Neue Synagoge Aachen

Simon-Schlachet-Gemeindezentrum

Schlagwörter:
Fachsicht(en): Landeskunde, Architekturgeschichte, Kulturlandschaftspflege
Gemeinde(n): Aachen
Kreis(e): Städteregion Aachen
Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Koordinate WGS84 50° 46′ 35,57″ N: 6° 05′ 34,29″ O 50,77655°N: 6,09286°O
Koordinate UTM 32.295.046,42 m: 5.629.006,09 m
Koordinate Gauss/Krüger 2.506.593,87 m: 5.626.792,32 m
  • Neue Synagoge Aachen (2023)

    Neue Synagoge Aachen (2023)

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    Andreas Hörstemeier
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Die Synagoge liegt zentral innerhalb der Stadt Aachen, östlich vom eigentlichen Stadtkern. Über den halbkreisförmigen Synagogenplatz lassen sich nördlich die Schumacherstraße und östlich sowie westlich die Promenadenstraße erschließen.

Die alte Synagoge wurde in den Jahren 1860 bis 1862 auf dem ehemaligen Promenadenplatz erbaut und während der Novemberpogrome vom 9. auf den 10. November 1938 in Brand gesetzt und zerstört. Zur Erinnerung an die Zerstörung wurde 1984 vor der Synagoge ein Mahnmal eingeweiht.
Der Synagogenplatz wurde 1984 umbenannt. Der ehemalige Promenadenplatz war ebenfalls halbkreisförmig mit Anschluss an die Promenadenstraße und die Schumacherstraße. Ältere Stadtpläne zeigen, dass der Platz einst rund war und über ihn vier Straßen erschlossen wurden.
Um das Bethaus und Gemeindehaus der jüdischen Gemeinde an alter Stelle wieder erstehen zu lassen, wurden 1986 im Stadtrat die nötigen Pläne diskutiert. Diese wurde unter der Leitung des Architekten Alfred Jacoby errichtet und im Mai 1995 eingeweiht. Als Bauherr agierte die Stadt Aachen, durch deren Mittel sowie solcher vom Land Nordrhein-Westfalen das Projekt finanziert wurde.

Synagogenbau des 19. Jahrhundert und die Alte Synagoge
Die Synagogenarchitektur des 19. Jahrhundert ist durch orientalische und maurische Stilmittel gekennzeichnet. Der arabisch-maurische Stil wurde in Europa seit Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem durch Reisebeschreibungen wichtiger islamischer Bauten populär. Zudem fand seit dem 17. Jahrhundert eine Kunstdiskussion statt, bei der geklärt werden sollte, ob der maurische Stil als Vorläufer der Gotik zu verstehen sei. Diese Diskussion wurde im 19. Jahrhundert durch den Aufschwung der Neo-Gotik neu entfacht. Diese Popularität verlieh der Wahl des maurischen Stiles für den Synagogenbau eine Legitimität.

Die Alte Synagoge in Aachen wurde vom Architekten Wilhelm Wickop (1824-1908) geplant und 1860 bis 1862 am ehemaligen Promenadenplatz erbaut. Wickop wurde in Köln geboren und entwickelte sich vom Lehrling im Maurergewerbe zu einem Architekten im Stadtbauamt. Im Jahre 1856 ging er als Architekt nach Krefeld, später für sein Lehrerexamen nach Berlin, bis er schließlich an der Gewerbeschule in Aachen die Professur für Zeichnen und Baukonstruktion erhielt. 1894 verließ er die Gewerbeschule. Zu Wickops bedeutendsten Werken gehört neben der Aachener Synagoge auch der große Konzertsaal im Aachener Kursaal.

In den 1850er Jahren beschloss der jüdische Gemeindevorstand mit der Repräsentantenversammlung aufgrund der wachsenden Gemeinde den Bau einer neuen Synagoge. Der Vorsitzende der Gemeinde Isaak Levy nahm 1860 den Plan für den Bau einer neuen Synagoge in Angriff.
Am 7. Dezember 1860 erwarb die Aachener Synagogengemeinde ein 1.300 Quadratmeter großes Grundstück, welches bisher als Garten der Adalbertstraße 41 genutzt wurde. Finanziert wurden die Kosten durch ein Darlehen der Stadtverwaltung, der Aachener und Münchener Feuer-Versicherung und durch die Gemeindemitglieder selbst. Am 18./19. September 1862 zog die Gemeinde aus dem Hirschgraben in die neue Synagoge. Die Einweihung wurde sowohl von der christlichen Bevölkerung als auch von der Presse überwiegend positiv angenommen.

