Die über dreihundertjährige Geschichte der Weltfirma Felten & Guilleaume eröffnet aufschlussreiche Einblicke in den Wandel der Wirtschaft, zugleich spiegeln zahlreiche originale Bauten auf dem ausgedehnten Werksgelände in Köln-Mülheim die Entwicklung des Industriebaus. Keimzelle des Unternehmens ist die ab 1682 nachweisbare Seilerei von Hartmann Felten, der nahe dem Kölner Hahnentor ein Geschäft für Seile und Bindfäden unterhielt. Das später so erfolgreiche Unternehmen gründete Johann Theodor Felten mit seinem Schwiegersohn Carl Franz Guilleaume 1820 am Kartäuserwall. Schlüssel zum Erfolg wurde das 1834 im Harzer Bergbau erfundene Drahtseil, das den Abbau in größeren Tiefen bei höheren Förderlasten ermöglichte. Als erste Drahtseilfabrik des Kontinents belieferte Felten & Guilleaume neben dem Bergbau die Rheinschifffahrt, den Brücken- und den Seilbahnbau. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich aus der Drahtherstellung das andere Standbein der Firma: die Kabelproduktion.
Da innerhalb Kölns zu wenig Fläche verfügbar war, ließen Emil und Franz Carl Guilleaume ab 1872 am rechten Rheinufer in der Stadt Mülheim das „Carlswerk“ errichten, das 1874 den Betrieb aufnahm. Architekt war Jean Wüst. Die Halle des Gründungsbaus, später als Drahtzugfabrik I / II genutzt, hatte eine Schauseite zur Schanzenstraße, von der heute noch der Westgiebel mit prägenden Rundbogen über Nischen, Fenstern und Toren steht. In der Giebelmitte ist im unteren Inschriftenfeld schwach der Text „Drahtseilerei von Felten & Guilleaume“ zu erkennen. Auch mehrere Metallsprossenfenster sind erhalten, insbesondere in der nördlichen, originalen Längswand. Die erste Kabelfabrik, später „Kabelwerk II“ genannt, entstand 1876–77, als der reichsweite Aufbau eines unterirdischen Telegrafennetzes den Absatz ankurbelte. Am heutigen Gebäude ist allerdings nur der erst 1890 errichtete Ostflügel aus Backstein bewahrt geblieben, den im Oberschoss erneut Rundbogen- und in den beiden unteren Stockwerken Segementbogenfenster prägen. Innen zeigt das „Stuntwerk“ noch den typischen, alten Industrieraum.
Mit dem Aufkommen des Telefons ab 1876 wurden Kabel aus dem besser leitenden Kupfer statt aus Eisen gebraucht. Felten & Guilleaume erbaute eine Kupferhütte und ergänzte sie 1896–1901 um ein Kupferwalzwerk. Glühende Rohkupferblöcke walzte man dort zu Drähten aus, die dann in der Zieherei dünner und länger wurden. Aus der Ostfassade an der damals noch öffentlichen Zehntstraße sticht das mittlere Hallenschiff hervor, weil sein riesiges Rundbogenfenster den schlichten Giebel beinahe zu sprengen scheint.
Bei der weiteren Expansion des Draht- und Kabelwerks Felten & Guilleaume ging erstmals ein größerer Anteil Aktien aus der Familie in andere Hände über. Mit Emil und Walter Rathenau als Vertretern der AEG saßen dann zwei der bedeutendsten deutschen Unternehmer im Aufsichtsrat. Beim Ausbau des Carlswerks wurde die Zehntstraße ins Gelände einbezogen und dafür weiter östlich die Carlswerkstraße mit der langen Werksmauer angelegt. An der Schanzenstraße errichtete Heinrich Fürth, der neue Architekt des Unternehmen, 1906 noch in zurückhaltenden Formen das Direktionsgebäude: einen dreigeschossigen Backsteinbau, im Erdgeschoss mit gelblichem Werkstein verblendet und an Gebäudekanten und um die Fenster ebenfalls durch hellen Stein akzentuiert. Am Fuß der Treppe, die sich um ein großzügiges, wie ein Lichthof ausgebildetes Treppenauge zieht, stand in einer Nische eine Büste von Franz Carl Guilleaume. Dass die folgenden Neubauten ungleich spektakulärer ausfielen, zeigt das neue Selbstverständnis der Firmenleitung, geht aber auch auf die Stadt Mülheim zurück, die an der Schanzenstraße eine repräsentative Gestaltung wünschte.
Die wuchtige Fassade der 1910 geplanten Hauptverwaltung wird gegliedert durch den Wechsel mächtiger Wandpfeiler aus Backstein mit hellen, von großen Fenstern durchbrochenen Putzflächen. Sie ähnelt der in Berlin von Peter Behrens für AEG und später von Hans Hertlein für Siemens entwickelten Pfeilerarchitektur. Die Respekt einflößende Wirkung entsteht durch monumentale, aber klare, geometrische Formen und nicht durch Ornamentik und Bauschmuck. Insofern deutet sich hier der Übergang vom historistischen Bauen zu den klaren Linien der architektonischen Moderne an. Den Gesamteindruck des ursprünglich viergeschossigen Baus haben die beiden 1950–51 aufgesetzten oberen Stockwerke allerdings verändert.
