Alte Seefahrtsschule
Arbeitsgemeinschaft Maritime Landschaft Unterelbe
Die Geschichte des Hauses
Hinweis, Quellen, Links, Literatur
Alte Seefahrtsschule
Die imposanten Gebäude mit den auffälligen Dachaufbauten wurden seit 1856 errichtet und im Laufe der Zeit immer wieder verändert. Heute befinden sich hier Besuchereinrichtungen, Ausstellungsräume und die Geschäftsstellen der Maritimen Landschaft Unterelbe, der Stiftung Elbefonds und des Tourismusverbandes des Landkreises Stade.
Das Haus bietet im Foyer eine großzügige Ausstellungsfläche mit ehemaligen Lehrmitteln, historischen und modernen Seekarten sowie nautischen Instrumenten. Einer der Höhepunkte ist der restaurierte Planetariumsprojektor von 1958. Mit diesem Eigenbauinstrument lernten die Auszubildenden bis 1979 die Navigation anhand der Sterne.
Im Foyer beginnen die Kapitänsführungen und die Vorführungen im Planetarium. Bei der Kapitänsführung wird in die ehemalige Ausbildung auf der Kapitänsbrücke eingeführt. Ein Kapitän a.D. zeigt wie die Geräte bedient wurden, wie man navigiert und was es hieß, zur See zu fahren. Von der Schiffsbrücke bzw. der Dachterrasse aus hat man einen ungehinderten Ausblick auf die Elbe. Die heutige Ausstattung mit Navigationsgeräten ist dem Rotary Club Altes Land Jork zu verdanken, der die Patenschaft für den alten Navigationsraum der Seefahrtsschule sowie dessen Umgestaltung übernommen hat.
In der ehemaligen Seefahrtsschule erlernten die Auszubildenden die Navigation auf See außerdem anhand der Sterne. Zu diesem Zweck installierte man 1958 ein Planetarium im Untergeschoss des Hauses. Kernstück des Planetariums ist heute das traditionelle Projektionsgerät der Firma Carl Zeiss Jena, ein ZKP II (Zeiss-Kleinplanetarium II) von 1980. Es wirft bis zu 5.800 Lichtpunkte an die Kuppel und besteht aus zwei Kugeln für den nördlichen und südlichen Sternenhimmel. Zusätzliche Sonnensystem-, Satelliten- und Kometenprojektoren erweitern die Darstellungsmöglichkeiten.
Das Haus besitzt zudem einen mietbaren Seminarraum für Veranstaltungen. Die Alte Seefahrtsschule ist auch eine Außenstelle des Standesamtes der Samtgemeinde Lühe. Trauungen können im Planetarium oder auf der Kapitänsbrücke erfolgen.
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Arbeitsgemeinschaft Maritime Landschaft Unterelbe
Die 2002 gegründete Arbeitsgemeinschaft hat das Ziel, das maritime Kulturerbe an der Unterelbe zu profilieren, ehrenamtliche Initiativen zu unterstützen und für deren Belange auf kommunalpolitischer Ebene zu sensibilisieren. Der Arbeitsgemeinschaft gehören 23 Elbanrainerkommunen, Kreise, Städte sowie die Freie und Hansestadt Hamburg an. Das Wirkungsfeld reicht von Hamburg bis an die Elbmündung in die Nordsee über ein Gebiet von 3.500 Quadratkilometern.
Bemerkenswert ist die länderübergreifende Zusammenarbeit von drei Bundesländern, sechs Kreisen und 19 Gemeinden. Finanziert wird die Maritime Landschaft Unterelbe aus Beiträgen der Mitglieder.
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Die Geschichte des Hauses
Navigationsschule 1856 bis 1878
Das Alte Land nordwestlich von Hamburg ist bekannt für seinen Obstanbau. Dieser ist seit dem Hohen Mittelalter überliefert. Zentral war die Bewerkstelligung des Warentransports, vor allem in die örtlichen Zentren wie Stade, Bremervörde, Itzehoe und vor allem Hamburg. Im 19. Jahrhundert kam verstärkt die Ziegel- und Getreideproduktion aus dem Raum Kehdingen hinzu, die vor allem in der Metropole Hamburg nachgefragt waren. Die Stadt selbst wirkte durch ihr Wachstum, ihre wirtschaftliche Macht und ihren großen Bedarf an Waren und Produkten wie ein Katalysator für die sozioökonomische Entwicklung an der Unterelbe.
