Lage und Gebäudebeschreibung
Vom landwirtschaftlichen Stockgut zur Gastwirtschaft
Das Aufblühen des Gastgewerbes ab der Mitte des 19. Jahrhunderts
Gaststätte, Kaufladen und Metzgerei sowie deren Ende
Quellen
Lage und Gebäudebeschreibung
Das Anwesen Kirchstraße 1 ist ein größerer Gebäudekomplex, der aus mehreren ineinander verschachtelten Gebäudeteilen besteht. Dominierend ist die zweiflüglige Winkelanlage um den Hof. Das Haupthaus, zugleich das älteste der Wohngebäude, steht mit der Giebelseite zur Kirchstraße und verläuft parallel zur Kyllburger Straße in einem Abstand von rund 15 Metern. Es handelt sich um einen fünfachsigen Bau mit einer nahezu regelmäßigen Fensterfront im Obergeschoss. Der Speicher verfügt über einen etwa einen Meter hohen Kniestock, in dem sich oberhalb der Fenster des ersten Geschosses fünf rechteckige Maueröffnungen zur Belüftung befinden. Die ehemalige Haustür liegt in der mittleren Fensterachse. Die Fenster des Erdgeschosses wurden im 20. Jahrhundert für die dahinterliegenden Geschäftsräume umgestaltet.
Der zweite prägende Baukörper für den ungefähr trapezförmigen Hof - und damit das gesamte Erscheinungsbild - ist ein schmaler, langgestreckter Bau, dessen Front im rechten Winkel an die Verlängerung des Haupthauses anschließt. Aufgrund dieser klaren Geometrie der „Schaufassade“, der dazu nicht parallelen Grundstücksgrenze an der Rückseite und der Straße an der linken Giebelseite, ergibt sich eine sehr unregelmäßige, schiefe Grundfläche. Im hinteren rechten Bereich beträgt die Gebäudetiefe weniger als vier Meter, während der linke Giebel zur Hauptstraße hin mehr als sechs Meter breit ist. In diesem Giebel befinden sich im Erdgeschoss zwei breite und im Obergeschoss zwei schmalere Fenster, die jeweils oben mit einem einfachen, durchlaufenden Sims abschließen. Das Erdgeschoss dieses sechsachsigen Gebäudeflügels beherbergte die Gastwirtschaft, während im Obergeschoss die Fremdenzimmer untergebracht waren. Im Gegensatz zum Haupthaus aus dem 18. Jahrhundert entstand dieser Gebäudeteil erst 1867. Das Dach der zweiachsigen Verlängerung des Haupthauses, die als Verbindung zum Seitenflügel diente, war ursprünglich etwas niedriger, wurde aber in der Mitte des 20. Jahrhunderts bis zur Firsthöhe des Haupthauses aufgestockt, so dass das heutige Erscheinungsbild eines siebenachsigen Hauses entstand.
Eine Beschreibung aus dem Jahr 1910 nennt für das Anwesen an der damaligen „Prüm-Bernkastlerstraße bzw. Kyllburgerstraße“ ein Wohnhaus mit landwirtschaftlichen Nebengebäuden, darunter Pissoirs, Abort, eine Scheune, Stallungen und eine Waschküche. Zudem existierte ein angebauter Gebäudeteil, der als Porzellanlager diente, jedoch 1930 abgerissen wurde. Auf der gegenüberliegenden Seite der Kirchstraße war damals schon ein Holzschuppen an das heutige Haus Kirchstraße 2 angebaut. Auf der davor liegenden Wiese (heutige Wiese und daneben befindlicher Abstellplatz der Autowerkstatt Jung) wurde von den Wirtsleuten zur Kirmeszeit ein großes Festzelt aufgestellt. Die ehemals landwirtschaftlich genutzten Nebengebäude hinter dem Haupthaus grenzen an das Anwesen Kirchstraße 3. Um 1930 wurde dort ein Schlachthaus eingerichtet, später dienten diese Nebengebäude nur noch als Lagerraum und Autogaragen. Der heutige Hauseingang am Giebel zur Kirchstraße wurde ebenfalls erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angebracht.
