400 Millionen Jahre Erdgeschichte: das Rheinische Schiefergebirge und der Niederrhein

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Fachsicht(en): Kulturlandschaftspflege
  • Abbildung: Geologische und landschaftliche Entwicklung vor etwa 300 bis 350 Millionen Jahren im Oberkarbon

    Abbildung: Geologische und landschaftliche Entwicklung vor etwa 300 bis 350 Millionen Jahren im Oberkarbon

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    Boldt, Kai-W.
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    Kai-W. Boldt
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Das Fundament einer Landschaft ist immer die Geologie: Riesige geologische Platten bewegen sich entweder aufeinander zu, voneinander weg oder gleiten horizontal aneinander vorbei. Das geht seit fast 5 Millliarden Jahren so, als sich unsere Erde durch das Zusammenstoßen kosmischer Partikel, Meteoriten und so weiter gebildet hatte. Kollidieren Platten, werden zwischen ihnen Gesteinsmassen zu Gebirgen aufgefaltet und die Kontinente miteinander verbunden – ähnlich wie eine wulstige Schweißnaht beim Fügen von Werkstücken. Gleichzeitig fängt die Erosion an, die entstandenen Vollformen abzutragen und verfrachtet das Material in riesige Senken vor den Gebirgen, wo sie durch Druck der immer mächtigeren Ablagerungen zu Sedimentgesteinen verfestigt werden. Manchmal dringt auch das Meer an die Gebirgränder vor, lagert Kalksteine oder Salze ab und sorgt mit gleichzeitigen Klimaveränderungen – mal feucht-heiß, mal wüstenhaft oder auch mal eisig kalt – für lebhafte Veränderungen der Flora, Fauna und Kulisse.

Die Geschichte von Rheinischem Schiefergebirge und Niederrheinischer Bucht startete vor knapp 400 MIllionen Jahren. Damals befand sich die Erde in der geologischen Periode des Devon. Mitteleuropa war geologisch zerstückelt und geriet als Knautschzone zwischen zwei ältere Kontinente – Gondwana im Süden und den sogenannten „Old Red“-Kontinent im Norden. Das Resultat war die Auffaltung des Variszischen Gebirges und dessen Heraushebung im Zeitalter des Karbon; heute ist davon im geologischen Verständnis nur noch ein weitgehend erodierter Stumpf erhalten geblieben: Mittelgebirge wie das Rheinische Schiefergebirge oder der Harz. Kein Vergleich mit jüngeren Gebirgen wie den Alpen oder dem Himalaya.

Vor etwa 350 Millionen Jahren begann dann im jüngeren Karbon etwas, das viel später unseren Kulturraum und unsere Geschichte prägen sollte, bis hin zum „Wirtschaftswunder“ der Nachkriegszeit: Vor dem Variszischen Gebirge beziehungsweise als dessen nördlichste geologische Zone gab es eine sich saumartig vertiefende Senke, das sogenannte Subvariszikum, in dem unter tropischen, feucht-heißen Bedingungen und bei einer explosionsartigen Entwicklung der Pflanzenwelt Sümpfe und Moore entstanden. Später erfolgte deren Kompaktierung als Steinkohle. Ohne diesen Vorgang hätte die wirtschaftliche Entwicklung des Ruhrgebiets zur Montanregion des 19. und 20. Jahrhunderts niemals stattgefunden. Blicken wir auf die naturräumliche Gliederung Deutschlands, liegen jetzt der Niederrhein und ein kleiner Teil der Niederrheinischen Bucht auf dieser Zone.

Knapp 50 bis 100 Millionen Jahre später standen weitere große Veränderungen an: Das Variszische Gebirge war im Bereich des Rheinischen Schiefergebirges zwischenzeitlich zu einer flachen, eintönigen Ebene abgetragen worden (Permische Rumpffläche); dieses Gebiet blieb bis heute weitgehend Festland und erfährt seitdem insgesamt eine tektonische Hebung infolge von Intraplattentektonik. Der Niederrhein hingegen senkte sich tendentiell, was im krassen Gegensatz dazu eine komplexe Sedimentation mit diversen Schichtlücken bewirkte. Letzteres bedeutet, dass zu dieser Zeit dort entweder Festland flächenhaft abgetragen wurde oder Sedimente später wieder entfernt worden sind. Meer und Festland wechselten sich entsprechend ab. Permanente Veränderungen kennzeichneten die vorzeitliche Umwelt am Niederrhein – sowohl klimatisch als auch tektonisch: So konnte es beim Vorrücken (Transgression) des Meeres im Zeitalter des Zechstein zur Ablagerung von Salzen kommen oder in der Kreide-Zeit, die vor knapp 144 Millionen Jahren begann, zur Sedimentation von Sanden, Kiesen und Tonen, die von Flüssen Richtung Meer transportiert worden waren. Zur Vorstellung der damaligen Umwelt: Es war die Zeit der Dinosaurier, und Angiospermen (Bedecksamer) machten die Welt als Blütenpflanzen bunter.