In noch sachlicheren Formen entstand 1913–14 unmittelbar südlich der Direktion der Stahlskelettbau des Kabelwerks I. Die Sprossenfenster nehmen nun den gesamten Raum zwischen den Backsteinpfeilern ein, die Putzflächen sind auf waagerechte Streifen reduziert, die den Wechsel der Geschosse markieren. An die historisierende Formensprache erinnern am ehesten noch die kräftigen, waagerechten Gesimse und die gegenüber den beiden Seitentrakten zurückspringende Mittelfront. Nach dem Krieg hat man auch hier das originale Dach durch zwei neue Geschosse ersetzt. 2004–05 wurde das Gebäude für Studios und Büros umgebaut. Um die Versorgung mit Kohle und Stahl zu sichern, kaufte sich der Konzern vor dem Ersten Weltkrieg in die Montanindustrie ein. In einem folgenreichen Schritt überließ man dem luxemburgischen Stahlhersteller ARBED für die Lieferung von Halbzeugen ein beträchtliches Aktienpaket. Nach dem Krieg übernahm der Konzern die Firma Meirowsky & Co in Porz, die den Namen „Dielektra“ erhielt, und Clouth in Köln-Nippes. Am Mülheimer Schlackenberg wurde ein neuer Werkshafen gebaut. Nach der Weltwirtschaftskrise kam es 1930 zur strategischen Aufteilung des Konzerns in die Bereiche „Kupfer und Kabel“ sowie „Eisen und Stahl“ für die Drahtherstellung. Der Zweite Weltkrieg brachte die Produktion nur kurz zum Erliegen. Danach entwickelte sich insbesondere durch eine Tochterfirma für Fernmeldeanlagen eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem niederländischen Philips-Konzern. Davon zeugt das neue, 1955 fertiggestellte Kupferwerk mit einer Halle für das Kupferdrahtziehen sowie Büros und Forschungslabors sowie das Kabelwerk III. Da auch der Bereich Drahtseile wieder florierte, wurde 1956 die Neue Seilerei erweitert. 1969 übernahm Philips von ARBED die Aktienmehrheit im Bereich „Kupfer und Kabel“. 1979 wurde das Kölner Werk in die „Philips Kommunikations-Industrie“ eingegliedert, geriet in den großen Umbruch der Kommunikationstechnik und wurde 2007 schließlich von der dänischen nkt-cabels an ein Immobilienunternehmen verkauft.
Der Bereich „Eisen und Stahl“ dagegen rutschte in den Niedergang der europäischen Schwerindustrie, produziert aber als Tochter der Saarstahlgruppe unter dem Namen „Drahtwerk Köln“ noch am alten Standort. Der größte Teil des Werksgeländes von Felten & Guilleaume befindet sich im Strukturwandel. Die seit 1980 verkauften Gebäude und Hallen wurden überwiegend unter Nutzung der historischen Substanz in Büros oder Produktionsstudios für die Medienbranche umgewandelt.
Hinweis Einzelne Fabrikgebäude vom Objekt „Felten & Guilleaume“ sind seit 2003 eingetragenes Baudenkmal (Denkmalverzeichnis der Stadt Köln 2012, Nr. 8611/8612) Das Objekt „Felten & Guilleaume“ ist Bestandteil des historischen Kulturlandschaftsbereiches Deutz, Mülheim (Kulturlandschaftsbereich Regionalplan Köln 353).
Zollingerdach Laut einer entsprechenden Werbung von um 1927 war das Dach zumindest einer der Fabrikhallen von Felten & Guilleaume als so genanntes „Zollbau-Lamellendach“ bzw. „Zollingerdach“ konstruiert, einer Dachkonstruktion nach einer auf den Merseburger Stadtbaurat Friedrich Zollinger (1880-1945) zurückgehenden Systembauweise. Bei dieser Zwischenform von Mansard- und Tonnendach werden vorgefertigte und gleichartige Einzelelemente als rautenförmige Gitterschale zu einem Stabnetztragwerk zusammengesetzt. Markant für diese freitragenden Dächer ohne Balken oder Stützen sind die gewölbten Dachflächen. Der Holzbedarf für den zudem recht einfach zu montierenden Dachstuhl verringerte sich durch diese Bauweise um teils über 40 Prozent. Das Patent Zollingers wurde von einer Deutschen Zollbau Licenz Gesellschaft bzw. im Rheinland ab 1927 von einer Zollbau-Verwertungs-Gesellschaft m.b.H. Köln über lizenznehmende Bauunternehmen verwertet.
(Marco Kieser, LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland, 2015)
Literatur
Buschmann, Walter; Hennies, Matthias; Kierdorf, Alexander (2018)
Via Industrialis. Entdeckungsreise Kölner Industriekultur. S. 95, Essen.
Kieser, Marco / Landschaftsverband Rheinland, LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland (Hrsg.) (2015)
Zollingerdächer der Zwanziger Jahre im Rheinland. Aus dem Nachlass des Architekten Theo Willkens. In: Denkmalpflege im Rheinland, 32. Jg., Nr. 1/2015, S. 22-31. Pulheim.
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