Industriestandort Leuna mit Altstandort Ammoniakwerk Merseburg/Leuna-Werke

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Fachsicht(en): Denkmalpflege
Gemeinde(n): Leuna, Merseburg, Weißenfels
Kreis(e): Burgenlandkreis, Saalekreis
Bundesland: Sachsen-Anhalt
Koordinate WGS84 51° 18′ 13,19″ N: 12° 00′ 5,27″ O 51,30366°N: 12,00146°O
Koordinate UTM 33.290.991,07 m: 5.687.864,73 m
Koordinate Gauss/Krüger 4.500.207,25 m: 5.685.426,77 m
  • Industriestandort Leuna mit Altstandort Ammoniakwerk Merseburg/Leuna-Werke - Eingangsportal Hauptverwaltungsgebäude

    Industriestandort Leuna mit Altstandort Ammoniakwerk Merseburg/Leuna-Werke - Eingangsportal Hauptverwaltungsgebäude

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  • Industriestandort Leuna mit Altstandort Ammoniakwerk Merseburg/Leuna-Werke - Haupttorplatz mit Spergauer Straße und Tor 1 zum Gelände der heutigen Infra-Leuna GmbH

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Der heutige Standort Leuna, betrieben von der Infra-Leuna GmbH, befindet sich auf dem Gelände der Vorgängerunternehmen Ammoniakwerke Merseburg und VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“.
1916, mitten im Ersten Weltkrieg, schloss das Deutsche Reich einen Vertrag mit der BASF zum Bau einer Großanlage für die Ammoniaksynthese in Mitteldeutschland. So sollte die Unabhängigkeit von Importen des Chile-Salpeters sichergestellt werden. Das weltweit erste Werk zur Synthese von Ammoniak war 1913 in Oppau bei Ludwigshafen in der Nähe des Hauptwerkes der Badische Anilin- & Sodafabrik BASF entstanden und ab Mai 1916 baute man im Merseburg das Zweite. Parallel dazu entstand die Gartenstadt Neu-Rössen/Leuna (43000174) zur Unterbringung der Arbeitskräfte. Alle benötigten sozialen Einrichtungen wie Kirchen (43000176, 43000178), ein Ambulatorium (43000056), ein Gesellschaftshaus (43000181) und Schulen (43000179, 43000180), aber auch ein Waldbad (43000183) wurden für die meist zugezogenen Arbeitskräfte geschaffen. Auch in den benachbarten Gemeinden wie Bad Dürrenberg und Merseburg entstanden viele neue Siedlungen und umfassende Infrastrukturen zum Transport, wie die Überland-Straßenbahn nach Halle (43000207) oder die Eisenbahnstrecke zwischen Merseburg und Leipzig-Leutzsch (43000058).
Der im Leunaer Werk im industriellen Maßstab mithilfe der selbst entwickelten Synthese nach Haber-Bosch gewonnene Ammoniak diente zuerst vorrangig zur Herstellung von Stickstoffdüngemitteln und Sprengstoffen für Munition. Aus Ammoniak wurden aber mehr und mehr Produkte entwickelt, für den Einsatz im laufenden Ersten Weltkrieg neben Sprengstoffen auch Kampfgase wie Chlor und Phosgen. Er diente später als Grundlage zur Herstellung von Chemikalien, Fasern, Plastik, Arzneimitteln, Zellstoff und Papier und spielt bis heute eine Rolle bei der Herstellung von Kältetechnik, in der Stahlindustrie und in der Reinigungsindustrie (u.a. Rauchgase). Die von der BASF entwickelten Verfahren zur Ammoniaksynthese und ab 1923 auch zur Methanolherstellung erforderten große Mengen an Wasserstoff sowie Synthesegas aus Braunkohle. Mit der Entwicklung des Winkler-Generators 1924 konnte durch das sogenannte Wirbelschichtverfahren bei der Verkokung feinkörniger Braunkohle die Gewinnung hochwertigen Synthesegases deutlich verbessert werden. Das 1926 patentierte Verfahren wurde zuerst im Leunawerk in Betrieb genommen. Die nun großmaßstäbliche Verwendung der einheimischen Kohle aus den Tagebauen des Geiseltals statt importierter Steinkohle sowie die Leistungssteigerung durch die Winkler-Vergaser sicherten dem Leuna-Werk die Spitzenstellung unter den wichtigsten Stickstoffproduzenten der Welt (vgl. Karlsch 2016, 40–43). Braunkohle war nicht nur Energieträger, sondern auch wichtigster Rohstoff für die Chemieindustrie und die Verfahren von Haber-Bosch und Winkler. Die große Kapazität der Gaserzeugung und die Verfügbarkeit der Rohstoffe ermöglichte die Erweiterung der Produktpalette und der produzierten Mengen.