Als Transportmittel dienten vor allem Boote, da ein Transport über Land zu langwierig und unwirtschaftlich war. Der steigende Transportbedarf führte zu einer stark anwachsenden Zahl von Transportschiffen, wie Ewern und Tjalken, die von Privatleuten betrieben wurden. An der Elbe und ihren Nebenflüssen etablierten sich so zahlreiche kleinere Häfen. Darüber hinaus gab es intensiven Handel mit England, Skandinavien, den Niederlanden und Belgien, nach Frankreich und auch Übersee. Hier spielte vor allem der Verkehr nach Amerika auf Hamburger Schiffen eine erwähnenswerte Rolle.
Die privat betriebenen Elbschiffe wurden von erfahrenen Kapitänen geführt. Diese erlernten ihre Fähigkeiten in den Familien, durch Erfahrungen und Praxis. Die zunehmende Zahl von Schiffen verschiedener Größen und Geschwindigkeiten stellten auf der stark befahrenen Elbe eine große Gefahr für Menschen und Handelsgut dar. Es wurde daher erforderlich, die Kenntnisse durch Ausbildung in Theorie und Praxis zu vertiefen.
In schriftlichen Quellen wird erstmalig 1845 von privat organisiertem Unterricht für Kapitäne in Cranz berichtet. Kapitän Peter Porath bot diesen Unterricht im Winter an, da dann die Schifffahrt größtenteils zum Erliegen kam. Auf diese Weise verdiente er sich außerdem etwas Geld hinzu. Porath war 1815 geboren worden, ausgebildet in Amsterdam und erfahren durch Ostindienfahrten. Für die Ausbildung der Kapitäne wollte er eine eigene Schule gründen.
Dabei kam ihm zupass, dass die königliche Regierung in Hannover seit 1847 verlangte, dass Steuerleute und Seeschiffer auf hannoverschen Schiffen ein hannoversches Patent vorzuweisen hatten. Es wurde daher erforderlich, Navigationsschulen zu gründen, in denen nach einem festen Lehrplan unterrichtet wurde. Die ersten dieser Schulen entstanden in Emden und Papenburg. Die Schule für höhere Mathematik für die Nautik bestand in Hannover.
Durch die Initiative von Porath konnte erreicht werden, dass in Grünendeich an der Elbe 1858 ein Neubau als königliche Navigationsschule eröffnet wurde. Der Architekt ist bislang unbekannt. Bei der Einweihung am 8. Januar 1858 war König Georg V. (1819–1878) anwesend. Eine Besonderheit war das begehbare Flachdach für astronomische Beobachtungen, der Zugang erfolgte über einen Holzturm. Zwei stilistisch ähnliche Gebäude stehen in unmittelbarer Nähe der Alten Seefahrtsschule.
Porath wurde als Staatsbeamter mit festem Gehalt (umgerechnet 19.500 €) und Dienstwohnung in der Schule angestellt. Nach der Einrichtung der Schule verdreifachte sich die Zahl der Auszubildenden auf 80. Kapitän Porath wurde für seine Arbeiten mit Orden und Gehaltserhöhungen ausgezeichnet. Er wurde 1870 pensioniert und starb 1875.
1866 wurde das Königreich Hannover annektiert und in das Königreich Preußen integriert. Gesetzliche Änderungen in der Ausbildung machten die Einrichtung einer Vorschule in Grünendeich erforderlich mit der Begründung eines „eklatanten Mangels an elementarer Bildung“.
Der Norddeutsche Bund, die Vereinigung aller deutschen Staaten nördlich der Mainlinie unter preußischer Führung, setzte die Vereinheitlichung der Vorschriften zur Befähigung als Seeschiffer und Steuermann durch. Die Prüfungsanforderungen wurden im Regulativ für die Königlich Preußischen Navigationsschulen vereinheitlicht. Nun konnten Seeleute, die in einem Bundesstaat ein Patent erwarben, auf allen Schiffen des Bundes fahren.
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Navigationsvorschule und Seefahrtsschule 1879 bis 1925
Durch die Einrichtung einer Navigationsschule auf Große Fahrt in Geestemünde (heute Bremerhaven) änderte sich die Ausbildung in Grünendeich, da der in Grünendeich für die Große Fahrt zuständige Lehrer Jungclaus erster Direktor der Schule in Geestemünde wurde. In Grünendeich war der Unterricht nun auf die Steuermannsklasse und Seeschiffer auf Kleine Fahrt beschränkt. Es folgte die Konzentration auf die Vorschulbildung für Seefahrt, die Vorbereitung für die Prüfungen für Seeschiffer auf Küstenfahrt sowie für kleine und mittlere Hochseeschifffahrt.
