Synagoge Ringstraße in Hottenbach

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Fachsicht(en): Landeskunde
Gemeinde(n): Hottenbach
Kreis(e): Birkenfeld (Rheinland-Pfalz)
Bundesland: Rheinland-Pfalz
Koordinate WGS84 49° 49′ 29,28″ N: 7° 17′ 50,6″ O 49,8248°N: 7,29739°O
Koordinate UTM 32.377.539,07 m: 5.520.542,02 m
Koordinate Gauss/Krüger 2.593.397,70 m: 5.521.729,78 m
  • Video mit einer Rekonstruktion der Synagoge in Hottenbach (2022)

    Video mit einer Rekonstruktion der Synagoge in Hottenbach (2022)

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    Produktion: Thomas Schneider
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    Thomas Schneider
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  • Erläuterung "Die virtuelle Rekonstruktion der Hottenbacher Synagoge" von Christoph Pies

    Erläuterung "Die virtuelle Rekonstruktion der Hottenbacher Synagoge" von Christoph Pies

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    Ortsgemeinde Hottenbach
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    Christoph Pies
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  • The last Chasan in Hottenbach / Der letzte Vorbeter in Hottenbach (2021)

    The last Chasan in Hottenbach / Der letzte Vorbeter in Hottenbach (2021)

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    Marianne Katz und Joslynne Halibard
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    Marianne Katz; Joslynne Halibard
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  • Historische Postkarte aus Hottenbach mit einer Darstellung des Ortes und u.a. der jüdischen Synagoge Hottenbach (um 1900)

    Historische Postkarte aus Hottenbach mit einer Darstellung des Ortes und u.a. der jüdischen Synagoge Hottenbach (um 1900)

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    Ortsgemeinde Hottenbach
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  • Historischer Zeitungsausschnitt mit Stellengesuch für eine Anstellung als Religionslehrer in der jüdischen Synagoge Hottenbach (um 1900)

    Historischer Zeitungsausschnitt mit Stellengesuch für eine Anstellung als Religionslehrer in der jüdischen Synagoge Hottenbach (um 1900)

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  • Historischer Zeitungsausschnitt aus der Zeitung "Israelit" mit Stellengesuch für eine Anstellung als Religionslehrer in der jüdischen Synagoge Hottenbach (um 1900)

    Historischer Zeitungsausschnitt aus der Zeitung "Israelit" mit Stellengesuch für eine Anstellung als Religionslehrer in der jüdischen Synagoge Hottenbach (um 1900)

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Im Backsteingebäude in der Ringstraße 45 befand sich bis in die 1930er Jahre die Synagoge der jüdischen Gemeinde in Hottenbach, aber ebenso zeitweise die jüdische Schule und die Lehrerwohnung. Somit fungierte das Haus als Stätte des Gebets, Lernens und der Begegnung. Hier wurden die hebräische Sprache, religiöse Riten, jüdische Werte und die jüdische Religion am Leben gehalten. In seiner wechselvollen Geschichte wurde das Gebäude nach der vermutlichen Auflösung der jüdischen Gemeinde im Jahre 1927 noch bis 1937 von der jüdischen Familie Braun bewohnt. Danach wollte die Ortsgemeinde das Gebäude kaufen, um es für die Hitlerjugend (HJ), den Bund Deutscher Mädels (BdM), die NS-Frauenschaft oder als Kindergarten zu nutzen. Dies wurde ihr von der NSDAP untersagt. Während der Reichspogromnacht (9./10. November 1938) stand das Gebäude vermutlich leer.