Der Gegensatz von Schiefergebirge als Hebungsgebiet und Niederrhein als Senkungsraum manifestierte sich endgültig in der älteren Tertiär-Zeit vor circa 65 bis 30 Millionen Jahren. Teilweise lagerten sich in der Niederrheinischen Bucht an tektonisch begünstigten Stellen bis zur Quartär-Zeit mehr als 1.000 m tertiäre Sedimente ab – teils als Braunkohle, die, vergleichbar zur Steinkohle des Ruhrgebiets, zum wesentlichen Faktor für die Energiewirtschaft rund um Köln und Düsseldorf werden sollte. Mangroven und Regenwälder prägten die Szenerie, teils war es aber auch trockener: savannenartig bis mediterran. Das Meer drang mehrmals oszillierend vor, zog sich aber zwischen 5 und 2 Millionen Jahren vor heute immer weiter zurück.

Vor 2 MIllionen Jahren, gegen Ende des Tertiärs war der Niederrhein demnach eine flache Aufschüttungsebene, während das Rheinische Schiefergebirge als Abtragungsgebiet schon eine deutliche Reliefierung aufwies, vermutlich in Form von treppenartigen Ebenen und einzelnen Tälern. Solche Rumpfstufen waren im Tertiär bei intensiver Verwitterung und tief reichender Bodenbildung in heißen und zugleich niederschlagsreichen Gebieten, wie den heutigen Tropen entstanden. Abgetragen worden sind die mächtigen Böden damals durch schichtflutenartige Abspülung an der Erdoberfläche und eine unterirdische Abfuhr von Stoffen in Suspension.

Das Klima änderte sich danach dramatisch – es ging mit Beginn des Quartärs sozusagen aus der Sauna in den Kühlschrank: Das Eiszeitalter kam mit dem Wechsel von kalten und wärmeren Perioden und sorgte für völlig andere Umweltbedingungen. Jetzt erfolgte der Feinschliff der Landschaft, der auch für den Kulturraum von entscheidender Relevanz war und ist. Biologisch war die Zeit mehr als spannend: Mammuts, Höhlenlöwen und andere direkte Vorläufer unserer heutigen Großsäuger bevölkerten in kalten Perioden die Szenerie. Tiefseesedimente belegen, dass es diesbezüglich mehr als 100 massive Klimaschwankungen gegeben hat – klassisch werden in Norddeutschland sechs markante Kaltzeiten ausgewiesen: Brüggen, Eburon, Menap, Elster, Saale, Weichsel.

Während dieser eisigen Phasen drangen Gletscher von Skandinavien aus vor und parkten ihr mitgebrachtes Material als Moränen in der Landschaft. Vor den Gletschern entstanden durch abfließendes Wasser flach abdachende Ebenen, die Sander. Randlich der Gletscher war das Periglazial – ähnlich den heutigen sibirischen Tundren oder Kältesteppen und mit typischen Gräsern und Flechten eher unwirtlich. Wärmere Phasen hingegen ähnelten unserer heutigen Umwelt, es gab Wald und eine uns bekannt erscheinende Tierwelt. Geformt wurde die Landschaft vor allem durch die Flüsse, deren Abflussverhalten mit dem Klima variierte, und die sich deshalb entweder einschnitten oder aufschotterten. Es entstanden die typischen Haupt-, Mittel- und Niederterrassen im Rheinischen Schiefergebirge und am Niederrhein. Das Schiefergebirge wurde zum markant zertalten Mittelgebirge, während die Niederrhein-Landschaft eine flach getreppte Terrassierung in Lockersedimenten darstellt. Die insgesamt komplexe Verschachtelung der Terrassen am Niederrhein ist neben dem klimatisch bedingten Abflussverhalten auch durch Tektonik und Meeresspiegelschwankungen beeinflusst worden. Wind erfasste auf diesen Terrassen außerdem Feinmaterial und verteilte es als fruchtbaren Löss wie einen Schleier über die Landschaft.

