Invaliden-Friedhof in Berlin

Schlagwörter:
Fachsicht(en): Kulturlandschaftspflege, Denkmalpflege, Architekturgeschichte
Gemeinde(n): Berlin
Kreis(e): Berlin
Bundesland: Berlin
Koordinate WGS84 52° 31′ 55,71″ N: 13° 22′ 20,2″ O 52,53214°N: 13,37228°O
Koordinate UTM 33.389.589,69 m: 5.821.471,99 m
Koordinate Gauss/Krüger 4.593.225,13 m: 5.823.000,60 m
Der Invalidenfriedhof in Berlin, unweit des modernen Regierungsviertels und eingebettet zwischen Spreeufer und geschäftigen Straßen, ist ein Ort von tiefer historischer Bedeutung und morbider Schönheit. Er ist mehr als ein alter Friedhof, er ist ein stiller Zeuge preußischer, deutscher und europäischer Geschichte, ein Spiegelbild politischer Umbrüche und ein heute geschütztes Denkmal der Mahnung und Versöhnung.

Seine Wurzeln reichen zurück bis in das Jahr 1748. König Friedrich II. von Preußen, „der Große“, ordnete die Anlage des Friedhofs an - zunächst vor den Toren der Stadt - als letzte Ruhestätte für die Veteranen und Invaliden des nahegelegenen Invalidenhauses. Dieses Heim bot Kriegsversehrten aus den Schlesischen Kriegen einen Ort der Versorgung - der Friedhof sollte ihnen und ihren Angehörigen eine würdige Grablege bieten. Schnell entwickelte er sich jedoch auch zur bevorzugten Begräbnisstätte für preußische Militärs, Staatsmänner und Gelehrte von Rang und Namen: Gerhard von Scharnhorst, der bedeutende Militärreformer und Organisator des preußischen Widerstands gegen Napoleon, fand hier 1813 seine letzte Ruhe. Sein imposantes Grabmal, gestaltet von Karl Friedrich Schinkel und Christian Daniel Rauch, ist eines der künstlerisch und historisch herausragendsten Monumente des Friedhofs. Theodor Körner, Dichter und Freiheitskämpfer der Befreiungskriege, gefallen 1813 - sein Herz wurde hier beigesetzt. Auch August Neidhardt von Gneisenau, Militärreformer und Feldmarschall (1831); Hermann von Boyen, Kriegsminister und Verfasser der Preußischen Heeresreform (1848), nach dem die preußische Festung Boyen in Lötzen (polnisch Gizycko) benannt ist; nicht zuletzt Albrecht von Roon, Kriegsminister und enger Vertrauter Bismarcks (1879).
Alleine diese kleine Auswahl von Namen verdeutlicht die immense nationale Bedeutung, die der Friedhof im 19. Jahrhundert erlangte. Er wurde zum preußischen Nationalpantheon, wo Militärtradition und Staatsdienst verehrt wurden.

Die tiefste Zäsur erlebte der Invalidenfriedhof nach dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere mit dem Bau der Berliner Mauer 1961. Der Friedhof lag plötzlich im unmittelbaren Grenzstreifen zwischen Ost- und West-Berlin. Die DDR-Führung betrachtete die preußisch-militärischen Symbole und Gräber als unerwünschtes Relikt des Militarismus und Feudalismus. Ein großer Teil des Friedhofsgeländes wurde planiert, um freies Schussfeld für die Grenztruppen und den Todesstreifen entlang der Mauer zu schaffen. Unzählige Grabmale wurden zerschlagen, abtransportiert oder als Baumaterial genutzt. Ganze Grabfelder verschwanden unter Betonplatten und Stacheldraht. Der verbliebene, östlich der Mauer gelegene Rest des Friedhofs verfiel mangels Pflege zusehends. Die Natur eroberte die verwüsteten Flächen zurück, überwucherte die verbliebenen, beschädigten Grabsteine. Das Areal wurde zum verbotenen, vergessenen Ort im Todesstreifen.