Objektbeschreibung
Am Standort des heutigen Hauses befand sich ein Vorgängergebäude aus dem Jahre 1796. Diese in Fachwerkbauweise errichtete Synagoge hatte auf der Frontseite eine repräsentative Fassade mit zwei hohen Rundbogenfenstern und einem Dreiecksgiebel. An der linken Seite der Synagoge war zudem ein Schulhaus mit Lehrerwohnung angebaut. Die Anordnung der fünf Fenster sowie der Eingangstür des heutigen Wohnhauses stimmen noch mit der Fassadengestaltung des Vorgängerbaus überein. Im Jahr 1897 fiel das Gebäude einem Brand zum Opfer. Spätestens im Jahre 1900 wurde das heutige Gebäude als Backsteinbauwerk errichtet und erinnert bis heute an seine ursprüngliche Funktion.

Das Innere des Gebäudes hat sich im Lauf der Zeit stark verändert; die Sakralgegenstände wurden vernichtet, gestohlen und wohl auch vergraben. Eine Besonderheit ist jedoch geblieben: Im Keller befindet sich eine der wenigen heute noch erhaltenen rituellen Tauchbäder, eine sogenannte Mikwe.

Jüdisch-religiöses Landleben
Ende des 18. Jahrhunderts war die jüdische Gemeinde in Hottenbach bereits so zahlreich, dass sie im Jahre 1796 eine Synagoge mit Mikwe erbauen und damit ein Zentrum des religiösen Gemeindelebens etablieren konnte. Voraussetzung für einen Gottesdienst im traditionellen Judentum war und ist die Anwesenheit von 10 religionsmündigen Männern. Ein ausgebildeter Rabbiner (Hebr. „Meister, Lehrer“) ist nicht erforderlich. An den in Hottenbach stattfindenden Gottesdiensten nahmen auch die jüdischen Bewohner der Nachbardörfer Stipshausen und Lindenschied teil. In der Regel wurden die Gottesdienste von einem Religionslehrer geleitet, der meist auch zugleich als Schächter (Schochet) und Kantor (Chasan) fungierte. Der Lehrer war deshalb in religiöser und sozialer Hinsicht eine zentrale Person innerhalb der jüdischen Gemeinde: Häufig war er weit herumgekommen, hatte in seltenen Fällen studiert oder bei älteren Lehrern praktische Erfahrungen gesammelt. Er konnte Hebräisch und nahm für sich in Anspruch die Autorität für die jüdische Gemeinde zu sein. So behielt er sich vor, in Bezug auf die religiösen Praktiken, das Vermitteln von Heiraten oder rituelle Handlungen - wie beispielsweise das Schächten von Tieren - weisungsgebend zu sein. Dies führte innerhalb der traditionsbewahrenden jüdischen Landgemeinden oftmals zu erbitterten Diskussionen und gerade auch in Hottenbach zu ständig wechselnden Lehrerbesetzungen. Die Lehrer wurden oft von mehreren jüdischen Gemeinden bezahlt („Wanderlehrer“), die armen Landgemeinden konnten sich meist keinen eigenen „leisten“. Dennoch wohnte in Hottenbach zeitweise Rabbiner Hirz Kann (1771 - 1836), der in der Feudalzeit sponheimischer Landesrabbiner war. Er war einer der wenigen, die eine Talmudschule besucht hatten und staatlich anerkannt war. In der Franzosenzeit betraf sein Amtsbereich das Arrondissement Birkenfeld, nach dem Wiener Kongress (1815) erlaubte das nun oldenburgische Fürstentum den Juden ihren Rabbiner beizubehalten.

Auch eine Elementarschule, das heißt eine Privatschule für jüdische Kinder und Jugendliche, bestand in Hottenbach aufgrund der finanziellen Lage nur zeitweise. Ansonsten waren sie gezwungen, die christliche Schule zu besuchen und zusätzlich am Religions- und Hebräisch-Unterricht in der Synagoge teilzunehmen. Diese Form des bikulturellen Unterrichts wurde im Jahre 1868 von mehr als 30 Kindern in der Hottenbacher Synagoge wahrgenommen.

