Möglicherweise wurde die antike Verehrung eines Quellheiligtums an einem See im Gohrer Bruch im frühen Mittelalter auf eine Verehrung der heiligen Odilia in einer ihr geweihten Kirche, die in einer Spornlage an einem Terrassenrand liegt, übertragen. Die Entfernung zwischen den beiden Verehrungsorten beträgt etwa 1700 Meter. Hierfür spricht der Bericht, dass noch zu Ende des 19. Jahrhunderts „man noch vor Kurzem das Wasser aus dem jenem See schöpfte und verbrauchte dasselbe, in der Kirche geweiht, gegen Augenleiden etc“. Die Verehrung der heiligen Odilia in Gohr ist sehr bekannt, holten sich doch Pilger aus dem Brunnen vor dem Pfarrhaus das so genannte Odilienwasser, das als heilkräftig gegen Augenleiden galt. An diesem Brunnen sind Waschungen der kranken Augen belegt, die neun Tage unter Abhaltung von Gebeten wiederholt wurden. Auch werden Wunderheilungen berichtet.
Vor dem alten Pfarrhaus befinden sich noch Reste einer früheren Brunnenanlage. Unter der jetzigen Abdeckung ist ein 11 Meter tiefer, aus Feldbrandsteinen gemauerter runder Schacht mit einem Durchmesser von 1,20 Metern vorhanden. Möglicherweise handelte es sich ursprünglich um einen Schöpfbrunnen, der später mit einer Schwengelpumpe bedient wurde.
Die Brunnenanlage stammt vermutlich aus dem 16. Jahrhundert und diente vor allem dem Pfarrhaus und dem zugehörigen Bauernhof zur Wasserversorgung. Aus dieser Anlage stammte auch das Wasser für die Pilger, ab den1950er Jahren wurde das Wasser der öffentlichen Wasserleitung entnommen.
Heute befindet sich auf dem Platz vor der Kirche ein neugestalteter Brunnen, der aus der öffentlichen Wasserversorgung gespeist wird. Die Pilger entnehmen heute gesegnetes Odilienwasser aus einem Wasserbecken in der Kirche. Von der örtlichen Bevölkerung wird das Odilienwasser auch „Borwasser“ genannt, ein deutlicher Hinweis auf die Augenheilfunktion des Wassers (Bor als pharmakologischer Bestandteil von Augenheilmedikamenten).
(Stefan Kronsbein, 2015)