In der letzten Kaltzeit entstanden die Niederterrassen durch Sedimentation bei Hochwasserspitzen und verwildertem, das bedeutet netzwerkartig auf viele Arme verteiltem Abfluss von Rhein, Maas und Nebenflüssen. Auf den sommerlich aufgetauten Tal- und Terrassenhängen entstanden Hangschuttdecken durch Massenbewegungen (Soliflktion). Am Ende der Weichselzeit und in unserer Warmzeit – dem Holozän – passierten am Niederrhein aber noch weitere wichtige Dinge: Die Flüsse und Bäche bildeten zunächst dynamische Flussschlingen und zerschnitten die weichselzeitliche Niederterrasse – als Resultat gleichmäßiger Niederschläge und aufgrund eines nun linearen Abflusses. Neben komplex sedimentierten Auen und Altarmen, in denen sich Torf bilden konnte, entstand die bedeutende Formengemeinschaft der Kendeln und Donken (siehe unten). Boden bildete sich insbesondere als Parabraunerde und Braunerde. Wälder aus Buchen und Eichen breiteten sich aus.

Was zunächst vor 10.000 Jahren im Mesolithikum (Mittelsteinzeit) als Jägerei und Sammlertum begann, sollte sich bald in strukturierter Landnahme äussern. Die neolithische Revolution sorgte seit etwa 6.000 Jahren vor heute für die Sesshaftwerdung der Menschen (Jungsteinzeit). Landschaft wurde inwert gesetzt, mit Häusern, Feldern und ersten dörflichen Strukturen. Die Kultivierung von Gemüse und Weizen kombinierten die Bauern mit der Haltung von Rindern und Schweinen. Dazu gab es Handel mit Halbfertigfabrikaten wie Klingen aus Feuerstein. Der Mensch griff aber immer stärker in den Landschaftshaushalt ein und definierte damit die Kulturlandschaft. Torf wurde abgebaut und man errichtete immer mehr persistierende Siedlungen an den Kanten der Niederterrasse: Dafür und für herrschaftliche Anlagen wurde ein Großteil des Waldes gerodet. Nun konnte auf den Kendeln (Verebnungsflächen auf der Niederterrasse) Landwirtschaft betrieben und in den Donken (feuchte Tiefenlinien zwischen den Kendeln) Grünland genutzt werden. Die Folgen waren weitreichend – und auch negativ für die ökologische Wertigkeit: Neben typischen, eher wertneutralen Erscheinungen wie Korbweiden kam es zur Entstehung von Dünen und zu der Genese von Heidevegetation auf saurem Ausgangssubstrat (Sand). Später, seit dem 18. Jahrhundert war man auch in der Lage, Verlagerungen der Fließgewässer mit bautechnischen Eingriffen zu regulieren. Heute gibt es deshalb die gegenläufige Renaturierung.

Die Bedeutung der geographischen Entwicklung der letzten 400 Millionen Jahre auf die Kulturlandschaft ist aber auch im Rheinischen Schiefergirge immens: Zum Beispiel basieren viele traditionelle Wirtschaftszweige, wie die Metallverarbeitung im Süderbergland, auf den nahegelegenen Kohlevorkommen und auf den Erzen des Variszischen Gebirges sowie der dort möglichen Nutzung von Wasserkraft – dies als Resultat des Höhenunterschieds zwischen Rheinischem Schiefergebirge und Niederrhein (Flussgefälle, Reliefenergie). Ein bekanntes Beispiel ist die Solinger Klingenindustrie.

(Kai-William Boldt, 2020)

Literatur

Boldt, Kai-William; Gelhar, Martina (2008)
Das Ruhrgebiet - Landschaft, Industrie, Kultur. Darmstadt.
Liedtke, Herbert; Marcinek, Joachim (2002)
Physische Geographie Deutschlands. Gotha.

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Kai-William Boldt, „400 Millionen Jahre Erdgeschichte: das Rheinische Schiefergebirge und der Niederrhein”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/SWB-324077 (Abgerufen: 17. Juni 2024)
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