Ab den 1950er Jahren erfolgten die Erweiterungen in das neu entstehende Industriegebiet im Bereich Stadersand und Bützfleth an der Elbe.
Die Entwicklung der Industriebahn bis 1950
Der neue Hafen in Stade wurde 1881 in Betrieb genommen. Er löste den alten Hafen ab, der innerhalb der Stadtbefestigung am heutigen Fischmarkt lag. Auf der östlichen Seite des Neuen Hafens hatte die Stadt ein Industriegebiet ausgewiesen, das sich in den folgenden Jahren mit mehreren Fabrikstandorten füllte. Die Firmen nutzten die Nähe zum Hafen, waren ansonsten aber nur über wenig ausgebaute Straßen angebunden. Vor allem die Verbindung zum Bahnhof Stade war umständlich. Die Kehdinger Kreisbahn bot an ihrem nächstgelegenen Haltepunkt Salztor keinen Güterversand an, da die Entfernung zum Bahnhof Stade zu gering war (weniger als einen Kilometer).
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Planungen für den Bau einer Industriebahn gab es bereits in den 1900er Jahren; bis 1914 waren sie baureif. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 und der folgenden Wirtschaftskrise beschloss die Stadt Stade auf Drängen der ortsansässigen Lederfabrik, die Industriebahn vom Stader Güterbahnhof zum sogenannten Bullenhof zu errichten (heute Am Bullenhof). In den Jahren 1919 bis 1920 baute man die neue Bahnlinie. Mittels Handschachtung wurde am Camper Vorwerk Sandboden entnommen, wo bereits beim Bau der Bahnlinie von Stade nach Bremervörde 1893 die Geestkante durchbrochen worden war. Mit einer Feldbahn brachte man den Sand zur Baustelle. Anfang 1921 war die Bahnstrecke fertig gestellt. Die Kosten waren von 210.000 Mark (Kalkulation vor dem Krieg) auf 1,3 Millionen Mark gestiegen.Der Bau der Industriebahn war als Notstandsarbeit angelegt. Es diente dem Anschluss der vorhandenen Betriebe in der Salztors-Vorstadt. Die Fortführung bis zur Elbe bei Stadersand war von Beginn an vorgesehen.
Gleichzeitig wurde Industriegelände zur Pachtung oder zum Kauf angeboten, das an die neue Industriebahn angeschlossen werden konnte. Entsprechende Werbungen wurden in den örtlichen Medien geschaltet.
An der Industriebahn auf der Salztorsvorstadt führten vor dem Zweiten Weltkrieg mehrere Anschlussgleise zu den größeren Firmen. Dazu gehörten die Getreide-, Futtermittel- und Düngemittelhandlung Alfred Johannsen, Viehvermarktungs-Genossenschaft e. G. Stade, die Firma Zuhr und Köllner GmbH (Z&K), die Stader Niederlassung der Bavaria- und St. Pauli-Brauerei Hamburg, die Brauerei-Niederlage der Ettländer Brauerei, die Stader Lederfabrik, die Fa. Hagenah-Borcholte sowie weitere Anschließer. Vor allem die Spezialwagen der Bavaria-Brauerei prägten das Bild der Industriebahn.
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Der 2. Streckenabschnitt ab 1951In den 1950er Jahren wurde das neue Industriegebiet an der Elbe im Bereich Bützfleth und Stadersand ausgeweisen. Für den Bahnanschluss war die Verlängerung des vorhandenen Industriegleises bis Stadersand geplant. Am 7. April 1951 erfolgte der erste Spatenstich für die Verlängerung der Industriebahn. Der Bau war wiederum als Notstandsmaßnahme angelegt, rund 400 Arbeiter, darunter zahlreiche Arbeitslose, konnten somit beschäftigt werden. Die Verlängerung bis zur Mündung der Schwinge bei Stadersand war rund drei Kilometer lang.
Gleichzeitig wurde die alte Strecke bis zum Bahnhof gründlich überholt. Insgesamt kosteten die Baumaßnahmen rund 1,4 Millionen Mark. Zum Bau der neuen Strecke durch die Marsch wurden 125.000 Kubikmeter Sand und Erde bewegt, mehrere Brücken und Durchlässe errichtet. Die Endstation an der Elbe zwar zweigleisig, im Bereich Salztorscontrescarpe legte man einen Betriebsbahnhof mit mehreren Rangiergleisen an (heute aufgehoben, die Gleise sind noch vorhanden, aber nicht mehr an das Durchgangsgleis angeschlossen). Im Bereich Wöhrden wird der Elbdeich durchfahren, mit besonderen Sicherungseinrichtungen für einen notwendigen Hochwasserschutz. Die Schwinge wird auf einer Klappbrücke gequert.
