Bis in die 1960er Jahre hinein war die Schifffahrt in Nierstein ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. So gab es in den 1920er Jahren in Nierstein 30 selbständige Schiffer mit einem Patent. Der größte Teil hiervon war allerdings als Schiffsführer oder Matrose für die großen Reedereien tätig. Auch ein besonderer Geschäftszweig stand direkt im Zusammenhang mit der Schifffahrt: die Proviantboote auf dem Rhein. Die Anlegestelle der Proviantboote befand sich unterhalb der Mainzer Straße, sie ist jedoch nicht erhalten geblieben. Zu diesem Objekt gibt es eine interaktive 360-Grad-Ansicht. Sie zeigt den ehemaligen Anlegeort der Niersteiner Proviantschiffe.
Funktion und Warensortiment Zur Versorgung der Binnenschiffe fuhren früher auf allen großen Wasserstraßen Proviantboote. Die Boote waren kleine „Schwimmende Tante-Emma-Läden“. Anfänglich einfach und eher nur für den direkten Transport der Lebensmittel zum Schiff konstruiert, wurden die Proviantboote weiter entwickelt und mit Regalen, Kühltruhe, Kühlschrank und einer Verkaufstheke ausgestattet. Die Warenpalette reichte von Lebensmitteln, Zeitungen und Zeitschriften bis zu Kleidung und Ausrüstungsgegenstände für das Schiff. Von den vorbeifahrenden Schiffen wurde das Proviantboot mittels eines Hubgeräusches herangeordert, es legte direkt an und die Besatzung konnte in voller Fahrt Waren für ihren täglichen Bedarf einkaufen.
Die Betreiber Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in Nierstein zumindest einen Proviantboot-Betreiber. Um 1910 versorgte das Proviantboot von Philipp Becker, der in der Mainzer Straße 76 eine Gastwirtschaft betrieb, die Schiffe. Welche und wie viele Proviantboote es in Nierstein bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges gab, konnte bisher nicht genau ermittelt werden. Nach 1945 war es Adam Schmitt, der als erster mit einem Proviantboot die Versorgung wieder aufnahm. Auch er war Gastwirt und Besitzer des Gasthauses „Zur Rheinlust“. In Höhe seiner Gaststätte zwischen Bordhof und Schiffergasse war der Liegeplatz seines Bootes, das den Namen „Moeve I“ trug. In den darauffolgenden Jahren übernahmen dann Hans Schmitt und dessen Sohn Anton dieses Proviantboot. Anfang der 1960er Jahre ließen sie ein neues Proviantboot mit modernster Innenausstattung bauen und nannten es „Möve“. Der Liegeplatz ihres Bootes mit schwimmendem Lagerhaus, war in Nähe der ehemaligen Wasserschutzpolizeistation Nierstein, Mainzer Straße 80.
In den 1950er und 1960er Jahren waren in Nierstein teilweise sogar bis zu drei Proviantboote zeitgleich zur Vorsorgung der Schiffer unterwegs. Neben Hans Schmitt und seinem Sohn Anton (Toni) betrieb auch noch Willi Schneider ein Proviantboot. Der Liegeplatz auf dem Rhein war zwischen der Rheinstraße und dem Bahnhof. Fritz Dilg war der dritte Betreiber eines Proviantbootes mit dem Namen „Johannes“. Daneben führte er die schwimmende Gaststätte „Rheinnixe“, die direkt neben dem Schiffermast lag. Dort war zugleich eine Orderstation, wo Schiffer ihre Bestellungen aufgeben konnten, die dann direkt mit dem Proviantboot an Bord der vorbeifahrenden Schiffe geliefert wurden.
Das letzte Proviantboot Durch die ständig voranschreitende Modernisierung der Schiffe, wie eine eigene Stromversorgung, die Ausstattung mit Kühlschränken sowie Gefriertruhen und den dadurch möglichen Großeinkauf im Supermarkt, verloren die Betreiber der Proviantboote immer mehr Kunden und somit ihre Existenzgrundlage.1968 stellte die „Möve“ als letztes Niersteiner Proviantboot den Betrieb ein.
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Empfohlene Zitierweise
Hans-Uwe Stapf (2013), Hans-Peter Hexemer (2022): „Leben am Rhein, Station 2”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-344838 (Abgerufen: 29. März 2024)
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