Während 1929 der Rhein an anderen Orten schon lange zugefroren war, blieb der Strom in Nierstein immer noch teilweise offen. „Der Vater Rhein in Fesseln“ lautete die Überschrift eines aktuellen Beitrages in der örtlichen Zeitung „Niersteiner Warte“. Auch in Nierstein gewann schließlich das Eis die Oberhand. Eine mächtige Eisschicht bedeckte den Rhein, dick übereinander liegend türmten sich die Eisschollen bizarr auf. Während direkt am Rhein die Menschen zahlreichen Eisfreuden nachgingen, wurden die Kohlen knapp, weil kein Schiff wegen des Eisganges fahren konnte. Wann das Eis betreten werden durfte, legte die französische Militärkommandantur fest.
Die Menschen waren in jenen Wochen überwiegend fasziniert von dem Naturschauspiel. Es gab auf beiden Seiten des Rheins zahlreiche Eisvergnügen. Der Fährwirt Jupp Wehner auf dem Kornsand etwa empfahl, sich nach dem Eisübergang in seinem Lokal bei Glühwein zu wärmen. Auf der Niersteiner Seite herrschte regelrecht Volksfeststimmung. Zum bunten Treiben gehörten die Auftritte von Musikkapellen wie der Rheingoldkapelle und Gesangdarbietungen. Die Gastwirte boten neben Glühwein auch Schnaps, Punsch, Grog und Liköre. Auf der Terrasse des Gasthauses „Zum Goldenen Anker“ lud Gastwirt Eduard Gröhl ein und bot ein „Grosses Eis-Konzert“. Ein Stammtisch schleppte einen Holztisch auf das Eis und versammelte sich zumindest für den Fotografen zur weinseligen Runde (siehe Abbildung in der Mediengalerie). Zwischen Zeppelinstein und dem damals neuen Pumpwerk hatten ein Leeheimer Gastwirt und Metzger ein Schlachtfest organisiert. Die größte Attraktion aber war der Bau mehrerer Holzfässer durch die örtlichen Weinküfer auf der Eisfläche vor Nierstein. Viele dieser Fässer lagen noch lange in den Kellern Niersteiner Weingüter, ihre geschnitzten Fassböden erinnerten an das Naturereignis des Eiswinters 1929. Allein für das Weingut Georg Schmitt stellte Küfermeister Glock 3 Halbstück- und 3 Viertelstück-Fässer „auf dem festen Eise bei loderndem Feuer“ her. Auch Küfermeister Jakob Gerhardt war auf dem Eis aktiv und baute mehrere Fässer. Küfermeister Wilhelm Weber baute zusammen mit seinen beiden Söhnen Wilhelm und Fritz für das Weingut Heinrich Seebrich ein Halbstückfass. Dieses Fass wird noch heute genutzt. Sein geschnitzter Fassboden trägt die Inschrift: „Erbaut auf den Rheines erstarten (sic) Fluten zu bergen der Reben edelster Säfte - Weingut Heinrich Seebrich, Nierstein a./Rh. Am 3. März 1929“ und zeigt einen Vater Rhein, der auf Eisschollen sitzt.
(Hans-Peter Hexemer, Geschichtsverein Nierstein e.V., 2022)