Der Oestricher Kran ist der letzte verbliebene historische Verladekran des Rheingaus. Er wurde für das Verladen von Weinfässern und anderen Waren genutzt und war von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung von Oestrich als Handelsort. Er ist ein Wahrzeichen für Oestrich-Winkel und den Rheingau.
Schwimmkräne im Rheingau Hafenkräne, die ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts nachweisbar sind, waren wichtige Vorrichtungen für die Verladung von schweren Weinfässern auf Transportschiffe. Im Rheingauer Gebiet gab es um 1400 vier Kräne in den Amtsbezirken Eltville, Rüdesheim und Lorch. Die Kräne gehörten zum Besitz des Landesherren, dem Kurfürsten von Mainz, der sie an die Standortgemeinden verpachtete. Oestrich erhielt seinen Kran später als die anderen Gemeinden, erstmals urkundlich erwähnt wird er in einer Landschreiberrechnung aus dem Jahr 1549.
Wie bei allen Kränen des Rheingaus zu damaliger Zeit handelte es sich auch beim Oestricher Kran zunächst um einen Schwimm- oder Schiffskran. In Ermangelung eines natürlichen Steilufers oder einer befestigten Kaimauer in diesem Abschnitt des Rheins wurden Schwimmkräne auf Schiffen errichtet und konnten daran anlegende Transportschiffe auch bei schwankenden Wasserständen beladen. Sie wiesen damit eine größere Reichweite auf als ortsfeste Landkräne. Neben den Vorteilen eines transportablen Krans brachten sie jedoch auch Nachteile mit sich. So wurden der Oestricher und der Rüdesheimer Kran während des Dreißigjährigen Kriegs von schwedischen Besatzern „mit sich hinweggenommen“ (Zitat aus der Landschreiberrechnung von 1635, vgl. Rosensprung 1977), vermutlich um ihn an anderer Stelle am Rheinufer zur Verladung von Kriegsmaterial zu nutzen. Bis dieser ersetzt wurde, blieb Oestrich 17 Jahre lang ohne Kran. In dieser Zeit mussten Weinfässer von Schrötern mit Schrotleitern auf Schiffe verladen werden.
Der Oestricher Kran: Vom Schwimmkran zum Landkran Schwimmkräne waren den andauernden Einflüssen des Gewässers wie Hochwasser oder Eisgang ausgesetzt. Daher war ihre Lebensdauer auf lediglich 20 bis 30 Jahre begrenzt und sie mussten wiederkehrend repariert oder erneuert werden. Hohe Reparaturkosten und ein hoher Verschleiß an Baumstämmen, die als Eisbrecher aus den umliegenden Wäldern geholt und vor dem Kran im Wasser platziert wurden, machten die Nutzung von Schwimmkränen zunehmend unwirtschaftlich. Dies führte letztlich zu einer kurfürstlichen Verfügung, einen Landkran mit Fundamenten und Kaimauern aus Sandsteinquadern zu errichten. Im August 1745 wurde der hölzerne, landgestützte Turm-Tretkran fertiggestellt und in Betrieb genommen. Der Kranbetrieb währte an dieser Stelle bis zum Jahr 1925.
Der Oestricher Kran ist heute noch in seiner damaligen Form erhalten. Das Kranhaus mit einer Seitenlänge von acht Metern sitzt auf einem Sandsteinquader und hat eine Gesamthöhe von zwölf Metern. Das drehbare Kegeldach mitsamt dem Ausleger oder „Kranschnabel“, bestehend aus einem neun Meter langen Ober- und acht Meter langen Unterbalken, wurde über zwei Laufräder im Innern des Krans bewegt. Zwei bis vier Kranknechte liefen in diesen Laufrädern und sorgten für den Antrieb. Hierbei handelte es sich anscheinen sowohl um Gefangene als auch um bezahlte, professionelle Kranknechte, die der Zunft der Aufläder angehörten. Da sich die Laufräder nicht arretieren (feststellen) ließen, war die Unfallgefahr groß. Ein Kranmeister leitete die Arbeit des Krans, ein Kranschreiber führte die Gebührenliste.
Der Oestricher Kran trug entscheidend zur Entwicklung Oestrichs als Handelsort bei. Der Kran wurde zwar auch für andere Güter genutzt, hauptsächlich wurden jedoch Weinfässer damit verladen. So wurde Oestrich zu dem Kranenort im Rheingau mit dem größten Weinumschlag.
Der Oestricher Kran heute Heute ist der Oestricher Kran der einzige verbliebene historische Verladekran im Rheingau und einer der letzten Rheinkräne überhaupt. Er steht unter Denkmalschutz und ist ein Wahrzeichen für Oestrich-Winkel und darüber hinaus für den Rheingau. Die über Jahrhunderte bestehende räumliche Verbindung des Krans zum Ortskern Oestrich wurde durch den Bau der B 42 unterbrochen.
Zwischen April und Oktober kann der Kran an jedem ersten Wochenende eines Monats zwischen 13 und 17 Uhr im Rahmen einer kostenlosen Führung besichtigt werden.
(Barbara Bernard, Landesamt für Denkmalpflege Hessen, 2020)
Internet www.rheingau.de: Der Oestricher Kran (abgerufen 08.10.2020) de.wikipedia.org: Oestricher Kran (abgerufen 08.10.2020)
Literatur
Kalinke, Helmut / Gesellschaft für Geschichte des Weines (Hrsg.) (1969)
Der Rheingau, Weinkulturzentrum gestern, heute und morgen. (Schriften zur Weingeschichte Nr. 20.) Wiesbaden.
Rosensprung, Rudolf / Mitteilungen der Gesellschaft zur Förderung der Rheingauer Heimatforschung e.V.; ASBACH'sche Hauszeitung (Hrsg.) (1977)
Der Oestricher Kran. (Rheingauische Heimatblätter Nr. 2.) o. O.
Söder, Dagmar / Landesamt für Denkmalpflege Hessen (LfDH) (Hrsg.) (2013)
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Kulturdenkmäler in Hessen: Rheingau-Taunus-Kreis I. (Altkreis Rheingau). Wiesbaden.
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