Das Bauwerk besaß einen annähernd quadratischen Grundriss und wies Kombinationen aus islamischen und altmesopotamischen Elementen auf. Es ist anzunehmen, dass sich der Architekt Wilhelm Wickop bei seinem Entwurf am Stil der Kölner Synagoge orientierte, die wenige Jahre zuvor als Werk von Ernst Friedrich Zwirner in Form eines Kuppelbaus im orientalisch-islamischen Stil errichtet worden war. Wickop allerdings schwächte im Vergleich zur Kölner Synagoge die Zweiturmfassade durch Aufsätze ab. Den quadratischen, blockhaften Charakter adaptierte er auf den Aachener Sakralbau. Das dominierende Element des Bauwerkes war die Eingangsfassade mit der Portalnische, welche sich bis zum Dachgesims erstreckte. Hier folgte Wickop dem Vorbild einer mittelalterlichen islamischen Portalarchitektur, welche hauptsächlich bei Moscheen der seldschukischen Zeit (11.–12. Jahrhundert) zu finden sind. Der von einem großen Kielbogenfenster mit Kielbogenblende überwölbte Haupteingang war durch kleine Hufeisenfenster sowie einem Paar Halbsäulen flankiert.
Die beiden in Backstein ausgeführten und nur leicht aus der Flucht hervortretenden Eckrisalite flankierten die monumentale Eingangssituation und beherbergen Treppenhäuser. Schmale Fenster beleuchteten die Treppenhäuser. Eine Orientierung an orientalischer bzw. altmesopotamischer Stadttorarchitektur wurde durch die waagerechte Gliederung durch ornamentierte Stuckbänder sowie durch die Materialwahl der Eckrisalite (unverputzter Backstein) deutlich. Den Abschluss bildete eine vorkragende Gesimszone.
Das Erdgeschoss der Seitenfassaden hatte einfache rechteckige Fenster, während die Fenster des Obergeschosses Rundbögen besaßen. Zwischen den Fenstern waren Tafeln mit hebräischen Inschriften angebracht. Der Innenraum war ursprünglich ein einfacher Sakralbau.
Die Paneele unterteilten die Wandteile zwischen Außenwand und Thoraschrein. Bogen, Zwickel, Rückwand und Umrahmung der Thoranische waren von Ornamenten im islamischen Stil überzogen. Diese Stuckarbeiten hatte der Aachener Künstler Hanquet nach Plänen von Wickop ausgeführt. In einer weiteren Ausstattungsphase erhielt die Synagoge eine Dekorationsmalerei. Die Ausstattung wurde stetig erweitert. Dabei trugen u.a. zahlreiche Geschenke von Gemeindemitgliedern bei.
1868 wurde das Gemeindeverwaltungsgebäude durch den Anbau einer Schule erweitert. Darüber hinaus wurde 1903 eine Emporengalerie in der Synagoge gebaut, welche zur Sitzerweiterung dienen sollte.

Neue Synagoge
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges richtete die Jüdische Gemeinde Aachens 1957 als Übergangslösung einen Gemeindefestsaal und einen Gottesdienstraum in einer alten Patriziervilla in der Oppenhoffallee ein. Es dauerte jedoch noch bis 1986, bis der Aachener Stadtrat beschloss, an historischer Stelle der Alten Synagoge ein Bethaus und Gemeindehaus für die Jüdische Gemeinde erbauen zu lassen. 1984 ist dieser Platz aus historischen Gründen von „Promenadenplatz“ in „Synagogenplatz“ umbenannt und mit einem Mahnmal zur Erinnerung an die zerstörte Synagoge, entworfen von dem Aachener Bildhauer Heinz Tobolla, bestückt worden.
Bauherr der Neuen Synagoge war die Stadt Aachen, die den Bau aus eigenen Mitteln sowie aus Mitteln des Landes Nordrhein-Westfalen finanzierte und ihn anschließend der Jüdischen Gemeinde Aachen K.d.ö.R mit ihren rund 1.300 Mitgliedern als Eigentum übertrug. Am 18. Mai 1995 wurde die Synagoge im Beisein des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau (1931-2006), und des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis (1927-1999), feierlich eingeweiht. Im September 1998 erhielt sie zu Ehren von Simon Schlachet, des 1997 verstorbenen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde und des Jüdischen Landesverbandes, den Namen „Simon-Schlachet-Gemeindezentrum“.

