Siedlung im Bereich der Kirchstraße in Ickern-Mitte

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Fachsicht(en): Kulturlandschaftspflege
Gemeinde(n): Castrop-Rauxel
Kreis(e): Recklinghausen
Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Koordinate WGS84 51° 35′ 22,67″ N: 7° 20′ 32,06″ O 51,58963°N: 7,34224°O
Koordinate UTM 32.385.159,82 m: 5.716.699,33 m
Koordinate Gauss/Krüger 2.593.063,75 m: 5.718.099,10 m
Die Siedlung im Bereich der Kirchstraße („Ickern-Mitte“), innerhalb eines kurzen Zeitraums von 1910 bis 1926 entstanden, ist daher gekennzeichnet von einer Vielfalt an Haustypen, die gemeinsam ein lebendiges Orts- und Straßenbild bewirken.
Die Siedlung liegt zwischen der Emscher und der Bundesautobahn A 2 (Oberhausen - Hannover) im Norden, der ehemaligen Zechenbahntrasse im Osten, der Recklinghauser Straße im Süden und der Ickerner Straße im Westen.
Diese Straße führte bereits in alten Karten als „Ickerner Dorfstraße“ in der Bauerschaft von Nord nach Süd. Die heute noch spürbare, leicht geschwungene Straßenführung erklärt sich aus den Standorten von mehreren ehemaligen Hofstellen, die - ursprünglich als „Drubbel“ zusammengerückt - das „Dorf Ickern“ bis 1900 geprägt haben. Dörfliche Baustrukturen aus dieser Zeit sind weitgehend - ausgenommen die ehemalige Hofstelle Bramkamp an der Straße „In der Wanne“ – verloren gegangen.

Die Siedlung umfasst folgende Straßen: Friedrichstraße, Heinestraße (vor 1926: Heinrichstraße), Karolinenstraße (vor 1926 Karlstraße), Kirchstraße (vor 1926: Königstraße), Klopstockstraße (vor 1926: Kampstraße) und Ruprechtstraße (vor 1926: Ottostraße). Die Straßenräume sind zwischen 12,0 und 14,0 Meter breit und werden beidseitig durch Baumpflanzungen (zumeist Eschen) und Grünstreifen gegliedert.
Der Aufbau der Siedlung Ickern-Mitte fällt in den Zeitraum, in dem 1899 und 1901 die Schächte Victor III/IV als erste Zeche im Gemeindegebiet abgeteuft wurden und deren Förderung 1901 bzw. 1905 aufgenommen wurde. Die Siedlung steht ebenfalls im Zusammenhang mit dem das Abteufen des Schachtes Schacht Ickern I um 1910 und die Aufnahme der Förderung um 1912 am Standort, hart an der Grenze zum Amt Waltrop. Ab 1911 folgte das Abteufen eines zweiten Schachtes Ickern II, der erst bis 1913 als Wetterschacht, dann ab 1914 auch als Förderschacht genutzt wurde. Bedeutend war deshalb im Jahre 1910 die Angliederung der beiden Zechen an den Klöckner-Konzern, wodurch die Anlagen von Zechen und Hüttenwerken wirtschaftlich besser ausgelastet werden konnten. Erst recht war mit der Gründung des Verbundbergwerks Victor-Ickern unter der Klöckner AG seit 1921 die gemeinsame Koordination von Förderung und Produktion erreicht worden.

Die Entwicklung der Zechenstandorte im Stadtteil Ickern rief eine hohe Beschäftigtenzahl und demzufolge eine starke Wohnungsnachfrage hervor, die durch die Gewerkschaft Victor gedeckt werden musste. Die Bebauung im Stadtteil Ickern gehört daher im Zusammenhang mit den Siedlungen in den Stadtteilen Rauxel, Bladenhorst und Habinghorst „zu einer der größten Agglomerationen von Bergarbeiter-Siedlungen des Ruhrgebietes“. Durch ansprechende, wechselnde Straßenbilder und Platzanlagen war die Möglichkeit gegeben, dass sich die Menschenbesser mit ihrem neuen Wohnstandort identifizieren und so ein Heimatgefühl entwickeln konnten.Diese abwechselungsreiche, lebendige Wirkung wurde bei häufig gleichen Grundrissformen durch die unterschiedliche Gestaltung der Häusermittels verschiedener Dachrichtungen und unterschiedlicher Fassadenformen erzeugt. Die Entwürfe für sämtliche Siedlungen und Einzelgebäude gehen auf das Baubüro der Gewerkschaft der Zeche Victor I/II unter der Leitung des Baumeisters und Architekten Emil Lickweg, Castrop, zurück.