Die jüdische Schule und die nichtjüdische Bevölkerung
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Schule oft eine Elementarschule, das heißt neben Hebräisch und Religion unterrichteten die Lehrer auch Schreiben, Lesen und Rechnen. In der zweiten Hälfte hatte die Schule meist nur den Status einer Religionsschule. Die jüdische Landbevölkerung sah den Besuch ihrer Kinder in der christlichen Schule sehr kritisch, dort wurde zum Beispiel auch am „Schabbes“ (auch Sabbath genannter Ruhetag) unterrichtet. So füllt diese Schulbesuchsfrage viele behördliche Akten.

Ganz alltägliche Dinge wie die Bereitstellung von Brennholz, die Anschaffung von Tafeln und Schulbänken sowie die Inspektion der jüdischen Schule durch christliche Ortspfarrer führten zusätzlich zu weiteren Konflikten. Entsprechend ihrem Einkommen mussten die jüdischen Familien ihren Beitrag zur Entlohnung des Lehrers oder des Synagogengebäudes leisten, staatliche Zuschüsse flossen nur in wohlwollenden Ausnahmefällen durch die Zivilgemeinde. So ergaben sich ständige Konfliktpotentiale im Zusammenleben zwischen jüdischen und nichtjüdischen Bürgern.

In amtlichen Dokumenten und auch im Volksmund wird die Synagoge oft als „Jude(n)schul“ bezeichnet, ein Begriff, der auf die jiddische Sprache im Osten Europas zurückgeht und mit „Schul“ die Synagoge bezeichnete. Der Begriff verweist also auf ein jüdisches Gotteshaus, aber auch auf eine Schule im heutigen Sinne. Der lokale Ausspruch „Hier geht es zu wie in einer Juddeschul“ deutet auch auf die Synagoge als Ort hin, in dem es bei den notwendigen Diskussionen lebhafter zuging als in einer christlichen Kirche und in der zudem eine fremde Sprache gesprochen wurde. Solche Begriffe und Redensarten verweisen auf die jüdische Minderheitensituation in der christlichen Mehrheitskultur, bedeuten aber gleichzeitig auch eine Abwertung und sind wesentliche Bestandteile des ländlichen Antisemitismus.

Das Ende jüdischen Lebens
Unter der starken Abnahme des jüdischen Bevölkerungsanteils in Hottenbach bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts litt auch die jüdische Bildung. Während im Jahr 1824 161 jüdische Bewohner in Hottenbach lebten, ging die Zahl auf 127 (1875) und 41 (1907) zurück. Gegen Ende des 19. Jh. gehörten die Juden von Hottenbach, Stipshausen, aber auch die von Bruchweiler, Sensweiler und Wirschweiler zur Synagoge Hottenbach.

Im Jahre 1907 war die Gemeinde nicht mehr in der Lage einen eigenen geprüften Religionslehrer zu bezahlen. Sechs Jahre später gab es nur noch zehn jüdische Kinder, sodass der Betrieb einer Religionsschule eingestellt wurde und die jüdischen Kinder eine christliche Schule besuchen mussten. Im Schuljahr 1932/33 gab es nur noch drei jüdische Kinder im Ort: Irma, Theo und Alfred Braun.

Wie sämtliche Synagogen und jüdische „Betstuben“, wurde auch die Synagoge in Hottenbach während der Pogromtage im November des Jahres 1938 Opfer von Gewaltübergriffen. Im Gegensatz zu vielen anderen Bethäusern wurde das Synagogengebäude in Hottenbach allerdings nicht angezündet und zerstört, wohl, weil schon eine nicht-jüdische Familie darin wohnte. Über die genauen Vorgänge gibt es verschiedene Erzählvarianten: Hilde Weirich berichtet in ihrem Standardwerk „Juden in Hottenbach und Stipshausen“ (1998) unter Berufung auf Augenzeugen, SA-Männer aus Hottenbach hätten am Abend des 9.11.1938 das Gotteshaus zertrümmert und die im Giebel angebrachten Zehn-Gebots-Tafeln in Stücke geschlagen. Zweifelhaft ist jedoch die Aussage, die Torarollen und Gebetbücher seien geschändet und auf dem jüdischen Friedhof vergraben worden. Letzteres ist eine Geste des religiösen Respekts gegenüber unbrauchbar gewordenen Schriften, die von jüdischen Gläubigen bis heute ausgeübt wird.

Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass drei Torarollen bei der vermutlichen Auflösung der Gemeinde im Jahre 1927 nach Bernkastel verkauft wurden. Über ihren Verbleib ist nichts bekannt. Im Rahmen eines Prozesses gegen SA-Männer aus Bernkastel, Losheim/Saar und Bengel am 26. Juni 1950 in Bernkastel wurde auch vergeblich versucht, die Vorgänge während der Pogromnacht in mehreren Orten zu rekonstruieren. Der nur aus einer auszugsweisen Abschrift vom Prozess belegte tatsächliche Ablauf der Reichspogromnacht ist bis heute ungeklärt. Fünf Beteiligte wurden wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ angeklagt. Die Gerichtsverfahren endeten teilweise in Freisprüchen, entsprechend dem am 31.12.1949 in Kraft getretenen „Bundesstraffreiheitsgesetz“ der Regierung Adenauer. Drei Angeklagte wurden zu einer Gefängnisstrafe von sieben und acht Monaten verurteilt.

Weitere Verwendungen
In der Zeit des Zweiten Weltkrieges (1939-1945) wurde das Gebäude als Soldatenunterkunft, Unterkunft für Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und „Ostarbeiter“ - meist „nicht-volksdeutsche“ Ukrainer, Polen, Weißrussen und Russen - zweckentfremdet und als „Gemeindehaus“ im Besitz der Zivilgemeinde bezeichnet. Hier waren bis zu 20 dieser Personen untergebracht, die zum großen Teil in der Landwirtschaft tätig waren und den Ausfall der Arbeitskraft der in den Krieg gezogenen männlichen Ortsbevölkerung ersetzen mussten.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war das Gebäude Notunterkunft für Flüchtlinge und Heimatvertriebene. Das Gebäude wurde an die jüdische Vermögensverwaltung übergeben. Sie verkaufte es im Dezember 1949 an die Gemeinde Hottenbach, von der es zwei Jahre später umgebaut wurde. Im Jahre 1981 kam das Gebäude in Privatbesitz und wurde äußerlich im Bereich des Daches und durch die Erneuerung der Fenster marginal verändert. Es dient heute als Wohnhaus.

(Christoph Pies, Erik Zimmermann, Ortsgemeinde Hottenbach; Alina Frank, Carla Seibert, Margarita Kotlyarenko, Universität Koblenz-Landau, 2021)

Literatur

Weirich, Hilde (1998)
Juden in Hottenbach und Stipshausen. Eine Spurensuche. Laufersweiler.
Zimmermann, Erik (2014)
"Überall nur höchstens geduldet...". Das Landjudentum im Kreis Birkenfeld von den Anfängen bis um 1800. In: Verein für Heimatkunde im Landkreis Birkenfeld: Mitteilungen; 88, S. 13-56. o. O.
Zimmermann, Erik (2004)
Die Geschichte der evangelischen Gemeinden Hottenbach und Stipshausen. eine Hunsrücker Kirchenchronik. (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 165.) o. O.

Synagoge Ringstraße in Hottenbach

Schlagwörter
Straße / Hausnummer
Ringstraße 45
Ort
55758 Hottenbach
Fachsicht(en)
Landeskunde
Erfassungsmaßstab
i.d.R. 1:5.000 (größer als 1:20.000)
Erfassungsmethode
Auswertung historischer Fotos, Literaturauswertung, Geländebegehung/-kartierung, mündliche Hinweise Ortsansässiger, Ortskundiger
Historischer Zeitraum
Beginn 1895 bis 1900

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„Synagoge Ringstraße in Hottenbach”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-343515 (Abgerufen: 3. Oktober 2024)
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