Villa Puth in Hattingen-Blankenstein

Schlagwörter:
Fachsicht(en): Kulturlandschaftspflege, Landeskunde
Gemeinde(n): Hattingen
Kreis(e): Ennepe-Ruhr-Kreis
Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Koordinate WGS84 51° 24′ 20,19″ N: 7° 13′ 44,56″ O 51,40561°N: 7,22904°O
Koordinate UTM 32.376.823,62 m: 5.696.419,83 m
Koordinate Gauss/Krüger 2.585.563,13 m: 5.697.488,52 m
  • Die Villa Puth in Hattingen-Blankenstein (2022).

    Die Villa Puth in Hattingen-Blankenstein (2022).

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Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbaute Villa Puth zwischen Sprockhöveler Straße und Wittener Straße geht auf die gleichnamige Fabrikantenfamilie zurück. Die Seilwerke Puth wurden 1848 in der damals noch eigenständigen Stadt Blankenstein/Ruhr (1970 eingemeindet in die Stadt Hattingen) begründet und waren hier bis zu ihrem Konkurs im Jahr 1981 tätig.

Die Seilwerke Puth
Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs
Niedergang der Firma
Die Villa Puth
Angebliches Geister- und Spukhaus
Baudenkmal
Internet, Literatur

Die Seilwerke Puth
Im Jahr 1843 gelangte Heinrich Puth (1821-1912), der sich wohl auf Gesellen-Wanderschaft befand, nach Blankenheim und fand zunächst eine Anstellung bei dem Bergseilermeister Dünnbier. Die 1538 erstmals erwähnte Familie Puth stammte aus Fechenheim bei Frankfurt am Main (d-nb.info).
Nach einem Streit mit Meister Dünnbier machte sich der junge Mann mit seiner 1848 gegründeten Firma Seilwerke Heinrich Puth Kommanditgesellschaft selbständig, die sich nachfolgend rasch zu einem der wichtigsten Arbeitgeber in Blankenstein entwickelte (www.lokalkompass.de). Auf einem von einem Landwirt zur Verfügung gestellten Grundstück errichtete der Jungunternehmer eine Seilbahn (auch Seilerbahn, im Norddeutschen meist als Reeperbahn bzw. Reepbahn bezeichnet), mit der er vornehmlich Förderseile für den Bergbau herstellte, die in diesen Jahren bei den umliegenden Zechen sehr gefragt waren:
„1852 lieferte Puth das erste handwerklich hergestellte Drahtseil. 1859 flatterte ein Großauftrag von der Bergisch-Märkischen Eisenbahn ins Haus: Puth sollte ein drei Kilometer langes Drahtseil herstellen. Doch das überstieg die Kapazität der Produktionsstätte. Er ließ es in den Ruhrwiesen mit tatkräftiger Hilfe zahlreicher Bürger herstellen. In den 1870er Jahren ließ er ein Fabrikationsgebäude für aus England importierte dampfbetriebene Verseilmaschinen errichten.“ (ebd.)
Neben den in der Drahtseilerei mit Verzinkerei produzierten Bergbau-Förderseilen stellte die Puth KG auch Kunstoffseile und gesponnene Haushaltsgarne aus Hanf her sowie für die Landwirtschaft das zum Binden von Stroh-, Heu- oder Silageballen benötigte Sisal-Bindegarn.

Nach dem Tode Heinrich Puths wurde das Unternehmen zunächst gemeinsam von Gustav und Heinrich Puth geführt (vermutlich seine Söhne), bevor Gustav ausschied, an dessen Stelle der in die Familie Puth eingeheiratete Fritz Wengeler trat, der die Firma dann ab 1927 alleine führte (ab 1935 mit seinem Sohn als Teilhaber).
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Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs
Während des Zweiten Weltkriegs waren in Hattingen insgesamt mehr als 10.000 Zwangsarbeiter in mindestens 80 Lagern untergebracht, die auf Bauernhöfen, in Handwerksbetrieben und Unternehmen zu Arbeit versklavt wurden. Alleine bei der Henrichshütte waren mehrere Tausend Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen eingesetzt (Kuhn u. Weiß 2003).
Auch für die vermutlich als „kriegswichtig“ geltenden Seilwerke Puth wird ein firmeneigenes Zivilarbeiterlager angeführt (vgl. Weinmann 1998, basierend auf dem Catalogue of Camps and Prisons in Germany and German-Occupied Territories 1939-1945; hingegen kein eigener Eintrag bei Kraus 1999 u. 2007). Im Jahr 1943 ist im Zusammenhang mit einer ordnungsgemäßen Entwässerung unhygienischer Fäkalien von Lagerinsassen in Hattingen die Rede von einem „betriebszugehörigen Barackenlager“ bei Puth (Hockamp 2000).

