Bis heute lässt sich an der Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandenen Bebauung erkennen, dass es kleine Häuschen waren, die die Schifferfamilien bewohnten. Sie hatten eine Heimat an Land und eine Heimat auf dem großen Fluss. Dort verbrachten insbesondere die Partikuliere, die selbstständigen Schifferfamilien, die meiste Zeit ihres Lebens; die Ehefrauen waren immer dabei, während die Kinder meist das Schifferkinderschulheim besuchten, sofern sie nicht bei Familienangehörigen in Nierstein groß wurden. Nötig war dieses zweite Zuhause, damit man im Krankheitsfall, dem Urlaub, an den hohen Festtagen und für die spätere Rentnerzeit eine Bleibe an Land hatte. Schifferfrauen wurden für eine volkskundliche Untersuchung danach befragt, wo sie stärker daheim gewesen seien. Eine typische Antwort war: „An Bord waren wir zuhause, da verbrachten wir ja die meiste Zeit. In der Landwohnung fühlte man sich mehr als Besuch“. Und so brachten die Schiffer „heimelige Schiffige“ Elemente von Bord an Land. Waren die Häuschen auch oft noch so klein, so zierte sie als typischer Hausschmuck ein kleiner Schiffermast oder eine Haspel, das Steuerrad. Ihre Häuschen auf kleinster Fläche ohne Gartenanteile nur mit einem kleinen Hof sind sehr typisch und bestehen bis heute. Die Kleinhausbebauung prägt die Straßen. Es lohnt sich, einmal einen Blick in diese Straßen zu werfen, insbesondere im Bordhof, der Schiffergasse, der Neubaugasse oder im Tiefen Weg ist diese noch sehr geschlossen erhalten. Immer noch stehen in den Straßen mit dieser Kleinhausbebauung an den Häusern Fahnenmasten wie sie auf den Schiffen vorhanden waren. Heute sind die Häuschen oft aufgestockt, dadurch noch weiter ineinander verschachtelt. Auch in ihrer Erscheinung selbst blieben die Schiffer an Land erkennbar, weiterhin trugen sie die Kapitänsmütze. Oft trafen sich die Pensionäre am Rhein, am sogenannten „Dalles“, um die Schiffe zu beobachten und sich über das Ortsgeschehen auszutauschen. Auch ein gewisser „schiffiger“ Wortschatz blieb erhalten. Weil die Schiffe oft weibliche Namen trugen, sagen Rheinschiffer nämlich nie „das Boot“, sondern immer „die Boot“. Auch heute, wo auf dem Rhein Containerschiffe das Geschehen prägen.
(Hans-Peter Hexemer, Geschichtsverein Nierstein e.V., 2022)