Inspiriert vom Bergarbeiterstreik an der Ruhr fünf Tage zuvor, kamen am 15. Mai 1889 unter Nikolaus Warken (1851-1920) – ein Bergarbeiter aus Hasborn und Vorsitzender des Streikkomitees „Arbeitskampf im Ruhrgebiet“ – etwa 3.000 Bergarbeiter in Bildstock zusammen, um sich gegen ihre schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen unter der Königlich Preußischen Bergwerksdirektion aufzulehnen. Aus der Versammlung ging das als Petition an Kaiser Wilhelm II. gerichtete „Bildstocker Protokoll“ (auch die „Bildstocker Forderungen“ genannt) hervor, in dem die Arbeiter einen Acht-Stunden-Tag, einen Mindestlohn von 4 Reichsmark pro Tag und den Verzicht auf das Einsperren in den Bergwerken forderten. Eine Delegation des Streikkomitees, bestehend aus Warken selbst und zwei weiteren Bergarbeitern, bat um Vorsprache beim Kaiser, doch weder er noch die preußische Bergverwaltung zeigten sich zu Verhandlungen bereit – die Forderungen wurden abgelehnt. Nichtsdestotrotz versammelten sie sich eine Woche später erneut, diesmal waren es sogar etwa 15.000 an der Zahl, und beschlossen, in den Streik zu gehen. 11.500 saarländische Bergarbeiter traten diesen am Tag darauf, dem 23. Mai 1889, bis zum 3. Juni desselben Jahres an. Warken wurde „wegen hervorragender agitatorischer Tätigkeit“ am 15. Juni 1889 von der Bergwerksdirektion entlassen.
Gründung des Rechtsschutzverein
Als Reaktion auf die Misserfolge der vorausgegangenen Geschehnisse luden die Streikführer am 28. Juli 1889 zur Gründungsversammlung des „Rechtsschutzvereins für die bergmännische Bevölkerung des Oberbergamtsbezirks Bonn“ (= Gewerkschaft; kurz „Rechtsschutzverein“). Organisatorisch stellten sie diesen nach dem Vorbild des Dortmunder Rechtsschutzvereins auf, um in Zukunft als ein strategisches Organ vorgehen zu können; Warken, inzwischen unter dem Namen „Eckstein“ bekannt, wurde zum Vorsitzenden gewählt. Doch die bürgerliche Presse ging mit Hetzkampagnen, der Staat mit etlichen Unterdrückungsversuchen gegen Warken und den Verein vor, insbesondere mit dem Erlass eines behördlich angeordneten und polizeilich ausgeführten Versammlungsverbots unter freiem Himmel. Sie erhofften sich, dem öffentlichen Aufsehen, das Streik und Versammlungen erregten, Einhalt zu gebieten.
Bau des Saals
Aber der Verein reagierte kurzum mit der Planung eines Vereinshauses, dem sogenannten Rechtsschutzsaal, für welches der Gastwirt und Kassierer des Vereins, Nikolaus Kron, sein Grundstück bereitstellte. Zur Finanzierung des vom Architekten Heinrich Güth entworfenen, schätzungsweise 50.000 Reichsmark teuren Gebäudes wurde jedes Mitglied dazu aufgefordert, 1 Reichsmark und zwei Backsteine beizusteuern. Während am 10. Mai 1891 der Grundstein gelegt werden konnte, zählte der Verein am 1. August 1891 bereits 20.139 Mitglieder, ganze 68 % aller Saarbergarbeiter. Mehrere tausend von ihnen feierten entgegen massiver Behinderungen durch die Behörden am 11. September desselben Jahres die Einweihung des Gebäudes, dessen Versammlungssaal mit 490 Quadratmeter Grundfläche Platz für 980 Personen bot. Im Keller fand eine Druckerpresse für das Vereinsorgan „Schlägel und Eisen“ Einzug.
