Siedlungen an der nördlichen Bahnhofstraße in Rauxel und Castrop

Schlagwörter:
Fachsicht(en): Kulturlandschaftspflege
Gemeinde(n): Castrop-Rauxel
Kreis(e): Recklinghausen
Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Koordinate WGS84 51° 34′ 10,05″ N: 7° 18′ 26,11″ O 51,56946°N: 7,30725°O
Koordinate UTM 32.382.684,35 m: 5.714.511,78 m
Koordinate Gauss/Krüger 2.590.679,31 m: 5.715.811,08 m
Im Zusammengehen mit der Siedlung an der Victorstraße bilden der Siedlungsbereich an der nördlichen Bahnhofstraße einen Entwicklungszeitraum mit verschiedenen Bauweisen und Haustypen ab, die den Wohnungsbau für Bergarbeiter in einem Zeitraum von nahezu 100 Jahren kennzeichnen.
Die Siedlungen liegen als Teilbereiche östlich der Bahnhofstraße zwischen dem Hauptbahnhof Castrop-Rauxel und der Eisenbahntrasse im Norden und dem Europaplatz im Süden.
Die Bahnhofstraße nahm bereits den Charakter einer städtischen Hauptstraße ein, an der sich nach der Eröffnung der Köln-Mindener Eisenbahn im Jahre 1847 bis 1870 nach und nach im Umfeld des Bahnhofs zahlreiche Wohn- und Geschäftshäuser ansiedelten. Der Straßenzug ist gekennzeichnet durch Gebäude mit gestalterischen Merkmalen aus unterschiedlichen Zeitstellungen.
ie Entstehung der Siedlungen steht jedoch vielmehr im Zusammenhang mit dem Abteufen des Schachtes Victor I/II und der Aufnahme der Förderung um 1900. Ab 1872 erfolgte das Abteufen des Schachtes Victor I. Dieser Schacht wurde 1966 still gelegt. Ab 1894 erfolgte das Abteufen des zweiten Schachtes Victor II und Aufnahme der Förderung 1899. Dieser Schacht wurde ebenfalls 1966 still gelegt.
Die Wohnungsbautätigkeit verteilte sich auf mehrere Standorte in der Nachbarschaft der beiden Schächte (z.B. auch an der Victorstraße in den Stadtteilen Rauxel und Bladenhorst).

Die Entwicklung der Zeche Victor I/II im Stadtteil Bladenhorst an der Grenze zu den Gemarkungen der Gemeinde Rauxel und der Gemeinde Castrop rief eine hohe Beschäftigtenzahl und demzufolge eine starke Wohnungsnachfrage hervor, die durch die Gewerkschaft Victor gedeckt werden musste. Die Bebauung in beiden Stadtteilen gehört daher im Zusammenhang mit den Siedlungen in den Stadtteilen Bladenhorst, Habinghorst und Ickern „zu einer der größten Agglomerationen von Bergarbeiter-Siedlungen des Ruhrgebietes“.
„Grundlage für den ausgedehnten Wohnungsbau war der planmäßige Ankauf von Grundstücken, Kotten, Höfen und Gütern durch die Gewerkschaft Victor. Gleichzeitig beugte sie dadurch eventuellen Bergschadensforderungen fremder Eigentümer vor. Die Zeche wurde vor allem in Habinghorst und Ickern neuer Großgrundbesitzer“.

Die Entwicklung der Siedlung gliedert sich in folgende Abschnitte (siehe hierzu auch die Abbildung der Übersichtskarte der Siedlung):

Siedlungsbereich 1
Die erste Siedlungsphase ist die Errichtung von Beamtenhäusern ab 1893 für die Gewerkschaft Victor an der heutigen Alleestraße, zum damaligen Zeitpunkt noch eine Privatstraße. Bauherr war die Gewerkschaft Victor; Verfasser und Bauleiter war Maurermeister W. Franke, Wanne). Spätere Erweiterungen um 1910 wurden vom Baubüro der Zeche geplant und ausgeführt. Als Verfasser zeichnete hierfür der Baumeister und Architekt Emil Lickweg.
Südlich der Alleestraße zur Bahnhofstraße, damals noch als „Chaussee von Castrop nach Henrichenburg“ bezeichnet, gab es bereits die „Menage“ der Zeche Victor, wie diese „Einrichtung zur Unterbringung und Beköstigung von ledigen und ortsfremden Bergleuten“ genannt wurde.
Die Fläche wurde durch den „Neuen Graben“ als Vorfluter zur Entwässerung des Gebiets in den bereits begradigten Deininghauser Bach um 1909 durchschnitten.