Vom landwirtschaftlichen Stockgut zur Gastwirtschaft
Die Geschichte des heutigen Anwesens der ehemaligen Gastwirtschaft „Oberkailer Hof“ in der Kirchstraße 1 in Oberkail reicht mindestens bis in das 17. Jahrhundert zurück. Erstmals wurde das Schulmeisters Erbgut 1655/56 erwähnt. Damals wurde es als „pfleglos“ beschrieben, was bedeutete, dass es infolge der vorangegangenen Kriegswirren nicht mehr bewirtschaftet wurde. Diese Erwähnung lässt darauf schließen, dass das Anwesen bereits zuvor existiert haben muss. Im Jahr 1687 bewarb sich dann das Ehepaar Peter Berg aus Berg und Elisabeth Brandt aus Kyllburg um die gräfliche Erlaubnis, sich auf dem Schulmeisters-Gut in Oberkail niederzulassen. Daraufhin stellte die verwitwete Gräfin Maria Agatha ihnen einen Hausbrief aus, in dem diese Erlaubnis für sie und ihre Erben erteilt wurde. Elf Jahre später, am 4. Oktober 1698, wird Schulmisch Mattheis als Eigentümer genannt. Er war der Sohn von Peter Berg aus dessen erster Ehe, während Elisabeth Brandt seine Stiefmutter war. Im Jahr 1706 erfolgte die Bestätigung des Hausbriefs für Matthias und seine Ehefrau Anna Friderika durch Graf Carl Franz Ludwig.
Für die nächsten 60 Jahre liegt die Schulmers-Familiengeschichte im Dunkeln. Erst im Maria-Theresia-Kataster von 1766 erfahren wir mehr über die damaligen Bewohner: Haushaltsvorstand war zu dieser Zeit der Ackerer Nikolaus Lamberti (um 1695-1771). Neben seiner Ehefrau Ottilia Gransdorf lebten auch zwei seiner Kinder samt Ehepartnern im Haus: Johann Georg Lamberti (1735-1807) mit Margaretha Densborn sowie Maria Elisabeth Lamberti (1725-1802) mit Johann Zimmer. Zudem wohnten dort Nikolaus Hegener (1724-1790, aus dem Krones-Haus stammend) und seine Ehefrau Agnes Wallenborn (um 1725-1800). Deren Kinder wurden sogar auf den Namen Lamberti getauft. Nikolaus Hegener war vermutlich der Patensohn von Nikolaus Lamberti und führte nach dessen Tod den Hof weiter. Eine Tochter von Nikolaus Hegener und Agnes Wallenborn, Margaretha Hegener/Lamberti (1750–1830), heiratete Johann Matthias Kail (1750–1831) aus Schwarzenborn. Deren Sohn Nikolaus Keil (1776–1834) war zu Beginn der preußischen Zeit Bürgermeister in Oberkail. In seinem Elternhaus betrieb er eine kleine Gastwirtschaft. Er war mit Anna Katharina Funck (1779–1859) verheiratet, die 1840 als Witwe noch im Schulmers-Haus lebte.
Das Aufblühen des Gastgewerbes ab der Mitte des 19. Jahrhunderts
Bereits drei Jahre zuvor, im Jahr 1837, war das Haus jedoch verkauft worden. Neue Eigentümer waren die aus Niedermanderscheid stammende Katharina Berg (1809–1889) und ihr Ehemann Theodor Raskopf oder Raskob (1813–1846). Letzterer wurde zwar im Webers-Haus geboren, hatte jedoch keine Blutsverbindung zur Webers-Familie, da er aus der zweiten Ehe eines angeheirateten Ehemanns stammte. Das junge Ehepaar investierte erheblich in das neu erworbene Anwesen und baute die kleine Gaststube zu einem florierenden Gasthof aus. Der Bau der Bezirksstraße, die durch die Kyllburger- und Wittlicher Straße in Oberkail verlief, brachte viel Verkehr. Später schrieb Katharina selbst: „Der Zufall fremder Handelsleute hat sich bei uns so angehäuft, daß wir gezwungen waren, uns nebst dem großen, geräumigen Wohngebäude sammt daran gelegenen Stallungen, Scheune und Bering rings um dasselbe noch ein zweites nächst daran gelegenes Wohngebäude, Scheune sammt Stallungen, um den Betrag von 800 Thaler anzukaufen, die ebenfalls von meinem Erbgute bestritten wurden, und nun konnten wir das Wohl sämmtlicher Handelsleute für Mann und Pferde befördern, ja wir besaßen jetzt eine Geräumigkeit, daß wir außer unserm Viehe 20 Stück Pferde in unsern Stallungen aufnehmen können.“