Infolge der 1925 erfolgten Fusion der größten chemischen Unternehmen Actien Gesellschaft für Anilin Fabrikation (Agfa) Berlin, Badische Anilin & Soda-Fabrik (BASF) Ludwigshafen, Chemische Fabrik Griesheim-Electron Frankfurt am Main, Chemische Fabriken, vormals Weiler-ter Meer Uerdingen, Farbenfabriken, vormals Friedrich Bayer & Co.(Bayer) Leverkusen und Farbwerke, vormals Meister Lucius & Brüning (Hoechst) Hoechst unter dem Dach der neuen Gesellschaft I.G.-Farben-Industrie-Aktiengesellschaft (vgl. Karlsch 2016, 40) wurde auch das Ammoniakwerk Merseburg indirekt Teil des Konzerns. Eine erste Anlage, um synthetische Treibstoffe durch Hydrierung der Kohle nach dem Bergius-Pier-Verfahren herzustellen, wurde schon Mitte der 1920er-Jahre im Leunaer Werk in Betrieb genommen. Hier stand auch ab 1927 die erste Tankstelle, die synthetisches Benzin anbot (43000054). Die Hydrierung oder Kohleverflüssigung zu Kraft- und Schmierstoffen war allerdings energetisch unrentabel und um ein Vielfaches teurer als die Herstellung aus Erdöl. Sie wurde trotzdem ab 1934 nach Gründung der Braunkohlen-Benzin-AG (BRABAG; vgl. Karlsch 2016, 54) unter den Nationalsozialisten ausgebaut und durch vertraglich gesicherte Abnahmemengen und -preise für die Hersteller attraktiv. So konnte die Unabhängigkeit vom importierten Erdöl für den geplanten Krieg sichergestellt werden. Infolgedessen entstanden verstärkt Hydrier- und Schwelwerke, deren Wirtschaftlichkeit nie die der Erdöldestillation erreichte, aber durch den lokal verfügbaren Rohstoff Braunkohle auch noch in der späteren DDR die Unabhängigkeit von Erdölimporten sicherstellten. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Leuna-Werk bedeutender Treibstoff- und Schmiermittelhersteller für die Versorgung der deutschen Truppen.
Die Syntheseprodukte und Verflechtungen mit anderen mitteldeutschen Kokereien und Hydrierwerken ermöglichten es außerdem, im Leuna-Werk eine breit gefächerte organische Chemie aufzubauen. Bis zum Zweiten Weltkrieg entwickelte sich der Standort zum damals größten Betrieb der deutschen Chemieindustrie. Schon 1938 entwickelte man in Leuna auch Caprolactam, einen Grundstoff, aus dem Polyamid 6/Perlon, eine sehr haltbare synthetische Faser, eingesetzt z.B. als Fallschirmseide, gewonnen werden konnte. Auch der anorganische Bereich entwickelte sich ab 1940 mit der Produktion von Tensiden und Weichmachern. Beispielhaft dafür ist die weltweit erste Produktionsanlage zur Herstellung synthetischer Tenside, die 1942 in Betrieb ging. Damit konnte der landesweite Bedarf an Fetten verringert und somit die Kriegswirtschaft entlastet werden. Auch ein Verfahren zur Herstellung von Formaldehyd, später Grundstoff in der Kunststoffproduktion, wurde noch vor 1945 entwickelt.
Zum Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Werk, wie z.B. auch das Mineralölwerk im nahen Lützkendorf, stark bombardiert und nahezu zerstört, durch lebensgefährliche Ausbeutung tausender Zwangsarbeitenden und Kriegsgefangenen in Aufräumtrupps aber immer wieder notrepariert und intensiv verteidigt. Mehrere Lager zur Unterbringung der Zwangsarbeitenden sind nachweisbar, darunter in Daspig (43000223) und Spergau (43000224). Nach Kriegsende wurden die Werke 1946 SAG-Besitz und nach Gründung der DDR dann 1954 in Volkseigentum umgewandelt. Unter dem Namen VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“ wurde das Werk mit bis zu 30.000 Beschäftigten in den folgenden Jahrzehnten zum größten Chemiebetrieb der DDR. Mehrere hundert Produkte wurden hergestellt, man exportierte in etwa 40 Länder.
