Der Flachsanbau
Der Flachsanbau war eine öffentliche Arbeit, an der viele Ortsbürger teilnahmen. Auf einem Acker war der Anbau nur alle sechs bis sieben Jahre möglich und der Boden musste eine feinkrümelige Konsistenz aufweisen. Der Anbau des Flachses fand an mehreren Stellen der Gemarkung statt, insbesodere im Bereich des Fischweihers, wo die erforderlichen Bodeneigenschaften vorherrschten. In den Jahren, in denen auf den Flachsfeldern kein Flachsanbau möglich war, wurden auf den Flachfeldern vorwiegend Getreidefrüchte angebaut. Die Aussaat erfolgte meist um den 25. Mai, welcher auch als St. Urban Tag bekannt war. St. Urban war der Flachsheilige und sollte den Bürgern eine gute Saat und Ernte bescheren. Beim Flachsanbau glaubte die Bevölkerung daran, dass der Wochentag und die Mondphase Einfluss auf die Ernte habe. Die Aussaat im Hunsrück folgte dabei festen Regeln, nach denen die erste Hand der Samen am Feldrand für Vögel abgelegt wurde. Mit der nächsten Hand wurde auf dem Feld ein Kreuz gebildet und danach kam es erst zur eigentlichen Aussaat. Anschließend folgten das Festwalzen und die Bedeckung mit verrottetem Mist. Bis der Flachs geerntet werden konnte, vergingen mehr als drei Monate.
Das Brechen des Flachs
Die Brechkaut der Gemeinde Seibersbach befand sich in der Gemarkung Pfingstheide, in einiger Entfernung zum Siedlungsraum. In früheren Zeiten kam es immer wieder dazu, dass ganze Ortschaften abbrannten, wenn Feuer der Brechkaul auf die Gebäude übergriff.
Sie bestand aus einer circa einem Meter tiefen Senke im Boden, in einigen Fällen war sie mit Steinen ausgemauert.
Bevor der Flachs in der Brechkaut geröstet und gebrochen werden konnte, musste er zum Trocknen zunächst in Garben geschnürt und dann aufgestellt werden. Das Dreschen fand anschließend in Seibersbacher Wohnhäusern statt, dabei wurde die Leinsamen als Saat für das kommende Jahr gewonnen. Gegen Ende des Jahres, um Allerheiligen, kam das Flachs in die Brechkaut. Auf einer Eisenrostabdeckung lagerte man dort die Flachsstängel, die anschließend erhitzt und geröstet wurden. In diesem Zustand konnten die Bündel nun von den Männern aufgebrochen werden, sodass nur noch die Faserbündel übrigblieben. Diese verband man sofort zu Zöpfen, woraus in späteren Schritten Nähgarn gewonnen wurde.
Die Spinnstuben
Im weiteren Verlauf trafen sich die Frauen und Mädchen in „Spinnstuben“ (May 2005, S. 117) zum Spinnen und zum Geschichten erzählen. Aus den gewonnenen Leinenballen wurden Bettwäsche, Kleidung aber auch Säcke für die Landwirtschaft gewebt. Familiennamen wie „Leinenweber“ (May 2005, S. 117) deuten auf diese Tätigkeit bis heute noch hin. Die Tradition der Spinnstuben zwischen Martini und Lichtmess war somit ein Mittelpunkt im Dorfgeschehen, da in den Stuben Geschichten und Erfahrungen ausgetauscht wurden.
In Seibersbach wurden alle Arbeitsschritte vom Flachsanbau bis zur Herstellung der Leinen ausgeführt. Das Ende der Brechkaut und des Flachsanbaus trat mit der Entwicklung modernerer Baumwollfasern aus maschineller Herstellung ein. Damit lief der Flachsanbau im 19. Jahrhundert langsam aus und neuere Methoden und Fasern kamen in den Hunsrück.
(Svenja Kind, Universität Koblenz-Landau, 2017 / freundliche Hinweise von Dieter May, 2017)
Internet
http://mapclient.lgb-rlp.de: Kartenviewer, Landesamt für Geologie und Bergbau (abgerufen 17.02.2017)