Nach dem frühen Tod Theodors wurde seiner Witwe die Konzession für die Gastwirtschaft entzogen, wogegen sie sich zur Wehr setzte. Im Landeshauptarchiv in Koblenz sind mehrere an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz gerichtete Schriftsätze von ihr erhalten. Ihr Bemühen blieb jedoch erfolglos. Nach dem Tod ihres zweiten Ehemanns Joachim Neumann im Jahr 1865 und der Eheschließung ihres Sohnes Wilhelm Raskop 1867 auf Hof Gelsdorf zog Katharina vermutlich ebenfalls dorthin, wo sie 1889 verstarb. Ihr Sohn aus zweiter Ehe, Andreas Neumann (1848-1907), übernahm das zur Erweiterung des Gasthofes angekaufte Müllers-Anwesen (heute Kyllburger Straße 2) und richtete dort eine Schreinerei ein. Seine Enkelin Elisabeth Henrich, geborene Waschbüsch (1925-2017) erlebte die gewerbliche Umnutzung der Gebäude – von einer ehemaligen Schreinerei über ein Zweiradgeschäft mit Werkstatt bis hin zur heute noch bestehenden Autowerkstatt. Das Schulmers-Haus ging vermutlich kurz vor 1867 in den Besitz von Nikolaus Feltes (1834–1902) und seiner Ehefrau Magdalena Daubach (1828–1909) über. Als Mann erhielt Nikolaus die Konzession, die Katharina Raskob zuvor verwehrt geblieben war. Die neuen Besitzer bauten im Jahr 1867 den Seitenflügel an, in dem sich seitdem die Gaststube befindet. Nikolaus Feltes war der Schwager von Anna Maria Raskop (verheiratete Feltes), einer Tochter von Theodor Raskop und Katharina Berg. Der Sohn des Ehepaars Feltes-Daubach, Alexius Nikolaus Peter Feltes (1868–1905), führte die Gaststätte weiter. Nach seinem frühen Tod übernahm seine Witwe Elisabeth, geborene Palzer (*1876), den Betrieb.
Gaststätte, Kaufladen und Metzgerei sowie deren Ende
1921 ging das Anwesen in den Besitz von Theodor Flesch, einem Handelsmann aus Niederkail, über. Dieser richtete im Haupthaus einen Laden („Handlung“) ein und benannte die Gaststätte in „Gasthof zur guten Quelle“ um. Bereits 1929 erfolgte ein weiterer Verkauf an den Metzgermeister Peter Ludowicy (1892–1949) und seine Ehefrau Maria Anna, geborene Schmitz (1892–1962). Neben dem Gasthof betrieben sie eine Metzgerei. In den ehemaligen landwirtschaftlichen Gebäuden wurde ein Schlachthaus eingerichtet, und der frühere Verkaufsladen diente nun als Metzgerei. Ihr Sohn Franz Ludowicy (1926–1957) verpachtete die Gastwirtschaft und führte die Metzgerei bis zu seinem frühen Tod weiter. Zur Sicherstellung der Versorgung des geistig beeinträchtigten und auf Unterstützung angewiesenen Sohnes Peter Ludowicy (1920-1986) wurde das Anwesen im Jahr 1960 auf Rentenbasis an den Bautechniker Heinz Schneevogt (*1920 in Gummersbach) und seine Ehefrau Marianne, geborene Ziewer (1925–2014), verkauft. Zeitweise hatte eine Kyllburger Bäckerei den Laden zum Verkauf ihrer Backwaren angemietet. Nach 1970 führte Marianne mit ihrem zweiten Ehemann Leonhard Densborn (1936–2024) die Gastwirtschaft „Oberkailer Hof“ weiter. Leo hielt die Tradition der Oberkailer Gastwirte aufrecht und betrieb seine Wirtschaft bis ins hohe Alter. Mit seinem Tod im Herbst 2024 verlor Oberkail seinen letzten aktiven Wirt, und die Türen der letzten von ehemals fünf Gaststätten in Oberkail schlossen sich endgültig.
(Jörg Kreutz, Oberkailer Zeitspuren - geschichtlicher Arbeitskreis der Ortsgemeinde Oberkail, 2025)
Quellen
• Kreisarchiv Bitburg: Akten des Standesamtes Oberkail.
• LHAK Bestand 15, Nr. 1052, Maria-Theresia-Kataster 1766.
• LHAK Bestand 15, Nr. 280, Steuerliste 1793.
• LHAK, Außenstelle Kobern-Gondorf; Bestände 734-1104, 736-2291 und 736-3427.
• LHAK Bestand 403, Nr. 3475, S. 513 – S. 556.
• Pfarrarchiv Oberkail und Bistumsarchiv Trier: Kirchenbücher der Pfarrei Oberkail.
• Pfarrarchiv Oberkail: Gebundene Abschrift eines Güterverzeichnisses aus der Zeit um 1700.