Unter dem Motto „Chemie gibt Brot, Wohlstand und Schönheit“ beschloss die SED schon 1958 eine starke Steigerung der Produktion von Rohstoffen für die verarbeitende Industrie bis 1965. Nach Beschluss dieses „Chemieprogramms“, das sogar in Leuna verabschiedet wurde, stellte man die Weichen für eine langfristige Umrüstung auf den Einsatz von Erdöl und damit teilweise Abkehr von der Braunkohle als Hauptrohstoff und der Hydrierung am Standort. Dank der „Drushba“-Pipeline konnte ab Ende der 1960er-Jahre Erdöl aus der Sowjetunion über Schwedt/Oder ins Chemiedreieck gepumpt und so ein Teil der Anlagen auf effizientere, auf Petrochemie basierende Produktionsprozesse umgestellt werden. Ab 1959 entstand ein neuer Werksteil (Leuna II) als petrochemischer Komplex westlich der Bahnstrecke nach Halle (Saale). Mitte der 1960er-Jahre wurde hier die erste Crackanlage und nach und nach umfangreiche und immer effizientere Anlagen zur Erdölspaltung („Leuna-Cracker“) und -destillation in Betrieb genommen. So konnten Kunststoffe wie Polyethylen („Mirathen“), aber auch Caprolactam und Butadien in großen Mengen und effizienter als auf Kohlebasis hergestellt werden. Leuna belieferte mit solchen und anderen Erzeugnissen auch den VEB Orbita Weissandt-Gölzau, den VEB Chemische Werke Buna in Schkopau, das Chemiewerk VEB Otto Grotewohl in Böhlen (lieferte seinerseits Produkte des dortigen Naphta-Crackers), den VEB Hydrierwerk Zeitz und den VEB Elektrochemisches Kombinat Bitterfeld (EKB) zur Weiterverarbeitung.
Aufgrund der Preisentwicklung für Erdöl auf dem Weltmarkt wurde in Leuna aber auch in den 1980er-Jahren weiter auf die Karbochemie aus Braunkohle gesetzt. Die Entscheidung um 1974, den Südraum Leipzigs weiter abzubaggern, trug dazu bei.
Die VEB Leuna-Werke betrieben auch umfangreiche Sozialeinrichtungen, die meisten waren bereits mit der Gründung des Werkes entstanden, erfuhren in der DDR-Zeit aber einen systematischen Ausbau. Zum Kombinat gehörten in den 1980er-Jahren neun Kinderkrippen, acht Kindergärten, acht Wohnheime mit mehr als 4100 Betten, eine Betriebspoliklinik, acht Ferienheime und -lager, das Kulturhaus, eine Bibliothek, Sportstätten, 13 Küchen, 12 Verkaufsstellen, drei Wäschereien, eine Konditorei, eine Schuhmacherei, eine Schneiderei und fast 7300 Werks- sowie mehr als 9300 genossenschaftliche Wohnungen in der Umgebung der Werke, darunter in Merseburg und Halle (Saale).
Die Leuna-Werke waren um 1990 mit den bis dahin noch produzierenden Anlagen der Karbochemie einer der größten Umweltsünder. Nach der Wiedervereinigung folgten Anfang der 1990er-Jahre Teilprivatisierung und Abwicklung durch die Treuhandanstalt. Es konnten aber Großinvestoren gefunden werden und 1997 wurde die Raffinerie durch elf Aquitaine komplett modernisiert. Der Bereich technische Gase ging an die Linde AG, nach Modernisierung und Erweiterung belieferte Linde auch Schkopau und Bitterfeld. Seit den 1990er-Jahren entstanden viele neue Produktionsanlagen, das Gelände wird heute als vielfältiger Industriestandort von der Infra-Leuna GmbH bewirtschaftet. Nach und nach entstand so der heutige Industriepark, der verschiedensten produzierenden Chemieunternehmen synergetische Vernetzung am Standort bietet. Zudem befinden sich verschiedene denkmalgeschützte Objekte aus der Gründungszeit des Werkes bis heute auf dem Gelände, darunter das Hauptverwaltungsgebäude (43000175), Wassertürme (43000189, 43000191) und eine ungewöhnlich große Halle zur Lagerung der produzierten Düngemittel (43000190).

Datierung:
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Quellen/Literaturangaben:
  • Steffen Mainka, Merseburg, Leuna, Schkopau und Bad Dürrenberg im Luftbild (Merseburg 2013).
  • https://www.infraleuna.de/standort-leuna/tradition, abgerufen am 27.4.2023
  • InfraLeuna GmbH (Hrsg.), Leuna. 100 Jahre Chemie (Leuna 2016).
  • Steffen Mainka, Merseburg, Leuna, Schkopau und Bad Dürrenberg im Luftbild (Merseburg 2013).

BKM-Nummer: 43000057

Industriestandort Leuna mit Altstandort Ammoniakwerk Merseburg/Leuna-Werke

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Ort
Leuna
Fachsicht(en)
Denkmalpflege
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Keine Angabe
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„Industriestandort Leuna mit Altstandort Ammoniakwerk Merseburg/Leuna-Werke”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/BKM-43000057 (Abgerufen: 27. März 2025)
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