Der Neubau erfolgte im Auftrag der Stadt Stade. Die Deutsche Bundesbahn lieferte das Material für den Oberbau (Gleise, Schwellen, Kleineisen), das Land Niedersachsen und der Kreis Stade leisteten finanzielle Unterstützung.
Die neue Strecke wurde am 11. Februar 1952 feierlich eröffnet. Ein Zug aus drei D-Zug-Wagen, Teile des Samba-Express der Deutschen Bundesbahn, befuhr die neue Bahnstrecke. In Stade war vorwiegend die Dampflokomotive 92 596 dauerhaft im Einsatz, die im Betriebsbahnhof Stade gewartet wurde. Sie hatte auch den Eröffnungszug 1952 gezogen.
Nach Angaben der Deutschen Bundesbahn wäre ein Personenverkehr möglich gewesen, dieser wurde jedoch nicht eingerichtet.
Einer der ersten und wichtigsten Anschließer war die Ölfirma Jung, deren Bunker 100.000 Tonnen Treibstoff fassten. Es war an den Güterbahnhof am Hafen in Stadersand angeschlossen. Zwischen 1958 und 1964 wurde das Ölkraftwerk Schilling errichtet, das mit schwerem Heizöl betrieben wurde. Es lag auf dem Gelände des späteren Atomkraftwerkes.
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Lange Zeit waren das Tanklager und das Ölkraftwerk die einzigen größeren Betriebe, da das Industriegebiet im strukturschwachen Raum an der Unterelbe zunächst nicht angenommen wurde.1967 entschlossen sich die Nordwestdeutschen Kraftwerke, ein Kernkraftwerk neben dem Ölkraftwerk zu errichten. Südlich von Stadersand wurde von 1967 bis 1972 das Atomkraftwerk Stade (AKW Stade) errichtet. Es war bis 2003 in Betrieb. Seit 2005 werden die Anlagen zurückgebaut. Auch das AKW war an die Industriebahn angeschlossen.
Erschließung und Ausbau des Industriegebietes Stade-Bützfleth erfolgten ab 1967, wobei städtische Planungen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgenommen wurden. Gründe waren zum einen die massiven Förderungen durch die Niedersächsische Landesregierung, zum anderen die großen freien Flächen im staatlichen Besitz, verfügbare und qualifizierte Arbeitskräfte sowie die Lage an der Elbe. Der neue Seehafen nördlich von Stadersand wurde zwischen 1969 und 1972 errichtet, Industriefirmen wie DOW Chemical, die Vereinigten Aluminium-Werke AG (VAW; 2006 stillgelegt) und die Aluminium Oxid Stade GmbH (AOS) siedelten sich an.
Land und Kreis Stade stellten die notwendige Infrastruktur her. Auf der Landseite wurden die Gleisanlagen der Industriebahn in die Fabrikanlagen erweitert und als Privatanschließer genutzt. Dow Chemical wurde am 3. Juni 1971 an die Bahn angeschlossen. Den Eröffnungszug aus einem 1.-Klasse D-Zug-Wagen der DB zog eine Diesellokomotive der Baureihe V 60. Im Alltagsbetrieb übernahm die Industriebahn die fertig zusammengestellten Züge und fuhr sie zum Stader Güterbahnhof. Den Betrieb führten Personal und Loks der Deutschen Bundesbahn durch.
Nachdem alle Anlagen der Dow Chemical erfolgreich die Produktion aufgenommen hatten, erfolgte am 17. Mai 1973 die offizielle Eröffnung des Werkes. Dazu fuhr ein Sonderzug mit Ehrengästen und Pressevertretern vom Hamburger Hauptbahn direkt ins Werk auf dem Bützflether Sand.
In den 1980er Jahren wurde zwischen dem Stader Güterbahnhof und Bützfleth eine elektrische Fahrleitung errichtet, die jedoch nicht genutzt wurde und 1996 wieder abgebaut wurden. Es sind zwar Probefahrten überliefert, zu einem regelmäßigen Verkehr kam es jedoch nicht. Als Gründe für die Aufgabe des Betriebes mit elektrischen Lokomotiven wurden die zu hohen Achslasten der Loks und die fehlende Tragfähigkeit der Klappbrücke über die Schwinge beim Yachthafen angenommen.
1994 wurde die IBB Industriebahnhof Stade Brunshausen gegründet, die den Industriebahnhof in Brunshausen betreibt. Von hier wurden die im Stader Seehafen angelandeten Container über die Stader Hafenbahn mit einem täglichen Shuttlezug zum Güterbahnhof Hamburg-Billwerder gefahren. Von hier aus erfolgt der Anschluss an das europäische und asiatische Bahnnetz. Aktuell werden vor allem Chemieprodukte in Ganzzügen mit den entsprechenden Spezialwaggons gefahren.