Die Entwicklung der Siedlung gliedert sich in folgende Abschnitte (siehe hierzu auch die Abbildung der Übersichtskarte der Siedlung):
Siedlungsbereich 1
Die Bebauung aus der ersten Bauphase der „Kolonie Ickern“ von 1907 bis 1910 erfolgte in den neuen Straßen, dem Straßenkreuz von Ruprechtstraße und Heinestraße. Das „rechtwinkelige “Straßenkreuz„ dieser beiden Straßen (siehe Raumbildung IV) wurde im Kreuzungspunkt als “Platzform„ ausgebildet, die ein Viereck umschreibt, das um 90° zum Straßenraster gedreht ist (dieses wird auch als “Raute„ bezeichnet).Beidseitig der Straßenzüge wurden anfangs Vierfamilienhäuser in zwei- bis zweieinhalb-geschossiger, offener Bauweise errichtet. Gemeinsam mit den gegenüberliegenden Gebäuden sprang die Bauflucht vor und zurück und bewirkte dadurch ein abwechslungsreiches Straßenbild. Die Außenwände der verschiedenartigen Haustypen waren zudem entsprechendunterschiedlich gestaltet sowie durch den Wechsel von Putz- und Ziegelstein-Flächen gekennzeichnet.
Eine Ausnahme bildet die Bebauung im Zuge der oberen, nördlichen Vinckestraßevon 1905/1908, die in nahezu geschlossener Bauweise und im Reihenhaustypus erstellt wurde. Der Verzicht auf Vorflächen vor den Häusern erklärt sich offensichtlich mit den hohen Erschließungskosten. Die Bebauung um einen rechteckigen Platz im Norden der Vinckestraße (siehe Raumbildung II) nimmt hier bereits die Gestaltung an der oberen Leveringhauser Straße in Ickern-Nord vorweg, die dort einige Jahre später erst um 1910/1911 entstanden ist.
Das Wohn- und Wirtschaftsgebäude Vinckestraße 114 wurde bereits 1908 errichtet (Bauherr: H. Arbenhardt; Mengede; Verfasser: Architekt Dübbert, Ickern). Das vielfältig gerichtete Straßenkreuz wird heute als “Vinckeplatz„ (bis 1926: Kaiserplatz) bezeichnet.
Der Wegestummel nach Nordwesten, in alten Flurkarten als Straße “Oberwiese„ bezeichnet, stammt noch aus der Zeit vor der Emscher-Regulierung 1910 und dem Autobahnbau 1935. Die ehemalige Straßenverbindung nach Ickern-Nord wurde zum einen durch den Weiterführung der Ickerner Straßezur Uferstraße im Westen sowie durch den Bau der Emscherstraße im Osten ersetzt.

Siedlungsbereich 2
Die Bebauung der zweiten Bauphase1910-1914 wurde in einem Bereich zwischen der Heinestraße bis zur Recklinghauser Straße und Vinckestraße errichtet. In diesem Bereich entstanden an der Friedrichstraße, Karolinenstraße, Kirchstraße und Klopstockstraßezahlreiche neue Häuser. Die Ruprechtstraße wurde südlich der Heinestraße bis zur Einmündung in Kirchstraße und Friedrichstraße verlängert. Der Kreuzungspunkt der Heinestraße mit der Karolinenstraße (siehe Raumbildung V)wurde schlicht ausgebildet und eng gefasst. Erklärung dafür ist, dass die Straße später innerhalb der der bestehenden Bebauung angebunden und nach Norden weiter geführt wurde.
Die Wohnungszahl lag erheblich unter der Anzahl der ersten Bauphase, ein Zeichen dafür, dass die Gewerkschaft versuchte, vermehrt den Anforderungen des Gartenstadtgedankens gerecht zu werden. Die neuen Häuser der Siedlung wurden in freistehender, anderthalb-geschossiger Bauweise als Doppelhäuser errichtet. Die Belegungszahl nahm dadurch ab und der Freiflächenanteil stieg zugunsten der Gärten zur Selbstversorgung der Bewohner an [ebenda]. Die Gestaltung beschränkte sich auf schlicht verputzte Fassaden. Es wurden jedoch zahlreiche Haustypen mitunterschiedlichen Grundriss- und Aufrissvarianten entwickelt, die einabwechselungsreiches Straßenbild ergeben haben. Der Erste Weltkrieg brachte zwischen 1914 und 1918 die Bautätigkeit nahezu zum Erliegen zumal, da die Belegschaften auf das Notwendigste reduziert und zahlreiche Bergleute als Soldaten eingezogen wurden. Ebenfalls ruhte in der Nachkriegszeit aufgrund der Reparationen an die alliierten Siegermächte und der anschließenden Inflation (= Geldentwertung um 1923) die bauliche Entwicklung.

