Geschichte
Als Vorgängerbau ist eine St. Kunibertkapelle verbürgt. Dort wurde 1287 der angeblich von Juden in Oberwesel ermordete und am Rheinufer bei Bacharach aufgefundene Knabe Werner aus Womrath, den man in der engeren Umgebung fortan als Heiligen verehrte, bestattet. Die dann an dieser Stelle unter Beibehaltung des alten Patroziniums aufgeführte Wallfahrtskirche war bis zur Reformation stark besucht. Erst unter dem Frühhumanisten und Pfarrer Winand von Steeg (1421-1438), der vergeblich die Heiligsprechung Werners betrieb, kam es zur Fertigstellung. Im Jahre 1425 wurde das Gotteshaus der St. Peterskirche und somit dem Kölner St. Andreasstift inkorporiert. Seit 1558 Patronat des pfälzischen Kurfürsten und als Kirche der Burgbesatzung genutzt. Während des Dreißigjährigen Krieges erfolgte im Jahre 1620 die Entführung der Gebeine Werners durch die Spanier. 1686 fanden die Gottesdienste der neu entstandenen katholische Gemeinde hier statt. 1689 wurde das Gebäude bei der Sprengung der oberhalb gelegenen Burg durch herabfallende Trümmer stark beschädigt. Zwischen 1692 und 1750 fanden mehrfach Reparaturarbeiten statt, danach verfiel die im Jahre 1705 den Katholiken zugesprochenen Kirche weiter. Die malerische Ruine inspirierte schon bald die Rheinromantik. Seit 1847 wird die Ruine von der Denkmalpflege betreut, die den Ruinenzustand in deren Geiste zu bewahren suchte. 1899-1901 und zuletzt 1981-1997 fanden grundlegende Restaurierungen statt, 1995 sogar eine archäologische Grabung.
Gebäude
Der hochgotische Zentralbau erhebt sich über einen Grundriss in Kleeblattform. Der Bau war um 1289 begonnen worden (laut Ablassurkunde), indem man zunächst den felsigen Untergrund zu einer ebenen Fläche abarbeitete, talseitig eine Stützmauer erstellte und um die alte St. Kunibertkapelle herumbaute. In kurzer zeitlicher Abfolge wurden zuerst Süd- (Weihe 1293), dann Ostkonche (Weihe 1337) errichtet, die beide dieselben Steinmetzzeichen aufweisen. Mit Hinzufügung der Nordkonche, des Westarms und der Kreuzrippengewölbe zwischen 1428 und 1436 vollendet. Um 1752/59 wurde die Nordkonche wegen Bergrutschgefahr, 1787 die übrigen Gewölbe und Dächer niedergelegt. Es handelt sich bei dem Gebäude um einen überaus feingliedrigen, bis in die Einzelheiten sehr sorgfältig aufgeführten, außerordentlich qualitätvollen Sakralbau. Um das Vierungsquadrat ordnen sich drei, aus jeweils fünf Seiten eines Achtecks gebildete Konchen und ein sehr knappes Schiff. Der nach Osten gerichtete Hauptchor mit Vorjoch war dem Gottesdienst, die Südkonche der Grablege Werners vorbehalten. Die nördliche diente auch als Eingangshalle. Vom überwiegend abgängigen Westteil, dort ehemals gewölbte Empore (an der Wandgliederung noch ablesbar), ist das polygonale Treppentürmchen auf der Südwestecke erhalten. Die Wandflächen des Rotsandsteinquaderbaus - nur der Westarm aus verputztem Schieferbruchsteinmauerwerk - werden durch die reichen Gliederungen weitgehend aufgelöst. Zwischen den Strebepfeilern (am Ostchor Maßwerkblenden) mit Wimpergen und bekrönenden Fialen öffnen sich Maßwerkfenster über umlaufendem Sohlbankgesims, in der Südkonche dreibahnig mit Dreistrahlmotiv, im Osten vierbahnig mit sphärischen Vierecken. Ein Fenster mit Fischblasenmaßwerk am Chorvorjoch stammt vermutlich von einer Reparatur im 15. Jh. Die Wasserspeier sind in Form fantastischer Tiere gestaltet. Über der Vierung ursprünglich Glockendachreiter. Von dem reichen Hauptportal im Nordosten, einst mit Figurenschmuck, nur noch ein von Blendmaßwerk geschmückter Pfeiler überkommen. Über den Diensten mit Laubkapitellenbefinden sich Gewölbeansätze (Birnstabrippen). Im Südarm mehrere Wandnischen, u. a. Dreisitz und Piscina.
Die Glocke von 1474 befinden sich heute in der St. Josefskapelle. Ursprünglich leiteten Rinnen das Wasser der als wundertätig geltenden Quelle durch den Kirchenraum. Dort wurde im Zuge von Grabung und Restaurierung Bestattungen bis zum frühen 19. Jh. freigelegt und das ursprüngliche Bodenniveau wiederhergestellt. Den Kirchhof stützt auf drei Seiten eine hohe, großteils noch mittelalterliche Futtermauer mit kräftigen Strebepfeilern (1875 wiederhergestellt). Um die Kirche führte der noch nachvollziehbare, teils in den Felsen gehauene Umgang für die Pilger, die so den Zugang zur Quelle erhielten. Im Süden verbindet eine Spitzbogenpforte mit dem Weinberg über dem ehem. Pfarrhof („Posthof“), von der aus eine ansehnliche, rechtwinklig abknickende Begrenzungsmauer nach Westen zieht. In der rückwärtigen Steilwand eine in den Felsen gearbeitete Kammer. Von der Nutzung als Begräbnisstätte wohl seit dem 17. Jh. bis 1890 zeugen mehrere Grabsteine des 19. Jh., einer in gotisierenden Formen für Margaretha Wagner geb. Utsch (um 1860).
Bezüge und Bedeutung
Die funktionalen Beziehungen der Bauteile legen den Vergleich mit den Ostteilen der Marburger Elisabethkirche nahe. Stilistisch erscheinen die Bezüge zum Kölner Dom, zur Oppenheimer Katharinenkirche, aber auch Anregungen von Mainz und vom Oberrhein offensichtlich. Die Ruine der einstigen Wallfahrtskirche korrespondiert in reizvollster Weise mit der zu ihren Füßen gelegenen St. Peterskirche und bestimmt mit der darüber aufragenden Burg Stahleck das Bild der Stadtkrone. Als frühes Dokument des Antisemitismus am Mittelrhein von historischer Bedeutung.
Kulturdenkmal
Die Wernerkapelle in Bacharach wird im Nachrichtlichen Verzeichnis der Kulturdenkmäler im Landkreis Mainz-Bingen geführt (Stand 2025). Der Eintrag lautet:
„Wernerkapelle
Ruine eines hochgotischen Zentralbaus, um 1289 begonnen, zwischen 1428 und 1436 vollendet, 1689 teilzerstört, seit Reparaturarbeiten zwischen 1692 und 1750 Verfall, 1899-1901 und 1981-1997 grundlegende Restaurierungen“.
(Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (GDKE), Mainz, 2025 unter Verwendung eines Auszugs der Denkmaltopografie der Bundesrepublik Deutschland - Kreis Mainz-Bingen, 2007)