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1997 nahm man den an der Elbe gelegenen Nord-West-Kai in Betrieb, ein Gemeinschaftsprodukt des Landes Niedersachsen und der Hafenbetriebsgesellschaft Stade (HBG). Landseitig wurde dieser Bereich ebenfalls an die Industriebahn angeschlossen.Das Industriegebiet ChemCoastpark Stade im Norden des Industriegebietes ist durch einen weiteren Rangierbahnhof in Höhe Johann-Rathje-Köser-Straße erschlossen, der vom Bahnhof Brunshausen aus bedient wird.
Seit 2018 werden Pläne für die Errichtung eines stationären LNG-Terminals (Flüssigerdgas) entwickelt. Die Anlage auf dem Gelände des Chemieunternehmens Dow soll dessen industrielle Abwärme zum emissionsfreien Erwärmen des flüssigen LNG und Umwandeln in Gas nutzen. Perspektivisch ist die Anlage so angelegt, dass auch andere Flüssiggase wie Bio-LNG und Synthetic Natural Gas, Wasserstoff oder synthetisch hergestelltes Ammoniak umgeschlagen werden können. Ende 2023 wurde die Baugenehmigung erteilt, der offizielle Spatenstich erfolgte am 28. März 2024. Die Anlage soll 2027 fertig gestellt sein.
2022 kündigte die Bundesregierung aus Anlass des russischen Überfalls auf die Ukraine an, kurzfristig zwei Flüssigerdgasterminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven zu errichten. Später beschloss die Bundesregierung den Bau weiterer Terminals, u.a. in Stade. Zunächst wurde ab November 2022 ein schwimmendes Importterminal als Speicher- und Wiederverdampfungseinheit gebaut. Das neue Hafenbecken mit einem Anleger war Ende 2023 fertiggestellt. Im März 2024 lief die Transgas Force als schwimmendes LNG-Terminal ein, die 2025 wieder abgezogen wurde.
Aktuell werden täglich mehrere Züge von Brunshausen aus zum Stader Güterbahnhof gefahren. In Stade ist dafür eine Diesellokomotive der Baureihe 261 (Voith Gravita) der Deutsches Bahn AG stationiert. Im Güterbahnhof Stade erfolgt das Umspannen auf eine Elektrolokomotive und von hier aus die Abfuhr Richtung Hamburg.
Im Zuge des Weiterbaus der Autobahn A 26 Richtung Drochtersen soll auch die Trasse der Industriebahn verlegt werden, um die Fahrt durch die Stadt zu umgehen. Eine Realisierung ist zurzeit nicht absehbar.
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Lok 1 der Stadtwerke StadeDie Stadtwerke Stade erwarben 1952 eine Diesellokomotive, die Lok 1. Sie diente dem Verschub der Güterwagen auf der Hafenbahn bzw. Industriebahn.
Die zweiachsige Lok vom Typ 55 B der Firma Maschinenbau Kiel (MaK) mit einer Spurweite von 900 Millimetern mit der Fabriknummer 588 wurde 1936 erbaut und am 30. März 1936 vom Marine-Artillerie-Zeugamt Borkum in Dienst gestellt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam sie 1947 zur Borkumer Kleinbahn. 1949 ging sie an einen Hamburger Händler, von dort kam sie 1952 zu den Stadtwerken Stade. Dort wurde sie auf die Normalspurbreite von 1435 Millimetern umgebaut. 1963 ging sie an den Händler Krupp Dolberg in Essen. 1967 konnte sie in Hamburg-Bergedorf Süd auf dem Gelände eines Eisenhandels abgelichtet werden.
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(Claus Weber, Redaktion KuLaDig, 2025)
Hinweise
Der Text beruht überwiegend auf einem Textentwurf von Hans-Otto Schlichtmann, der im Stader Stadtarchiv aufbewahrt wird.
Bei der Darstellung des Streckenverlaufes wurden die firmeninternen Gleise nicht abgebildet. Die Anschlüsse im Bereich Salztorsvorstadt sind nicht mehr vorhanden.
Quellen
Stadtarchiv Stade (StA Stade V.29 Nachlass Schlichtmann Nr. 54)
Internet
www.stadt-stade.info: ChemCoastpark Stade (abgerufen 8.3.2025)
www.loks-aus-kiel.de: Fahrzeugportrait DWK 588 (abgerufen 8.3.2025)
de.wikipedia.org: LNG-Terminal Stade (abgerufen 26.3.2025)