Der römische Vicus
Anhand der archäologischen Untersuchungen, die sowohl zerstörungsfreie geophysikalische Methoden als auch verschiedene Ausgrabungen einschließen, lässt sich folgendes Bild der zivilen römischen Straßensiedlung (vicus) bei Nettersheim zeichnen: Vom Sporn der Tempelanlage „Görresburg“ hinab ins Urfttal zieht sich über die Fläche mit dem Flurnamen „Auf der alten Gasse“ ein etwa 12 Meter breiter, gut erhaltener römischer Straßendamm. Die Straße wird auf einer Länge von über 500 Metern von einer dichten Reihe meist langrechteckiger Häuser gesäumt. Kleine 2009 und 2012 ausgegrabene Testflächen zeigen die außergewöhnlich gute Erhaltung der Befunde in diesem Bereich. Untersucht wurde ein unmittelbar an die Straße angrenzendes, mehrphasiges Gebäude und der daran anschließende, ebenfalls vorzüglich erhaltene Straßendamm mit dem Ansatz eines gegenüberliegenden Hauses.
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Steinrütsch
Am „Steinrütsch“ auf der östlichen Seite der Urft zeichnet sich in den über die geophysikalischen Messungen gewonnenen Bildern ebenfalls die von Gebäuden gesäumte Straße ab. Hier sind aber auch größere Gebäudestrukturen zu erkennen, die sich aufgrund ihrer charakteristischen Grundrisse als Herberge (mansio) bzw. „Platzanlage“ identifizieren lassen. Vermutlich wurde die Zivilsiedlung zur Zeit der schweren Frankeneinfälle in den 270er Jahren durch Brand zerstört. Später war hier eine kleine Militärgarnison stationiert, die den Übergang über die Urft kontrollieren sollte.
Größe und Ausstattung des vicus lassen auf ein städtisch geprägtes Zentrum von überregionaler Bedeutung direkt an der römischen Fernstraße Köln-Trier („Agrippa-Straße“) schließen. Vermutlich handelt es sich hierbei um das in der Tabula Peutingeriana, einer in einer mittelalterlichen Abschrift überlieferten römischen Straßenkarte, verzeichnete Marcomagus. Die besondere archäologische Bedeutung der Funde resultiert aus dem Zusammenspiel von Tempelanlage, Fernstraße, Siedlungs- und Befestigungsbereichen, wohl ergänzt durch römische Gewerbebetriebe, auf engstem Raum. Zu klären bleibt die wirtschaftliche Grundlage der verkehrsgünstig gelegenen Siedlung. Sicher ist, dass sie den umliegenden landwirtschaftlichen Betrieben (villae rusticae) als Marktort diente. Große Mengen von Eisenschlacken, die im gesamten Siedlungsareal zu finden sind, deuten darüber hinaus auf eine intensive Eisenerzverhüttung vor Ort hin.
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Das spätantike Kleinkastell
In der Regierungszeit Kaisers Konstantin (306-337 n. Chr.) stabilisierten sich die zuvor unruhigen Verhältnisse in den nördlichen Provinzen des römischen Reiches. Viele Straßen, Brücken und öffentliche Gebäude wurden erneuert. An den Grenzen und entlang strategisch wichtiger Straßen entstanden neue Kastelle.
Eine dieser verkehrsgeografisch wichtigen Positionen war der Urftübergang der Agrippastraße in Marcomagus. Nach der Zerstörung der Siedlung um 275 n. Chr. wohl in Folge der Frankeneinfälle wurde das Gelände am Fluss einplaniert und eine neue Brücke errichtet.
In der Zeit des Brückenbaus um das Jahr 316 n. Chr. muss auch das kleine Kastell an der „Steinrütsch“ errichtet worden sein. Es ist etwa 60 auf 40 Meter groß und liegt querrechteckig zur Agrippastraße zwischen Urft und Wellerbach. Die Straße führte fortan durch das Kastell – wollte man die Urft auf der Brücke überqueren, so musste man den Militärposten passieren. Das Kleinkastell hatte die Aufgabe, den Personen- und vor allem den Warenverkehr auf der Agrippastraße zu kontrollieren. Es war keine Festung, die langen Belagerungen standhalten konnte oder sollte. Es handelte sich eher um einen befestigten Stützpunkt, von dem aus die Straße und das nähere Umland überwacht werden konnte.