Hochphase bis Ende der Auflehnungen
Über den Sommer 1892 hinweg verschärfte sich der Konflikt. Denn hinzu kamen ein sinkender Kohleabsatz, der von der Bergverwaltung durch Lohnsenkungen zu kompensieren versucht wurde, sowie der Erlass einer neuen, noch strengeren Arbeitsordnung. Auf zwei Versammlungen am 28. Dezember 1892 hin wurde ein weiterer Streik beschlossen, tausende Bergleute hatten vor, kurzer Hand fristlos zu kündigen. In der Tat begann am Tag darauf ein Streik von mehr als 20.000 Bergarbeitern, 6.475 von ihnen legten ihre Arbeit unverzüglich nieder. Am 30. Dezember 1892 hatte der Streik solche Ausmaße angenommen, dass weitere 14.220 Männer ihren Ausstand zum Jahresende beschlossen. An Silvester 1892 verhaftete die Polizei Warken in der Hoffnung, den Streik durch die fehlende Führungsperson beenden zu können. Zwar erreichte die Beteiligung am 2. Januar 1893 mit 25.326 registrierten streikenden Bergarbeitern ihren Höhepunkt, doch durch anhaltende und härter werdende Drohungen von Seiten der Behörden wurde der Streik geschwächt. In Folge der Umsetzung der Drohung vom preußischen Bergfiskus, massenhafte Entlassungen der noch zum Arbeiten gewillten Bergleute durchzuführen, kam es am 19. Januar schlussendlich zum Streikabbruch. Davon sollte sich die Bewegung nicht mehr erholen – er lief Konkurs, und viele Mitglieder traten aus, da die Bergwerksdirektion die Wiedereinstellungen vom Austritt abhängig machte. Im Juni 1893 belief sich die Mitgliederzahl auf gerade einmal 344.
Umfunktionierungen des Rechttschutzsaals
Im Dezember desselben Jahres musste der Rechtsschutzsaal an eine Brauerei in Neunkirchen verkauft werden; am 27. August 1896 erwarb wiederum die Königlich Preußische Bergwerksdirektion das Gebäude. Am 27. August 1892 löste sich das Verein letztendlich auf. Sein ehemaliges Vereinsgebäude durchlief in den Folgejahren verschiedene Nutzungen und hatte diverse Funktionen – von Schulgebäude, über Werkskindergarten und Hauswirtschaftsschule bis hin zur Nähstube für Bergmannsfrauen war alles vertreten. Auch wurden in den 1970er Jahren im oberen Stockwerk Werkswohnungen eingerichtet, das Erdgeschoss mieteten erneut Vereine.
Neuste Entwicklungen und heutige Nutzung
Die Überschreibung des Rechtsschutzsaals von der Saarbergwerke AG an die Stadt Friedrichsthal Mitte des Jahres 1989 leitete seine heutige Nutzung ein. So gründe sie 1990 zusammen mit dem Land Saarland, dem Stadtverband Saarbrücken, der Saarbergwerke AG, der IG Bergbau und Energie, der Arbeitskammer des Saarlandes, der DGB Landesbezirk Saar, dem Gesangsverein „Edelweiß-Germania 1868“ und der Hans-Böckler-Stiftung die Stiftung „Rechtsschutzsaal“. Diese hat sich das Ziel gesetzt, die bauliche Unterhaltung des Gebäudes zu sichern, die Entwicklung von Gedenk- und Informationsstätten der saarländischen Arbeiterkultur und Sozialgeschichte zu fördern sowie die Geschichte der ersten Solidarisierungsbestrebungen der Saarbergleute zu dokumentieren. Zuletzt kam es mit finanzieller Unterstützung der saarländischen Landesregierung im Jahre 2014 zu einer Sanierung, sodass die heutigen Räumlichkeiten als moderne Tagungs- und Ausstellungsstätten oder Ort für Feierlichkeiten angemietet werden können. Als ältestes Gewerkschaftshaus Deutschlands und Geburtsstätte der Gewerkschaftsbewegung sind jene Säle des heute auch „Haus der Solidarität“ genannten Gebäudes mit Außenterrasse nach bedeutenden Persönlichkeiten der (saarländischen) Gewerkschaftsgeschichte benannt: „Nikolaus-Warken-Saal“, „Lucie-Meyfahrt-Saal“, „Hans-Böckler-Saal“ und „Kurt-Hartz-Saal“.
(Ministerium für Bildung und Kultur des Saarlandes, 2019 / Sarina Eßling, Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz e.V., 2022)
Internet
- www.rechtsschutzsaal.de: Chronik des Rechtsschutzsaals (abgerufen am 06.04.2022)
- www.rechtsschutzsaal.de: Die Namensgeber der Säle des Rechtsschutzsaales (abgerufen am 06.04.2022)
- www.rechtsschutzsaal.de: Stiftungszweck (abgerufen am 06.04.2022)
- www.saarland.de: Rechtsschutzsaal, Friedrichsthal-Bildstock (abgerufen am 06.04.2022)
- www.bbsr.bund.de: Friedrichsthal. Rechtsschutzsaal Bildstock. (abgerufen am 06.04.2022)
- www.uni-saarland.de: Route 1 – Zeugnisse des Steinkohlenbergbaus im Saarkohlewald (abgerufen am 06.04.2022)