Siedlungsbereich 2
Ein weiterer Bauabschnitt betraf die Siedlung an der Maslingstraße, Gustavstraße und der Straße „In der Fettweide“ (damals noch als Rossenbeckstraße bezeichnet). Die Straßennamen nehmen Bezug auf die Flur „In der Fettweide“ oder auch auf die dort vorhandenen Wiesenflächen, auf denen die Grubenpferde („Rosse“) weiden konnten.
Hier entstanden mehrere zweigeschossige Mehrfamilien-Doppelhäuser für Beamte in Traufenstellung mit Walmdach und zwei eingeschobenen Risaliten mit Giebeln zur Straße auf zurückgesetzter, geradliniger Bauflucht mit einem Vorgarten. Die Gebäude sind als verschiedenen Haustypen in Ziegelmauerwerk mit abgesetzten Putzflächen unterschiedlich und vielfältig gestaltet. Es gibt hier Ähnlichkeiten zu der Siedlung Ruprechtstraße und Heinestraße im Stadtteil Ickern-Mitte. Dieses verwundert nicht, da hier wie dort als Verfasser ebenfalls der Baumeister Emil Lickweg vom Baubüro der Gewerkschaft Victor belegt ist. Die Eckgebäude zur Bahnhofstraße sind erst später (nach 1925) in einfacher Bauweise mit Ziegelmauerwerk hinzugefügt worden.
Die Siedlung ist bereits früh nach Stilllegung der Schächte der Zeche Victor I/II ab 1975 privatisiert und infolge von individuellen Umbauten stark überformt worden. Die städtebauliche Struktur lässt sich jedoch nach wie vor gut ablesen.

Siedlungsbereich 3
Als darauf folgende Siedlung ist die Wohnbebauung an der Jlandstraße, Markmannstraße und der Straße „Am Graben“ zu nennen (die Namensnennung bezieht sich wohl auf den nahen, bereits damals kanalisierten Deininghauser Bach). Die Straßennamen nehmen auch Bezug auf die Flur „Im Jland“.
Der Siedlungsbereich, der zwischen 1915 und 1920 entstanden ist, folgt wohl noch einer geradlinigen Bauflucht, besteht aber weitgehend aus freistehenden Doppelhäusern. Als Verfasser hierfür tritt der Baumeister und Architekt Emil Lickweg vom Baubüro der Gewerkschaft Victor auf. Die Vorflächen vor den Häusern sind optisch Bestandteil des Straßenraums und nehmen zahlreiche Baumstandorte auf. Diese Gliederung lässt zusammen mit den zusammenhängenden großen Gartenflächen im Blockinnenbereich bereits einen gartenstädtischen Charakter der Siedlung erkennen.
Auch diese Siedlung ist zwischenzeitlich in Privateigentum übergegangen mit der Folge, dass zahlreiche bauliche Details und Merkmale verloren gegangen sind.
An der Jlandstraße stehen heute noch zwei Doppelhäuser für Leitende Angestellte als freistehende Gebäude innerhalb eines großzügigen Gartens.

Siedlungsbereich 4
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde angesichts der Wohnungsnot die Siedlung in Verlängerung der Alleestraße auf dem Gelände des ehemaligen Hofes Gruthölter zwischen der Bahnhof- und Habinghorster Straße (Bundesstraße B 235) im Rahmen des Bergarbeiterwohnungsbauprogramms „Ruhr 1947/1948“ zahlreiche Siedlerstellen jeweils mit einer Einliegerwohnung errichtet. Diese wurde als „Gestirn-Siedlung“ in den späteren Jahren nach Osten und Süden um die Uranusstraße und Saturnstraße (im Osten) sowie Jupiterstraße, Marsstraße und Venusstraße (im Süden) erweitert.
Die langgestreckte Freifläche zwischen Marsstraße und Maslingstraße kennzeichnet heute noch den Verlauf des inzwischen verrohrten, ehemaligen „Neuen Grabens“ (siehe oben).

Siedlungsbereich 5
Nicht mehr im Stadtteil Rauxel, sondern im Stadtteil Castrop zwischen dem Castroper Holz im Westen und der Bahnhofstraße im Osten liegt die Siedlung Liebigstraße - auch als Siedlung „Hagemann'sche Wiesen“ bezeichnet. Die Namensgebung leitete sich vom Hof Hagemann ab, der seinen Standort im Bereich der Schulstraße hatte und bereits viele Flächen als Bauland bereit stellte. Bauherr dieser Wohnanlage waren von 1956 bis 1958 die Stickstoffwerke Castrop; Verfasser waren die Architekten Otto Münnekehoff und Fieth, Castrop-Rauxel. Die Durchführung oblag seinerzeit der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft, Castrop-Rauxel (2009: GEWO). Die Straßenbezeichnungen haben Namen berühmter Chemiker gewählt wie Justus von Liebig (1803-1873), Robert Wilhelm Bunsen (1811-1899) und Jöns Jakob Freiherr von Berzelius (1779-1848). Hierdurch lässt sich heute noch die Verbindung zum damaligen Bauherrn herleiten.
Die Siedlung bietet ein geordnete Mischung aus Einfamilien- und Reihenhäusern sowie Mehrfamilienhauszeilen, die sich beidseitig der Erschließungsstraße entwickeln. Das Baugebiet ist aufgeteilt, nordwestlich und südöstlich der Liebigstraße als Mehrfamilienhausgebiet, östlich und westlich der Straße als Reihenhausgebiet, sowie südlich an der Schleife der Bunsenstraße und an der Stichstraße der Berzeliusstraße als Gebiet für freistehende Einfamilienhäuser bzw. Reihenhäuser. In der Siedlungsmitte öffnet sich eine kleine Freifläche. Von hier werden der Kindergarten („KiTa am Wald“) und die Grundschule, die westlich des Wohngebietes an der Ahornstraße liegt, erschlossen.
Durch die gewählte Anordnung der Gebäude fließen der Straßenraum und Freiraum ineinander und folgen dem Prinzip der aufgelockerten Stadt. Lediglich die Reihung unzähliger Garagen im nördlichen Siedlungsbereich der Liebigstraße lassen für die im Osten benachbarte Reihenhausbebauung wohl eine beachtliche Wohnqualität erreichen, sind aber für das Straßenbild einer zentralen Erschließungsstraße unangemessen und störend.
Die Gebäude sind unterschiedlich gestaltet, teils mit verputzten, teils mit Ziegel-verkleideten Außenwänden, sowie - ausgenommen die Winkelbungalow-Siedlung an der Berzeliusstraße zur Bahnhofstraße - mit steil geneigtem Satteldach versehen. Der hohe Baumbestand in der durchgrünten Siedlung vermittelt jedoch zwischen den unterschiedlichen Bauformen.

