Leben am Rhein, Station 10

Kornsandverbrechen

Schlagwörter:
Fachsicht(en): Landeskunde
Gemeinde(n): Nierstein
Kreis(e): Mainz-Bingen
Bundesland: Rheinland-Pfalz
Koordinate WGS84 49° 52′ 11,74″ N: 8° 20′ 49,23″ O 49,86993°N: 8,34701°O
Koordinate UTM 32.453.076,00 m: 5.524.373,19 m
Koordinate Gauss/Krüger 3.453.132,35 m: 5.526.143,76 m
Über Jahrhunderte gehörte der auf der hessischen Seite gelegene Kornsand zu Nierstein, heute zur Gemeinde Trebur. Unweit der Anlegestelle der Fähre auf der Kornsander Seite erinnert heute ein im Jahre 1954 errichteter Gedenkstein an ein schlimmes Verbrechen durch die Nationalsozialisten in den letzten Tagen des Krieges. Zu diesem Objekt gibt es eine interaktive 360-Grad-Ansicht.

Tathergang
Es war der 21. März 1945, als in unmittelbarer Nähe des Gedenksteins am Kornsand fünf Niersteiner und ein Oppenheimer Bürger ermordet wurden. Verblendete Nationalsozialisten begingen das Verbrechen, dem Cerry und Johann Eller, Georg Eberhardt, Nikolaus Lerch, Jakob Schuch und Rudolf Gruber zum Opfer fielen. Am selben Tag zogen bereits amerikanische Truppen in die Gemeinden links des Rheins. Der Krieg war hier zu Ende.

Bei den fünf Niersteinern handelte es sich um Sozialdemokraten und Kommunisten. Cerry Eller, die Ehefrau von Johann Eller, war zudem jüdischer Abstammung. Sie alle waren schon während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und vorübergehend eingesperrt gewesen. Zur Frage aber, wieso Cerry Eller bis 1945 von Verfolgung nach den Rassegesetzen verschont blieb, gibt es keine belegbare Antwort. Über die Gründe, warum sie einer möglichen Deportation entging, kann daher nicht genaues gesagt werden.
Am 18. März 1945 wurden die fünf Niersteiner wegen „Aufwiegelei“ festgenommen, der NSDAP in Darmstadt überstellt, am Morgen des 21. März jedoch wieder entlassen. Sofort machten sie sich auf den Weg zum Kornsand, um mit der Fähre in ihre Heimatstadt überzusetzen. Da die Fähre mittlerweile nur noch vom Militär genutzt werden durfte, versuchten sie mit einem Nachen den Rhein zu überqueren. Dies wurde ihnen verwehrt. Sie gingen zurück auf die Fähre, wo sie erneut verhaftet und abgeführt wurden. Daran waren Alfred Schniering, ehemaliger Leiter der NS-Gauschule, Georg Ludwig Bittel, Ortsgruppenleiter der NSDAP und vor allem Leutnant Heinrich Funk beteiligt. Rudolf Gruber, ein Volkssturmmann aus Oppenheim, der nur seinen vergessenen Rucksack holen wollte, wurde von Schniering der Fahnenflucht bezichtigt und ebenfalls verhaftet.

Nach einem „Verhör“ in der Gaststätte Wehner hatte Schniering in der Gaststätte den Befehl zum Mord gegeben. Danach wurden seine Opfer zur nahe gelegenen Flak-Stellung getrieben. Dort suchte Schniering vergeblich nach Freiwilligen für ein Erschießungskommando. Die unschuldigen Niersteiner und Oppenheimer wurden nochmals etwa 100 Meter von der Flak-Stellung weg auf das Feld gezerrt. Sie mussten ihre eigenen Gräber ausheben und wurden brutal misshandelt. Erneut suchte Schniering erfolglos nach Freiwilligen für die Erschießung. Leutnant Kaiser - er war 18 Jahre alt - meldete sich schließlich und übernahm die Erschießung der sechs Todgeweihten. Diese mussten sich der Reihe nach vor den Gräbern aufstellen und wurden von Kaiser durch Genickschuss ermordet - im Anblick ihrer Heimat. Jahre später standen Schniering, Kaiser, Funk und Bittel vor Gericht. Alle drei waren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Die Urteile blieben vergleichsweise milde. Alle drei wurden vorzeitig entlassen, Bittel sogar freigesprochen. Zur Zeit der Urteile galt bereits das Grundgesetz und die Todesstrafe war auch für Mörder abgeschafft.

Im Jahre 1954 wurde ein Gedenkstein unmittelbar am Tatort errichtet. Die Inschrift lautet:

„21. März 1945
Im Anblick ihrer Heimat
wurden hier schuldlos erschossen: Eberhardt Georg, Nierstein
Eller Cerry, Nierstein
Eller Johann, Nierstein
Lerch Nikolaus, Nierstein
Schuch Jakob, Nierstein
Gruber Rudolf, Oppenheim
Den Toten zum Gedächtnis!
Den Lebenden zur Mahnung!
Damit, was hier geschah,
sich nie wiederhole“


Jährlich finden nun Feiern zum Gedenken an die sechs Opfer statt.

(Hans-Uwe Stapf; Geschichtsverein Nierstein, 2017/2022)

Internet
www.gg-online.de: Gedenkstein am Kornsand (abgerufen 31.01.2023)
de.wikipedia.org: Kornsandverbrechen (abgerufen 31.01.2023)

Leben am Rhein, Station 10

Schlagwörter
Straße / Hausnummer
Rheinallee
Ort
55283 Nierstein
Fachsicht(en)
Landeskunde
Erfassungsmaßstab
i.d.R. 1:5.000 (größer als 1:20.000)
Erfassungsmethode
Literaturauswertung, Geländebegehung/-kartierung, mündliche Hinweise Ortsansässiger, Ortskundiger

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Hans-Uwe Stapf (2017), Geschichtsverein Nierstein (2022): „Leben am Rhein, Station 10”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-344844 (Abgerufen: 18. April 2024)
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