellten im Austausch gegen zwei Journalisten freiließen, verhafteten Polizeibeamte offenbar ohne Abstimmung mit der Einsatzleitung die Mittäterin während eines Toilettengangs. Als die beiden männlichen Täter draufhin drohten, eine Geisel zu erschießen, kam es zu teils chaotischen Pannen, die die erpresste Wiederfreilassung der Frau verzögerten. Um 23:05 Uhr schoss einer der männlichen Täter dem 14-jährigen italienischen Schüler Emanuele De Giorgi kaltblütig in den Kopf. Die Erstversorgung verzögerte sich, da es die Bremer Einsatzleitung versäumt hatte, einen Rettungswagen bereitzuhalten und der Junge verstarb nur wenig später.
Etwa gleichzeitig kollidierten drei mit der Dokumentation des Geschehens befasste Polizisten mit ihrem Fahrzeug frontal mit einem LKW, wobei die Polizisten verletzt wurden. Der 31-jährige Polizeiobermeister Ingo Hagen verstarb noch vor Ort an seinen Verletzungen.
Die weitere Flucht führte in die Niederlande, wo die Geiselnehmer nach einer Schießerei am frühen Morgen des 18. August schließlich gegen 6:30 Uhr einen mit einer Abhöranlage, Funkpeilung und einer Fernsteuerung für den Motor ausgestatteten Fluchtwagen der niederländischen Polizei im Austausch gegen die Geiseln im Bus erhielten.
Mit nun noch zwei Geiseln aus dem Bremer Bus auf der Rücksitzbank – der in Bremen geborenen Auszubildenden zur Rechtsanwaltsgehilfin Silke Bischoff und ihrer Freundin Ines (*1970), die sich beide auf dem Rückweg von der Arbeit in dem Linienbus befanden – führte der Weg erneut über Münster und Wuppertal gegen 11 Uhr nach Köln, wo einer der Täter „einmal den Dom sehen“ wollte.
In der Kölner Fußgängerzone Breite Straße wurde dann ein möglicher Zugriff der Polizeikräfte vor allem durch Journalisten verhindert, die den Verbrechern ein öffentliches Podium in bis dahin nicht gekannter Form boten, indem sie um Live-Interviews und Bilder wetteiferten und dabei das Fahrzeug eng umlagerten. Ein späterer „BILD“-Chefredakteur bot sich sogar an, die Geiselnehmer zur Autobahn zu lotsen und zwängte sich in das Fluchtfahrzeug, welches schließlich von einem Pulk von Pressefahrzeugen verfolgt die Stadt auf der Autobahn 3 in Richtung Frankfurt/Main verließ.
Der in Köln zugestiegene Journalist hatte bei einem Tankstopp an der Raststätte Siegburg-West den Fluchtwagen wieder verlassen und die zwei Täter fuhren mit den beiden Geiseln um 13:18 Uhr weiter in Richtung der von hier noch 25 Kilometer entfernten Landesgrenze zwischen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.
Wohl auch wegen der während der gesamten Geiselnahme wiederholt umstrittenen Zuständigkeiten der beteiligten Länderpolizeien, entschloss sich das Kölner Spezialeinsatzkommando (SEK) zum Zugriff mit gepanzerten Sonderschutzfahrzeugen. Dieser erfolgte um 13:35 Uhr bei Autobahnkilometer 37,5 in Höhe Bad Honnef-Aegidienberg durch das Rammen des Fluchtfahrzeugs, da der zur Abschaltung des präparierten Motors des Täterfahrzeugs benötigte Funksender nicht mitgeführt worden war.
Es folgte ein heftiger Schusswechsel, der sich über mehrere Minuten hinzog und bei dem alleine die Polizei 62 Schüsse abfeuerte. Während sich ihre von einer Polizeikugel getroffene Freundin durch einen Sprung in den Straßengraben retten konnte, starb Silke Bischoff durch ein Projektil aus der Waffe eines der Täter. Die Verteidigung führte später im Gerichtsverfahren an, der tödliche Schuss könne sich „während einer Schmerzreaktion des Täters“ gelöst haben.
(Franz-Josef Knöchel, Digitales Kulturerbe LVR, 2020/23)
Internet
www.general-anzeiger-bonn.de: „Keine Gedenkstätte für Silke Bischoff“ (General-Anzeiger vom 20.08.2003, abgerufen 19.04.2020)
www.welt.de: „Erinnerungsort für Opfer von Geiseldrama wird eingeweiht“ (Die Welt vom 31.03.2019, abgerufen 19.04.2020)
www.haemmerle-tusculum.de: Internetauftritt des Künstlers Franz Hämmerle (abgerufen 19.04.2020)
gladbeck.rnd.de: Umfassende Materialsammlung des RedaktionsNetzwerks Deutschland, „Gladbeck – Ein Verbrechen verändert Deutschland“ (abgerufen 19.04.2020)
www1.wdr.de: Umfassende Materialsammlung im zeitgeschichtlichen Archiv des WDR, „Das Gladbecker Geiseldrama“ (abgerufen 19.04.2020)
ratsinformation.stadt-koeln.de: Eingabe zur Sitzung am 23. September 2008, TOP 2.1 (abgerufen 05.09.2023)