Niedergang der Firma
Der Höhepunkt des wirtschaftlichen Erfolgs waren die 1960er-Jahre mit zeitweise mehr als 500 Arbeitern. Zu dieser Zeit wurden auch Stahlseile für die Erdölindustrie und die Schifffahrt produziert. Der Seilerei Puth gelang es als erstem europäischem Unternehmen, knotenfeste Seile aus Synthetik herzustellen (www.lokalkompass.de).
Eine in den 1970er Jahren für 2,5 Millionen DM errichtete moderne Anlage, die Drähte heizen und ziehen sollte, erwies sich als gigantische Fehlinvestition, die letztlich zum Niedergang des Unternehmens führte. Am Ende des Jahrzehnts mündeten die wirtschaftlichen Probleme der Seilwerke in einem Vergleichsverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit vor dem Konkursgericht. Neben einer 1981 zum Zeitpunkt der Konkursanmeldung bereits 7,5 Millionen DM betragenden finanziellen Deckungslücke, machten nun auch Giftstoffe im Boden negative Schlagzeilen. Es folgte eine Anklage wegen Betrugs, in deren Folge sogar der Firmenchef festgenommen wurde. Über den Konkurs des Unternehmens verloren die seinerzeit letzten 150 bei Puth Beschäftigten ihre Arbeit.

Danach lagen das Fabrikgelände und die Produktionsgebäude zunächst brach, bevor das Areal 1998 von der größten Wohnungsgenossenschaft im Ennepe-Ruhr-Kreis, der Wohnungsbaugenossenschaft Hattinger Wohnstätten eG (hwg), ersteigert wurde. Nach einer Sanierung der Altlasten erfolgte der weitgehende Abriss der Fabrikbauten. Für den ab 2003 entstandenen Wohn- und Einkaufskomplex des Quartiers Puth wurden eine alte Bruchstein-Fassade und die Werkstatt erhalten und baulich integriert.
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Die Villa Puth
Die früheren Villen der Familienmitglieder stellen die letzten baulichen Zeugnisse der Fabrikantenfamilie Puth in Blankenstein dar.
Die im Jugendstil als Sandsteinbau errichtete Villa Puth zwischen Sprockhöveler und Wittener Straße wurde wohl von Gustav Puth in Auftrag gegeben und ab 1906 erbaut (der Bauschein datiert auf den 8. Mai jenen Jahres; anderen Angaben zufolge erfolgte der Baugbeginn erst 1911, vgl. www.waz.de).
Laut dem Hattinger Denkmalpfleger Jürgen Uphues wird als planender Architekt Gustav Utermann aus Düsseldorf angenommen, auf den auch andere Sandsteinbauten in Blankenstein zurückgehen.

Gustav Puth hatte in der Villa noch 1932 mit seiner Frau Pauline die Goldene Hochzeit gefeiert, bevor er vier Jahre später in dem Haus starb.
Nachdem Fritz Wengeler das Gebäude zwischenzeitig abgestoßen hatte, ging es später wieder an die Familie Puth zurück und wurde schließlich um 1980 im Zuge des Firmenkonkurses an eine Bauträger-Gesellschaft verkauft. Heute ist das Gebäude wieder in privatem Besitz und beherbergt Wohnungen.
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Angebliches Geister- und Spukhaus
Immer wieder tauchen Geschichten auf, laut denen es in dem Haus spuke. In der Villa sollen demnach seltsame Geräusche zu hören sein und der „alte Puth“ gehe hier mit seinen Hunden als Gespenst um - er verschwinde aber sogleich, wenn man ihn anleuchtet (Sondermann 2007).