Siedlungsbereich 3
Die Bebauung der dritten Bauphase1921 - 1926 fand im Gebiet zwischen dem neuen Emscher-Lauf und der Vinckestraße bis zur südlichen Grenze statt, die durch die Trasse der Verbindungsbahn der beiden Zechen Victor und Ickern gebildet wurde. Hier entstanden an der Straße “In der Winterslake„, Horststraße und Vinckestraße ebenfalls anderthalb-geschossige Doppelhäuser auf noch erheblich größeren Grundstücken als in der zweiten Bauphase, die wahrscheinlich auf die Steigerung der Selbstversorgung der Bewohner in wirtschaftlichschlechten Zeiten hinzielten.

Siedlungsbereich 4
Zwischen Vinckestraße und Emscher wurde gleichzeitig nach 1920 ein Ledigenheim mit Menage gebaut, um die allgemeine Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg besser bewältigen zu können. Die “Menage„ war ein Gebäude zur Unterbringung und Beköstigung von ledigen oder ortsfremden Bergleuten. Die Gebäude bestanden aus eingeschossigen Massivbaracken. In diesen Baracken wurden während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeiter aus Osteuropa und Kriegsgefangene untergebracht. Nach Kriegszerstörungen und Wiederaufbau z.T. als “Nissenhütten„ (= Gebäude mit einem halbrunden Dach aus Wellblech nach dem System “Nissen„) dienten sie danach wieder Heimkehrern, Flüchtlingen und ledigen Arbeitskräften als Unterkunft, ehe das Lager 1957 abgebrochen wurde.
Am gleichen Standort wurde ab 1958 ein neues Berglehrlingsheim, der “Vinckehof„, der aus sieben zweigeschossigen Zeilen und einem Saalbau bestand, die sich um einen parkartigen Innenhofgruppierten, errichtet. Diese Anlage ist 1972 an das Land NRW verkauft worden.
Der “Vinckehof„ diente seitdem anfangs als Justiz-Vollzugsanstalt für Jugendliche in offenem Vollzug, dann als Ausbildungsstätte für Ersatzdienstleistende und schließlich Ende der 1980er Jahre als Heim zur Unterbringung von Kriegsflüchtlingen, Asylsuchenden und Aussiedlern. Die Vinckehof-Siedlung ist nach 2000 abgebrochen worden. Die Fläche wird seit 2008 wieder mit zweigeschossigen Einfamilien-Reihenhäusern bebaut. Der Platz, der im Kreuzungsbereich der Horststraße mit der Vinckestraße entstand, bekam seine Form durch einen schon 1826 bestehenden Verbindungsweg, der die Vinckestraße mit der Recklinghauser Straßeverband. Dieser Weg besteht heute nur noch im Bereich der Platzanlage und wird der Vinckestraße zugerechnet. Die Nähe der Wohnsiedlungen zu den Zechenanlagen bedingte, dass im Luftkrieg des Zweiten Weltkriegs zwischen 1939 und 1945 zahlreiche Häuser durch Bombentreffer zerstört und in der Nachkriegszeit in neuen, veränderten Formen wieder aufgebaut wurden. Das überkommene Siedlungsbild der Gartenstadt ist dabei grundsätzlichgewahrt worden.

Siedlungsbereich 5
Durch die Nähe zu den Produktionsanlagen im Zweiten Weltkrieg zerstörte Wohngebäude an der südlichen Karolinenstraße wurden nach 1950 als zweigeschossige Mehrfamilienhäuser in den Formen des Sozialen Wohnungsbaus wieder aufgebaut. Die Baufluchten der Vorgängergebäude wurden beibehalten und somit das Erscheinungsbild des Straßenraumes gewahrt.

Siedlungsbereich 6
Im Zuge der südlichen Kirchstraße wurden ebenfalls nach 1950 neue zweigeschossige Mehrfamilienhäuser in den Formen des Sozialen Wohnungsbaus errichtet.

