Das wohl im Zeitraum 1708 bis 1715 errichtete Gebäude in der Hauptstraße Nr. 25 ist das Anwesen eines ehemaligen Gerichtsschöffen und war ein Wirtschaftshof des Allerheiligenstifts zu Speyer. Es wird fälschlicherweise auch als Gerichtsgebäude bezeichnet.
An der Vorderseite des Anwesens fällt ein markantes Wappen auf dem Scheitelstein über der Toreinfahrt auf. Es zeigt die Insignien des Allerheiligenstifts zu Speyer. Damit wird das Gebäude als zu dem ehemaligen Kollegiatstift zugehörig gekennzeichnet. Das Allerheiligenstift, auch Dreifaltigkeitsstift genannt, mit der vollen Bezeichnung Kollegiatstift „Sanct Trinitatis ac Omnium Sanctorum“ (Heilige Dreifaltigkeit zu Allerheiligen) zu Speyer, stand dem rechtsrheinisch gelegenen Archidiakonat Trinitatis mit den drei Landkapiteln Weil der Stadt, Grüningen und Vaihingen vor. Das Stift war eines der vier Pfarreien der Stadt Speyer. Probst und Kanoniker des Stifts waren eng mit dem Domstift in Speyer verbunden. Das Stift Allerheiligen hatte nicht nur einen Gutshof, sondern auch einige Grundstücke in Alsterweiler und Maikammer im Besitz. Dazu zählten Weinberge und Wiesen. Zum Teil lagen sie direkt bei dem Alsterweiler Hofgut, z.T. waren sie über die Gemarkung in Alsterweiler, Maikammer und auch in Weinsweiler verteilt.
Neben dem Allerheiligenstift hatten die Stifte St. Guido und Johannes (Speyer) ebenso St. German und Moritz (Speyer) und das Kloster St. Maria Magdalena überm Hasenpfuhl (Speyer) sowie das Klarissinnenkloster St. Klara (Speyer) Grund- und Hausbesitz in Maikammer und Alsterweiler.
Geschichte Pfälzische Stifte und Klöster verfügten in vielen Gemeinden über Besitz an Grundstücken und Gebäuden (Hofgut). Dies gilt auch für Alsterweiler und das Allerheiligenstift in Speyer. Die Erlöse aus diesen Wirtschaftsbetrieben dienten dazu, einen Teil der Kosten des weltlichen und religiösen Betriebs der Klöster und Stifte zu decken. Erste Beziehungen zwischen dem Allerheiligenstift Speyer und den Gemeinden Maikammer, Alsterweiler und Weinsweiler sind bereits für das 14. Jahrhundert belegt. Jedenfalls war Andreas von Oberstein in den Jahren 1439 bis 1450 Probst im Allerheiligenstift. Für diese Zeit werden auch erste Verbindungen der Oberstein zur Kredenburg in Alsterweiler angenommen. Diese Burg gilt als „Stammsitz“ der sog. „Kredenburger Linie“ der Oberstein.
Architektur Die Hofanlage ist ein Dreiseithof. Das heutige Wohngebäude erstreckt sich über das gesamte Grundstück an der Hauptstraße (früher auch: Gemein Gaß). Die Nebengebäude umschließen einen Innenhof, der auch heute noch mit Natursteinpflaster ausgelegt ist. Hinter den Gebäuden schließt sich ein Nutzgarten und ein kleiner Weinberg an. Das Hauptgebäude ist ein Fachwerkbau, der im Zeitraum nach 1708 bis in die Jahre 1715 entstanden sein dürfte. Jedenfalls war das Grundstück nach den Kriegswirren des 17. Jahrhunderts bis zum Jahre 1708 als Hausplatz (freies Grundstück) bezeichnet worden. Die Einschätzung, das Gebäude stamme aus den Jahren 1595, wie auf dem Torbogen angegeben, stimmt demnach nicht. Lediglich der Torbogen selbst stammt wohl aus diesem Jahr. Jedenfalls weist seine reichhaltige Ausstattung auf die Zeit der Renaissance hin.