Baudenkmal
Als einzige der Villen in Blankenstein, die auf Angehörige der Familie Puth zurückgehen, wurde die Villa Puth in der Wittener Straße 6 mit Eintragung vom 29. August 1986 unter der Nr. A-283 als Baudenkmal in die Denkmalliste der Stadt Hattingen aufgenommen (www.hattingen.de, S. 8).
Der Wunsch auf die Unterschutzstellung als Denkmal geht auf einen Eigentümer zurück, der die Villa darüber retten und als Zeugnis einer Fabrikantenvilla aus der Jahrhundertwende erhalten wollte. Zuvor hatte ein Voreigentümer bereits Pläne zur Neugestaltung der historischen Fassade geschmiedet, was der Käufer aber auch für die Zukunft verhindern wollte (www.waz.de).

Neben der Villa Puth erinnern in Blankenstein heute noch die beiden nur wenige hundert Meter entfernten Straßen Seilerweg und Heinrich-Puth-Straße an das Handwerk des Seilmachens, die hier einst bedeutende Drahtseil-Industrie und die Familie Puth.

(Franz-Josef Knöchel, Digitales Kulturerbe LVR, 2024)

Internet
www.hvb-blankenstein.de: Heimatverein Blankstein e.V., Rundgang durch den historischen Ortskern, Seilwerke Puth (abgerufen 22.01.2024)
www.waz.de: Hattinger Denkmäler, Rettung für die Jugendstil-Fassade (Text Sabine Weidemann, 12.06.2015, abgerufen 22.01.2024)
www.lokalkompass.de: Wir sind Hattinger: Heinrich Puth (Text Dr. Anja Pielorz, 23.03.2017, abgerufen 22.01.2024)
www.hattingen.de: Denkmalliste der Stadt Hattingen (Stand März 2017, PDF-Datei, 62 kB, abgerufen 22.01.2024)
de.wikipedia.org: Seilwerke Puth (abgerufen 22.01.2024)
de.wikipedia.org: NS-Zwangsarbeit in Hattingen (abgerufen 22.01.2024)
d-nb.info: Katalog der Deutschen Nationalbibliothek, Familie Puth (abgerufen 22.01.2024)
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Literatur

Hockamp, Karin (2000)
"Hunderte von Ausländern aller Sorten". Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs im Gebiet der heutigen Stadt Sprockhövel und im ehemaligen Amt Haßlinghausen nach Quellen der Stadtarchive Hattingen und Sprockhövel. In: Beiträge zur Heimatkunde der Stadt Schwelm und ihrer Umgebung, Neue Folge 49, S. 117-128. Schwelm.
Kraus, Stefan (2007)
Stätten Nationalsozialistischer Zwangsherrschaft. (unter Mitarbeit von Walter Rummel). (Geschichtlicher Atlas der Rheinlande, V.13.) Bonn.
Kraus, Stefan (1999)
NS-Unrechtsstätten in Nordrhein-Westfalen. Ein Forschungsbeitrag zum System der Gewaltherrschaft 1933-1945, Lager und Deportationsstätten. (Schriften zur Bodendenkmalpflege in Nordrhein-Westfalen 4.) Essen.
Kuhn, Anja; Weiß, Thomas / Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Hrsg.) (2003)
Zwangsarbeit in Hattingen. Essen.
Sondermann, Dirk (2007)
Hattinger Sagenbuch. Bottrop.
Weinmann, Martin (Hrsg.) (1998)
Das nationalsozialistische Lagersystem. 3. Auflage. Frankfurt am Main.

Villa Puth in Hattingen-Blankenstein

Schlagwörter
Straße / Hausnummer
Wittener Straße 6
Ort
45527 Hattingen - Blankenstein
Gesetzlich geschütztes Kulturdenkmal
Ortsfestes Denkmal gem. § 3 DSchG NW
Fachsicht(en)
Kulturlandschaftspflege, Landeskunde
Erfassungsmaßstab
i.d.R. 1:5.000 (größer als 1:20.000)
Erfassungsmethode
Literaturauswertung
Historischer Zeitraum
Beginn 1906 bis 1911

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Empfohlene Zitierweise
„Villa Puth in Hattingen-Blankenstein”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-351794 (Abgerufen: 15. Mai 2024)
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