Siedlungsbereich 7
Die Bebauung in der Straße “Vedderhof„ um 2000 ist als Innenverdichtung im Siedlungsbereich zu begreifen. In Anlehnung an die Vorbilder der Gartenstadtsiedlung sind hier neue Doppelhäuser entstanden, die einen kleinen Hof umschließen.

Einzelobjekte
1926 wurde die Katholische Sankt-Antonius-Kirche und die Volksschule Ickern (seit 1950 “Marktschule„) am neuen Ickerner Marktplatz erbaut. Der Architekt Alfred Fischer, Essen, verwendete den dunkelroten Zechen-Ziegelstein und verband dieses Material mit expressionistischen und figürlichen Gestaltelementen.
Beide Gebäude sind heute als Baudenkmale in die Denkmalliste eingetragen.
Erst um 1955 wurde die Evangelische Christus-Kirchein der Nachbarschaft an der Einmündung der Friedhofstraße in die Ickerner Straße errichtet, nachdem die “Notkirche„ von 1910 an der Kirchstraße abgebrochen worden war. Dort zeugt heute noch eine Baumgruppe von dem ursprünglichen Standort.

(LWL-Amt für Landschafts- und Baukultur, 2008)

Literatur

Cramm, Tilo (2000)
Der Bergbau ist nicht nur eines Mannes Sache. Das Bergwerk Victor-Ickern in Castrop-Rauxel. Essen.
Czychi, Herbert (jun.) (1980)
Darstellung der Wohnsituation von Bergleuten in Wohnsiedlungen von 1900 bis 1945 unter besonderer Berücksichtigung des Wohnkomforts, dargestellt am Beispiel der Siedlung Ickern-Mitte der Gewerkschaft Victor/Ickern in Castrop-Rauxel. (Heimatblätter für Castrop-Rauxel und Umgebung; Ortsverband Castrop-Rauxel des Westfälischen Heimatbundes (Hrsg.), Jg. 31, 1980, H.1/2.) H. 1/2 S.43 ff und H.3/4, S. 88 ff., Castrop-Rauxel.
Durth, Werner; Gutschow, Niels (1990)
Einführung. Architektur und Städtebau der fünfziger Jahre. Ergebnisse der Fachtagung in Hannover 1990. (Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, 41.) Köln.
Landesvermessungsamt NRW (Hrsg.) (1842)
Uraufnahme, Urmesstischblatt Blatt 4410. Bonn-Bad Godesberg.
Landesvermessungsamt NRW (Hrsg.) (o.J.)
Königlich Preußische Landesaufnahme - Neuaufnahme, Blatt 4410. Bonn-Bad Godesberg.
Reichsverband der Adressbuchverleger (Hrsg.) (1935)
Adressbuch der Stadt Castrop-Rauxel 1935. Bochum.
Stadt Castrop-Rauxel (Hrsg.) (2001)
Denkmale in Castrop-Rauxel im Kontext der Geschichte ihres Stadtteils. Castrop-Rauxel.
Vermessungs- und Katasteramtes Kreis Recklinghausen (Hrsg.) (o.J.)
Übersichtskarten zum Urkataster verschiedener Gemarkungen der Stadt Castrop-Rauxel im Archiv des Vermessungs- und Katasteramtes des Kreises Recklinghausen. Recklinghausen.
(1978)
Siedlungen aus den Regierungsbezirken Arnsberg und Münster. Beitrag zu einem Kurzinventar (Dokumentation des Forschungsvorhabens "Wohnen und Arbeiten im Ruhrgebiet", Arbeitsschritt 1). (Dortmunder Arbeitshefte, 8.) Greven.
(o.J.)
Bauakten von Bauvorhaben. Castrop-Rauxel.

Siedlung im Bereich der Kirchstraße in Ickern-Mitte

Schlagwörter
Straße / Hausnummer
Kirchstraße
Ort
44581 Castrop-Rauxel - Ickern
Fachsicht(en)
Kulturlandschaftspflege
Erfassungsmaßstab
i.d.R. 1:25.000 (kleiner als 1:20.000)
Erfassungsmethode
Literaturauswertung
Historischer Zeitraum
Beginn 1900 bis 2000

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„Siedlung im Bereich der Kirchstraße in Ickern-Mitte”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/A-P363N504-20090714-0001 (Abgerufen: 4. Mai 2024)
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