Auffallend sind im ersten Halbgeschoss die beiden Fenster mit den Schiebesteinen. Sie deuten den dahinterliegenden großen Weinkeller an, dessen Zugang rechts neben dem Hoftor im Innenhof liegt. Über den Schiebefenstern markiert ein umlaufendes Gesimsband das obere Geschoss. Es wird von sechs Fenstern gegliedert. Unterhalb der Fenster sitzen „Gefache“, die das Fachwerkgebäude verzieren. Diese Art der Gestaltung findet sich an keinem anderen Gebäude in Alsterweiler oder Maikammer. Diese Eigenart hat Heimatforscher dazu veranlasst, ein Gerichtsgebäude in dem Anwesen zu vermuten. Auch wurde eine Verbindung zu den Haingeraiden (Waldgenossenschaften) hergestellt. Aufgrund der guten Beurkundung zu dem Anwesen können diese Annahmen jedoch nicht bestätigt werden.
Das mächtige Satteldach mit Dachgauben besitzt eine auffällig breite Traufe (Traufbretter). Sie sitzen nur knapp über den Fensterstürzen. Dieser sehr schmale Abstand Traufe-Fensterabschluss ist ein typisches Gestaltelement der älteren Häuser in der Hauptstraße von Alsterweiler (zu sehen auch am Anwesen gegenüber).
Scheitelstein Der Scheitelstein (Schlussstein) ist als Wappenstein in den Renaissance-Torbogen eingesetzt. Das aufgetragene Wappen zeigt eine schwörende Hand, die auf einem Siegel oder einer Urkunde aufgesetzt ist. Die schwörende rechte Hand (in weiß) richtet Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger nach oben, während Ringfinger und kleiner Finger eingeschlagen sind. Aus Daumen, Zeigefinger und aus den eingeschlagenen Fingern ragen drei Linien hervor. Sowohl die drei aufrechten Finger als auch diese Linien sind als Dreifaltigkeitssymbole zu deuten. Die Hand liegt auf einem Ärmelaufschlag.
Das Wappen ruht auf der Stirn eines goldenen Kopfes mit zwei Engelsflügeln. Ein ähnlicher Engelskopf findet sich am Torbogen des Anwesens Marktstraße Nr.5 in Maikammer, dem sogenannten Gasthaus „Zum Grünen Eppig“. Beiderseits des Wappens sind Zahlen angebracht, auf der linken Seite 15 und auf der rechten Seite 95. Daraus ergibt sich die Jahreszahl 1595. Beiderseits der Zahlen sind Siglen aufgetragen, die zweifelsohne als OO SS zu interpretieren sind. Im Torbogen selbst sind weitere Verzierungen angebracht. Es handelt sich um stilisierte Blattornamente in grün mit roten Mittelpunkt. Eine ähnliche Verzierung (Blattornamente mit Mittelpunkt) findet sich in Maikammer am Anwesen Ecke Hartmannstraße - Friedhofstraße (Hartmannstraße Nr.7). Zum Torbogen wird unter kunsthistorischen Gesichtspunkten ausgeführt: Nr. 27 (Ehemaliges Gerichtsgebäude) Bez. 1595. Hübscher Torbogen mit Profilierung, Rosetten, Diamantbossen und Rankenwerk; am Scheitelstein Engelsköpfchen und Schild mit einer Schwurhand. Gezierte Fenstersockel. Die Kellerfenster zeigen Steinschieber mit Rosetten.
Die am Torbogen eingemeißelten Buchstaben OO SS sind eine sogenannte Sigle. Sie ist die Abkürzung für Omnes Sancti und steht für das Allerheiligenstift (Speyer).
Das Ensemble ist ein eingetragenes Kulturdenkmal.
Das Anwesen war Teil eines architektonischen Rundgangs anlässlich der Brunnenkerwe ONLINE 2021 (20. Juni 2021). Unter dem Titel „Alsterweiler und seine Baukultur“ veranstaltete die Architektenkammer Rheinland-Pfalz, Kammergruppe 10 vier Streifzüge durch den Ort. Kooperationspartner waren der Club Sellemols (Historienfreunde Maikammer-Alsterweiler) und das Projekt Kultur.Landschaft.Digital. Rheinland-Pfalz sowie die Gemeinde Maikammer. Der Architekt Joachim Becker und der Stadtplaner Matthias C.S. Dreyer beschreiben das Anwesen im Streifzug II.
(Matthias C.S. Dreyer, Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd und Club Sellemols, 2017, 2021)
Nachrichtliches Verzeichnis der Kulturdenkmäler Kreis Südliche Weinstraße. Denkmalverzeichnis Kreis Südliche Weinstraße, 23. Mai 2023. S. 70, Mainz. Online verfügbar: http://denkmallisten.gdke-rlp.de/Suedliche Weinstrasse, abgerufen am 16.06.2023
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