Siedlungsbereich 6
Daneben ist die Bebauung an der Clemensstraße mit Einfamilienhäusern für besser gestellte Bauherrschaft zu nennen.
Die Katholische Herz-Jesu-Kirche wurde um 1900 bereits im neo-gotischem Stil an der Schulstraße errichtet und erhielt erst nach 1910 einen Turm. Nach starken Zerstörungen durch Bombardierungen des Stadtteils im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude wieder in einfachen Formen aufgebaut. Zu diesem geistlichen Schwerpunkt im Siedlungsbereich gehören das Gemeindehaus aus der Zeit um 1925 gegenüber am „Rauxeler Kirchplatz“ und der Kindergarten an der Clemensstraße aus der Zeit um 1985.
Östlich der Bahnhofstraße liegt an der Alleestraße die Evangelische Paulus-Kirche in den Architekturformen um 1960 mit Gemeindesaal und freistehendem Glockenturm. Zur Bahnhofstraße ergänzt die Bauggruppe der Kindergarten.
Südlich davon lag bereits um 1910 die Evangelische Schule. Hier ist seit 1960 die heutige Martin-Luther-King-Schule - zwischenzeitlich auch Gustav-Adolf-Schule oder Europa-Schule benannt - errichtet worden. Bauherr war die Stadt Castrop-Rauxel, als Verfasser unterzeichete der Architekt und städtische Mitarbeiter Hanns Bumbel, Castrop-Rauxel. Die Gebäude entwickeln sich östlich der Bahnhofstraße in die Tiefe und staffeln sich dort kammartig im hinteren Grundstücksbereich.

Literatur

Cramm, Tilo (2000)
Der Bergbau ist nicht nur eines Mannes Sache. Das Bergwerk Victor-Ickern in Castrop-Rauxel. Essen.
Lehmann, Klaus Michael (1978)
Alte Ansichten aus Castrop-Rauxel. Castrop-Rauxel.
Reichsverband der Adressbuchverleger (Hrsg.) (1935)
Adressbuch der Stadt Castrop-Rauxel 1935. Bochum.
(1978)
Siedlungen aus den Regierungsbezirken Arnsberg und Münster. Beitrag zu einem Kurzinventar (Dokumentation des Forschungsvorhabens "Wohnen und Arbeiten im Ruhrgebiet", Arbeitsschritt 1). (Dortmunder Arbeitshefte, 8.) Greven.
(o.J.)
Karten im Stadtarchiv der Stadt Castrop-Rauxel (Bezeichnung, Gemarkung, Flur). Castrop-Rauxel.
(o.J.)
Archiv des Immobilienmanagements der Stadt Castrop-Rauxel (Bezeichnung, Straße, Haus-Nr.). Castrop-Rauxel.

Siedlungen an der nördlichen Bahnhofstraße in Rauxel und Castrop

Schlagwörter
Fachsicht(en)
Kulturlandschaftspflege
Erfassungsmaßstab
i.d.R. 1:25.000 (kleiner als 1:20.000)
Erfassungsmethode
Literaturauswertung
Historischer Zeitraum
Beginn 1960

Empfohlene Zitierweise

Urheberrechtlicher Hinweis
Der hier präsentierte Inhalt ist urheberrechtlich geschützt. Die angezeigten Medien unterliegen möglicherweise zusätzlichen urheberrechtlichen Bedingungen, die an diesen ausgewiesen sind.
Empfohlene Zitierweise
„Siedlungen an der nördlichen Bahnhofstraße in Rauxel und Castrop”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/A-P363N504-20090504-32 (Abgerufen: 27. April 2024)
Seitenanfang