Infolge der mangelnden Ausbildungsmöglichkeit zur Großen Fahrt nahm die Zahl der Auszubildenden stetig ab. Zudem ließ die Küstenschifffahrt merklich nach und die Seeleute drängten auf die lukrativen Hochseeschiffe. Vor allem während der englischen Seeblockade im Ersten Weltkrieg sank die Zahl der Auszubildenden weiter. Um einer Schließung der Schule aufgrund finanzieller Nöte vorzukommen, wurden ab 1914 Winterlehrgänge eingerichtet und die Dienstwohnung an Privatleute vermietet.
Während des Ersten Weltkrieges gab es keine Änderungen im Lehrablauf. Einzig 1916 nannte man die Navigationsschulen in Seefahrtsschulen um.
In der Nachkriegszeit musste die Schule in Grünendeich aus Kostengründen 1919 schließen. Das Gebäude wurde an die schon im Haus befindlichen Mieter, die Lotsenfamilie Vollmers, verkauft.
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Vor- und Seefahrtsschule 1925 bis 1945
1925 konnte die Vorschule wiedereröffnet werden. Die wirtschaftlichen Grundlagen hatten sich in den 1920er Jahren erheblich verbessert. Der allgemeine Aufschwung machte den Transport von Waren auf dem Seeweg wieder attraktiv. Notwendig waren entsprechend ausgebildete Seeleute. Zunächst gab es winterliche Kurse zur Vorbereitung auf Prüfungen für Seeschiffer und Steuermann Kleine Fahrt. 1930 folgte erneut die Umbenennung in Seefahrtsschule. Die Schulleitung hatte nun der Direktor der Seefahrtsschule in St. Pauli inne, W. Reuter. Durch diese Personalunion ergab sich für ausgesuchte Grünendeicher Schüler auch die Möglichkeit, in Hamburg die Ausbildung auf Große Fahrt zu machen.
Für die Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 fehlen historische Quellen weitestgehend, so dass über die Verhältnisse in dieser Periode keine verlässlichen Angaben vorliegen. Einzig die Prüfungs- und Zulassungsordnung bieten einen Einblick in die nationalsozialistische Weltanschauung.
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Seefahrtsschule 1945 bis 1972
In der ersten Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Gebäude als Volksschule genutzt, so mündliche Hinweise von Anwohnenden.
Nach den massiven Verlusten im Krieg und der alliierten Beschränkung auf die Küstenschifffahrt, wurde die deutsche Küstenschifffahrtsflotte wieder aufgebaut. Für die erforderliche nautische Ausbildung richtete man die Seefahrtsschule 1949 wieder ein; sie bildete fortan für die Kleine Fahrt aus. Die Bedeutung der Seefahrtsschule für die Küstenschifffahrt verdeutlicht die Zahl von 220 gemeldeten Schiffen allein im Landkreis Stade, von insgesamt 900 in der Bundesrepublik.
Durch den Zustrom an Auszubildenden erweiterte man 1958 die Schule um Klassenräume für die zunehmende Zahl der Auszubildenden. Das Planetarium wurde eingerichtet und der Brückenraum mit modernen Navigationsgeräten als Übungsraum ausgestattet. Der Abbruch der alten Dachterrasse mit Turm für die Sternenbeobachtung erfolgte 1970. Stattdessen legte man ein einfaches Flachdach an.
Zugleich wurden die Ausbildungszeiten verlängert und um das Patent auf Mittlere Fahrt erweitert. Die steigende Zahl der Auszubildenden machte eine erneute Ausweitung des Unterrichtes erforderlich. 1971 baute man einen Pavillon mit Schulräumen an der Rückseite des Gebäudes an. Hinzu kam ein Foyer, in dem in einem Manöverbecken mit Modellschiffen, deren Verhalten bei unterschiedlichen Strömungsverhältnissen in kleinem Maßstab geübt werden konnte.
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Fachschule Seefahrt 1973 bis 2002
1973 erfolgte die Umbenennung in Fachschule Seefahrt. Neben der Kleinen und Mittleren Fahrt konnten Auszubildende das AM-Patent (Kapitänspatent Mittlere Fahrt) erlangen. Jenes befähigte zum weltweiten Führen von Frachtschiffen bis 8.000 BRZ (Bruttoregisterzahl) und Passagierschiffen bis 6.000 BRZ. Als nochmalige bauliche Erweiterung richtete man einen Pavillon für technische Schulungsräume an der Vorderseite des Gebäudes ein.