Die Neue Synagoge unterscheidet sich gestalterisch stark vom alten Baukörper. Die Fassade ist konkav an den Synagogenplatz angeordnet und passt sich mit ihrer Schlichtheit an das Straßenbild an. Durch ihre Formgebung sollte der alte Platzgrundriss wieder hergestellt werden. Zudem sollte durch die Schließung der durch den Zweiten Weltkrieg entstandenen Lücke das Quartier repariert werden.
Eine flache Kuppel, die den Hauptsaal überwölbt, gibt dem Bau seinen sakralen Charakter. Zur Platzseite hin öffnet sich eine große einladende Glasfront. Sie soll im Zusammenspiel mit dem an der Fassade angebrachten Satz: „Denn mein Haus ist das Gebetshaus aller Völker“ Offenheit zeigen und dem Betrachter einen Einblick in die jüdische Kultur bieten. Von der Glasfront abgesehen gibt es nur wenige weitere Fenster. Alle geschlossenen Fassadenteile sind mit Sandstein verblendet, was an den Tempel in Jerusalem erinnern und auf die orientalischen Wurzeln des Judentums hinweisen soll.
Durch die Front ist der Gebetsraum als eigentliches religiöses Zentrum klar erkennbar. Seine zylindrische Form ist in einem umlaufenden Raum integriert, an den sich auch weitere Nebenräume angliedern. Dieses religiöse Zentrum ist von außen nicht einsehbar und aus solidem, hellen Mauerwerk. Es bildet den Mittelpunkt des Gebäudes und liegt zwischen Foyer Trakt und dem Hofflügel.

Bei dem Inneren des Gebetsraumes wurde eine schlichte Gestaltung verwendet. Paneelen aus hellem Holz bilden die Wandverkleidung, sodass nicht nur eine besondere Akustik, sondern auch eine warme Atmosphäre erzeugt wird. Der Boden ist mit hellen Steinmosaiken verziert.
Für die weiblichen Gemeindemitglieder ist eine Emporengalerie vorgesehen, die kreisförmig an der Innenwand des Raumes entlang angebracht ist. Auch die Bänke der männlichen Mitglieder laufen kreisförmig in immer kleiner werdenden Radien um das Rednerpodium. Gemeinsam bieten die beiden Ebenen Plätze für 300 Menschen. Auf ein im Zentrum des Raumes platziertes dreistufiges Podest fällt senkrecht Licht durch die flache Glaskuppel, welches von einem Kronleuchter in Form eines Davidsterns gebrochen wird. Auf diesem Podest befindet sich die Bima (= Lesepult).
In einer Achse mit dem Haupteingang der Synagoge befindet sich in einer Nische des Gebetsraumes der Thoraschrein. Er befindet sich damit an der Seite der Gebetsrichtung in östlicher Richtung. Bei dem Architekten handelt es sich um den Frankfurter Professor Alfred Jacoby (geboren 1950). Neben seiner Tätigkeit als Architekt ist er außerdem Autor und Leiter der jüdischen Gemeinde in Offenbach am Main. Er gilt als erfolgreicher Architekt im Gebiet des Synagogenbaus. Weitere Werke sind beispielsweise die Synagogen in Kassel, Chemnitz, Park City (Utah/USA) Darmstadt und Heidelberg. Auch Umbauten von Synagogen gehörten zu seinem Tätigkeitsbereich, so leitete er beispielsweise die Synagogenumbauten in Offenbach und Osnabrück. Bei den Projekten in Aachen, Kassel und Chemnitz verwendete er das gleiche Konzept. Eine Besonderheit dieses Konzepts ist, dass der religiöse Versammlungsraum ins Zentrum der sozialen und kulturellen Aktivitäten gerückt wird.

(Fachhochschule Aachen, 2017 / LVR-Redaktion KuLaDig, 2023)

Internet
de.wikipedia.org: Alte Synagoge Aachen (abgerufen 12.02.2023)
de.wikipedia.org: Neue Synagoge Aachen (abgerufen 12.02.2023)
www.jgaachen.de: Jüdische Gemeinde Aachen (abgerufen 12.02.2023)
deu.archinform.net: Prof. Alfred Jacoby, Architekt (abgerufen 27.03.2023)

Literatur

Barth, Alexander (2012)
111 Orte in Aachen und der Euregio, die man gesehen haben muss. S. 150, Köln. Online verfügbar: digitale-objekte.hbz-nrw.de, Inhalt (PDF), abgerufen am 26.07.2021
Reuter, Ursula (2007)
Jüdische Gemeinden vom frühen 19. bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts. (Geschichtlicher Atlas der Rheinlande, VIII.8.) S. 22-23, Bonn.

Neue Synagoge Aachen

Schlagwörter
Straße / Hausnummer
Synagogenplatz 23
Ort
52062 Aachen
Fachsicht(en)
Landeskunde, Architekturgeschichte, Kulturlandschaftspflege
Erfassungsmaßstab
i.d.R. 1:5.000 (größer als 1:20.000)
Erfassungsmethode
Literaturauswertung, Geländebegehung/-kartierung
Historischer Zeitraum
Beginn 1995

Empfohlene Zitierweise

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„Neue Synagoge Aachen”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-267707 (Abgerufen: 3. Mai 2024)
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