Die Ausrufung einer „Rheinischen Republik“ am 21. Oktober 1923 führte in den folgenden Monaten zu heftigen Aktivitäten und Kämpfen in vielen rheinischen Orten, so auch im Raum Bonn und im Siebengebirge. Einige Orte bewahren markante Relikte oder Erinnerungen an diese Geschehnisse und ihre Nachwirkungen.
Am Abwehrkampf gegen die Separatisten hatten sich viele freiwillige Mitstreiter beteiligt - zeitgenössische Schätzungen sprechen von mehr als tausend Männern. Für die meisten von ihnen blieb es allerdings bei der reinen Bereitschaft, denn die wenigen Kampfhandlungen beschränkten sich auf kleinere Scharmützel, die aber dennoch insgesamt 16 Todesopfer forderten. Es spricht vieles dafür, dass der Schutz des Eigentums gegen Plünderungen das wichtigste Motiv der „Abwehrkämpfer“ war. Mit zunehmendem Abstand wurde das Geschehen politisch so gedeutet, dass hier eine große Schlacht für nationale Interessen geschlagen und gewonnen worden war. Ein eindeutiges Zeugnis für diese Interpretation stellt das Oberpleiser Kriegerdenkmal dar. Neben der eigentlichen Widmung zum Gedenken an die gefallenen Oberpleiser Teilnehmer des Krieges 1914-1918 wurde die Abwehr der Separatisten 1923 in den gleichen Kontext patriotischer „Heldentaten“ mit aufgenommen: Im Zentrum des Denkmals steht die mittelalterliche Kirchenglocke, die beim Sturmläuten gegen drohende Plünderungen beschädigt und unbrauchbar geworden war. Die Einweihung erfolgte im feierlichen Rahmen nach dem Gottesdienst am Sonntag, 11. Mai 1930.
Die Glocke selbst hat eine eigene Geschichte. Sie wurde - dem Glockengießerzeichen zufolge - im 14. Jahrhundert in Utrecht gegossen. Eine Inschrift weist sie aus als Eigentum nicht der Siegburger Propstei, sondern der Pfarrgemeinde:
sum villanoru(m) salte(m) sed non monachorum man sal mich ludin zu sturme rex glorie xre(Christe) veni cum pace
[Übersetzung: „Ich bin Eigentum der Dorfbewohner und nicht der Mönche. Man soll mich zum Sturm läuten. O König der Herrlichkeit, Christus, komme mit Frieden.“]
Die ungewöhnliche Betonung des Eigentumsverhältnisses erklärt sich daraus, dass die ehemalige Oberpleiser Pfarrkirche offenbar nicht über einen geeigneten Glockenstuhl verfügte. Dieser Kirchenbau stand - bis zu seinem Abriss in der Folge der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts - auf dem heute freien Platz gleich neben der Propsteikirche. Im ausgehenden Mittelalter nutzte daher die Pfarrgemeinde die Nachbarschaft der bedeutend größeren Klosterkirche, indem sie ihre Glocke dort unterbrachte. Zur Sicherheit ließen die Auftraggeber aber auch die Dokumentation des Besitzverhältnisses unauslöschlich in die Wandung der Glocke eingießen. Möglicherweise aus dem gleichen Grunde der Mitnutzung eines fremden Glockenstuhls enthält die Inschrift auch einen Hinweis auf die weltliche Zweckbestimmung der Alarmierung im Falle von Gefahr. Dieser Teil der Inschrift sollte später als Zeichen der Erfüllung einer göttlichen Vorhersehung interpretiert werden. 1924, also im Folgejahr der separatistischen Unruhen, erschien eine Denkschrift „Die alte Sturmglocke von Oberpleis“. In Form einer vielstrophigen Dichtung des Oberpleiser Bürgers Werner Heinen werden darin die Geschichte der Glocke und ihre Bedeutung für das Dorfleben erzählt - bis hin zur Erfüllung einer Vorsehung, aber dennoch im Tenor großer Trauer um ihren Verlust.
Vermutlich in Kenntnis um den jugendlichen Übereifer, dem am 16. November 1923 die Beschädigung zu verdanken war, bleibt die Textpassage zur Ursache nur sehr allgemein:
Durch die üppigen Gefilde Zogen fremde Räuberhorden. Um zu sengen und zu brennen Um zu schänden und zu morden.
Die spätere Neubewertung und Politisierung des Gedenkens bis hin zur Vereinnahmung für nationalsozialistische Propagandazwecke spiegelt sich in Neuausgaben dieser Denkschrift 1933, nach erfolgter Integration der Glocke in das Kriegerdenkmal. Nunmehr bietet die Textpassage eine eindeutige Schuldzuweisung:
Und des bösen Nachbarn Hände Griffen gierig nach dem Rheine, Hoffend, daß das schöne Rheinland sich dem Frankenreich vereine.
Doch je mehr die welsche Habsucht Unser reiches Land begehrte, Um so herrlicher die Treue Seiner Söhne sich bewährte.
Ein Reparaturversuch in den 1920er Jahren, bei dem ein Segment aus dem unteren Glockenrand entfernt wurde, blieb erfolglos und konnte den Klang nicht wiederherstellen; das fehlende Stück ist heute im Siebengebirgsmuseum zu sehen. In späteren Jahren wurden zwar Techniken entwickelt, die wahrscheinlich eine Reparatur der Glocke ermöglicht hätten. Unter Rücksicht auf ihre neue Zweckbestimmung blieb die Glocke jedoch an ihrem Platz im Denkmal.
(Elmar Scheuren, Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz, 2023)
Literatur
Scheuren, Elmar (2017)
Besatzung, Not und "Separatisten" - Aufruhr in Aegidienberg.. In: Bürgerverein Aegidienberg e.V. (Hg.): Aegidienberg - Unsere Heimat im Naturpark Siebengebirge, S. 210-220. Aegidienberg.
Stadt Königswinter (1993)
Separatisten im Siebengebirge - Die "Rheinische Republik" des Jahres 1923 und die "Schlacht" im Siebengebirge. zur gleichnamigen Ausstellung im Siebengebirgsmuseum der Stadt Königswinter, 16.11.1993 - 23.1.1994. In: (Hg., Red.: Elmar Scheuren, Christoph Trapp), Königswinter.
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