In den folgenden Jahren modernisierte man das Planetarium und die Kapitänsbrücke für insgesamt eine Millionen Mark. Die Auszubildenden schlossen sich den allgemeinen Veränderungen im Schul- und Hochschulwesen an und gründeten unter anderem einen Allgemeinen Studentenausschuss (ASTA). Erstmals wurden Frauen an der Schule unterrichtet. Die Bedeutung der Schule und der seemännischen Ausbildung wuchs parallel zum wirtschaftlichen Aufschwung in der Bundesrepublik.
Mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten 1989/1990 änderten sich die Verhältnisse. Bundespolitische Entschlüsse zum zweiten Schiffsregister machten es möglich, Schiffe auszuflaggen. Das bedeutet, dass Schiffsmannschaften aus dem Ausland nicht mehr nach deutschen Tariflöhnen bezahlt und entsprechende Sozialstandards erfüllt werden mussten, wenn eine deutsche Reederei ihre Schiffe unter der Flagge eines anderen Landes fuhren ließen. Bis heute wird so agiert. Das führte zu einer fortschreitenden Abnahme der Zahlen der Auszubildenden in Grünendeich, weswegen die Schule 2002 notwendigerweise geschlossen und die Ausbildung nach Cuxhaven verlegt wurde.
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Geschäftsstelle der Maritimen Landschaft Unterelbe seit 2002
Das vorhandene Gebäude mit seiner Geschichte und seinen bestehenden Einrichtungen bot hervorragende Möglichkeiten, als Geschäftsstelle für die Arbeitsgemeinschaft Maritime Landschaft Unterelbe genutzt zu werden. Mit Fördermitteln der Metropolregion Hamburg baute man das Gebäude entsprechend um. Der Pavillon von 1971 vor dem Gebäude wurde zugunsten von Parkplätzen entfernt. Das Manöverbecken wurde stillgelegt, der Umriss blieb aber im Foyer erhalten. Die mobilen Einrichtungen, Unterlagen etc. der Schule wurden größtenteils an die Seefahrtsschule in Cuxhaven abgegeben.
Im Foyer des Hauses baute man ein großflächiges Modell des Elbverlaufs ein. Hier fanden temporäre Ausstellungen mit maritimer Thematik statt. 2005 übernahm der Rotary Club Altes Land Jork die Patenschaft für die Kapitänsbrücke. Es folgte ein umfangreicher Umbau der Anlage.
Die Neukonzeption von 2023 sieht vor, dass die Ausstellung einen Bezug zur Schule hat und deren Einfluss auf die Kulturlandschaft Unterelbe verdeutlicht. Planetarium und Kapitänsbrücke dienen als außerschulische Lernorte, touristische Attraktion und individueller Erlebnisraum. Das Foyer ist nun freier zugänglich und bietet einen barrierefreien Blick auf unterschiedliche Ausstellungsstücke. Die Kapitänsbrücke wurde ebenfalls luftiger gestaltet, neu gestrichen und die Dachterrasse attraktiviert. Vor dem Haus konnte die Aufstellung eines Ankersteines bewerkstelligt werden: Spätestens ab 1477 war die Hansestadt Hamburg bemüht, das Fahrwasser der Elbe zu markieren. Hierfür verwendete man Hohlkörper aus Eichenholz, die über eine Eisenkette an Steinankern auf Position gehalten wurden. Der vor dem Gebäude aufgestellte Ankerstein besteht aus Granit, wiegt ca. 350 Kilogramm und stammt von ca. 1850. Das bislang analoge Planetarium soll 2024/25 umgebaut, modernisiert und digitalisiert werden.
(Sebastian Ipach, Arge Maritime Landschaft Unterelbe GbR / Claus Weber, KuLaDig-Redaktion, 2024)
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Hinweis
Das historische Gebäude der Seefahrtsschule ist ein Einzeldenkmal gemäß § 3 Abs. 2 NDSchG, Objekt Nr. 21.
Quellen
- Landesarchiv Niedersachsen, Abteilung Stade.
- Archiv der Samtgemeinde Lühe, Steinkirchen.
- Mündliche Hinweise von Anwohnern.
Internet
www.maritime-elbe.de: Maritime Landschaft Unterelbe (Abgerufen 20.3.2024)
metropolregion.hamburg.de: Maritime Landschaft Unterelbe Metropolregion Hamburg (Abgerufen 20.3.2024)
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