Mit der friedlichen Revolution 1989 und der Wiedervereinigung begann ein neues Kapitel für den Invalidenfriedhof. Schon 1991 wurde der gesamte Friedhof als Gartendenkmal und seit 1993 zusätzlich als Teil der „Mauer-Gedenkstätten“ unter Schutz gestellt.
In den 1990er Jahren begannen aufwändige Restaurierungs- und Rekonstruktionsarbeiten. Zerstörte Grabmale wurden, wo möglich, anhand alter Pläne und Fotografien rekonstruiert - wie das Scharnhorst-Denkmal. Verschollene Grabsteine wurden geborgen und wieder aufgestellt. Systematische Grabungen legten zerstörte Gräber frei und trugen dazu bei, die Geschichte des Ortes verständlich zu machen. Die Spuren der Mauer - Fundamente, Lichttrassen - wurden bewusst als Teil der Geschichte sichtbar belassen oder markiert.

Heute präsentiert sich der Invalidenfriedhof als ein Ort der vielschichtigen Erinnerung. Neben den restaurierten, imposanten Grabmonumenten finden sich schlichte, wiederhergestellte Gräber von Invaliden. Die Spuren der Zerstörung sind bewusst sichtbar geblieben: verwitterte, zerbrochene Steine, von Efeu überwucherte Trümmerfelder neben den rekonstruierten Denkmälern. Der Verlauf der ehemaligen Mauer ist erkennbar. Der Kontrast zwischen einstiger Pracht, brutaler Zerstörung und behutsamer Restaurierung ist selbst ein eindrückliches Mahnmal.

Heute ist der Invalidenfriedhof ein Ort von großer Kraft und besonderer Atmosphäre: Er dokumentiert eindringlich über 250 Jahre deutsche Geschichte - vom preußischen Militärstaat über Kaiserreich und Nationalsozialismus bis hin zur Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands. Trotz seiner zentralen Lage hat sich der Friedhof zu einer erstaunlichen Naturoase entwickelt. Die jahrzehntelange bewusste Vernachlässigung ermöglichte eine reiche Flora und Fauna. Seltene Pflanzen, Vögel und Insekten finden hier einen Rückzugsraum. Diese „wilde Natur“ im Dialog mit den historischen Steinen verleiht dem Ort eine besondere Atmosphäre.

Der Invalidenfriedhof ist ein einzigartiges Kultur- und Geschichtsdenkmal von nationaler Bedeutung. Er vereint auf engstem Raum die Gegensätze deutscher Geschichte: Preußens Glanz und militärischen Geist, die Verwüstungen des 20. Jahrhunderts durch Krieg und Diktatur, die Spaltung der Stadt und schließlich den mühsamen Weg der Wiedervereinigung und Aufarbeitung. Als Ort der Stille, des Gedenkens und der sich zurückerobernden Natur ist er heute ein unverzichtbarer und tief bewegender Teil des Berliner Gedenkstättenensembles.

(Karl Peter Wiemer, Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz e.V., 2025)

Internet
de.wikipedia.org: Invalidenfriedhof (abgerufen 16.06.2025)
www.berlin.de: Sehenswürdigkeiten - Invalidenfriedhof (abgerufen 16.06.2025)
www.berlin.de: Mauerreste auf dem Invalidenfriedhof (abgerufen 16.06.2025)
www.fu-berlin.de: Der Invalidenfriedhof in Berlin - Ein fast vergessener Ort (abgerufen 16.06.2025)
www.wo-sie-ruhen.de: Invalidenfriedhof Berlin - Faltblatt (PDF-Dokument, 2 MB, abgerufen 16.06.2025)
www.chronik-der-mauer.de: Invalidenfriedhof (abgerufen 16.06.2025)

Literatur

Kopleck, Maik (2011)
PastFinder Berlin. Berlin.
Kopleck, Maik (2005)
Berlin 1933-1945. Berlin.

Invaliden-Friedhof in Berlin

Schlagwörter
Straße / Hausnummer
Scharnhorststraße 31
Ort
10115 Berlin
Fachsicht(en)
Kulturlandschaftspflege, Denkmalpflege, Architekturgeschichte
Erfassungsmaßstab
i.d.R. 1:5.000 (größer als 1:20.000)
Erfassungsmethode
Auswertung historischer Karten, Auswertung historischer Fotos, Literaturauswertung, Geländebegehung/-kartierung, mündliche Hinweise Ortsansässiger, Ortskundiger
Historischer Zeitraum
Beginn vor 1748

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Karl Peter Wiemer (2025): „Invaliden-Friedhof in Berlin”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-356370 (Abgerufen: 4. Juli 2025)
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