Im Rahmen von Probegrabungen wurden 2009 im Bereich der Umwehrung erste Testschnitte angelegt. 2010 wurde der gesamte Torbereich des Kastells freigelegt. Die Mauer ist in eine mit Brandschutt durchsetzte Planierschicht eingetieft. Die Mauer des Kastells war aus trocken, also ohne Mörtel gesetzten Bruchsteinen gebaut und mindestens 2,5 bis 3 Meter hoch. Ein etwa 3 Meter breiter und 1,5 Meter tiefer Wehrgraben gehörte ebenfalls zur Befestigung. Die massiven Tortürme bestanden aus großen Steinblöcken, die man aus den Ruinen der zerstörten Siedlung geborgen und wiederverwendet hat. Die Tordurchfahrt war so breit (10 römische Fuß = ca. 3 Meter), dass Reisewagen und Lastkarren passieren konnten. Der Mauerverlauf und die Torsituation wurden 2013 über den antiken Befunden sichtbar gemacht.
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Römisches Matronenheiligtum
Das Matronenheiligtum liegt auf einer Bergzunge über der Urft und dem Schleifbach. Ausgrabungen fanden hier 1919, 1976/1977 und 2012 statt. Die heute sichtbaren Mauern stammen von den Restaurierungen 1976/1977.
Der Tempelbezirk besaß einen trapezförmigen Umriss und war von einer Mauer begrenzt. Der Haupteingang lag im Osten, ein weiterer Zugang befand sich der südwestlichen Ecke. Innerhalb des Tempelbezirks sind drei Gebäude belegt, die alle nach Osten ausgerichtet sind.
Der zentrale Tempel hat einen quadratischen Grundriss, etwa sechs Meter mal sechs Meter. Die Wände trugen bei den Ausgrabungen noch weißen Verputz, das Gebäude war ehemals ziegelgedeckt. Auf eine ältere Vorgängeranlage verweist eine steinerne Mauer, die in gleicher Ausrichtung wie der jüngere Tempel angeordnet war; sie umschloß eine Fläche von 8,6 Meter mal 8,6 Meter Größe. Vermutlich wurde in der älteren Anlage ein Kultmal, vielleicht ein Baum, verehrt, bevor man um 160 n. Chr. den steinernen Tempel errichtete.
Südlich des großen Tempels befand sich ein kleineres Gebäude, mit quadratischem Grundriss, 2,1 Meter mal 2,1 Meter groß. Die Innenseiten wiesen Wandverputz auf. Weiter südlich lag noch ein Bau, von dem die Grauwackefundamente nachgewiesen wurden.
In der Nähe des großen Tempels fanden sich zahlreiche Weihungen für die Aufanischen Matronen (Abgüsse von drei Weihesteinen sind vor dem großen Tempel aufgestellt worden). Die Weihesteine zeigen alle die für Niedergermanien typische Dreiheit der Matronen; die datieren in das frühe 3. Jahrhundert. Auffallend ist die Verbindung des Kultes mit den Soldaten der legio I Minervia, die in Bonn stationiert war und in Nettersheim eine Benefiziarierstation unterhielt. In Bonn lag auch das bedeutendste bekannt Heiligtum der Matronae Aufaniae.
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(LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland, 2013/2018)
Hinweise
Der Vicus und das Matronenheiligtum sind eingetragene Bodendenkmäler (LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland Nr. EU 34, EU 35).
Der römische Vicus und die „Görresburg“ sind Bodendenkmal der ArchaeoRegion Nordeifel (Nr. 26).
Das Kleinkastell war Station der Archäologietour Nordeifel 2014. Die römische Straße und der Vicus waren Station der Archäologietour Nordeifel 2018.
Internet
de.wikipedia.org: Görresburg (abgerufen 14.04.2013)
www.nettersheim.de: Archäologie (abgerufen 14.04.2013, Inhalt nicht mehr verfügbar 21.09.2018)