Vor dem Pfarrheim wurde dabei eine frühere Grenzsäule der nunmehr endgültig überwundenen deutsch-deutschen Grenze als Mahnmal und Gedenkstein zur Deutschen Einheit errichtet. Im Laufe der Zeit ist der ursprüngliche schwarz-rot-goldene Anstrich des DDR-Grenzsteins aus Stahlbeton allmählich verblasst, doch die Inschrift der runden Tafel ist noch gut lesbar. Der über einer Pfadfinderlilie stehende Text lautet:
- GRENZPFOSTEN -
der innerdeutschen Grenze / zwischen
SIMMERSHAUSEN - OBERWEID
errichtet als Mahnmal / 3.10.1990
DPSG - Kaisersesch
der innerdeutschen Grenze / zwischen
SIMMERSHAUSEN - OBERWEID
errichtet als Mahnmal / 3.10.1990
DPSG - Kaisersesch
Aber wie kommt ein Grenzstein der ehemals über 1.400 Kilometer langen innerdeutschen Grenze in die 300 Kilometer entfernte Eifel?
Im Sommer 1990 fand das jährliche Sommerlager der Kaisersescher Sankt-Georgs-Pfadinder auf dem Zeltplatz auf dem Buchschirm (heute Thomas-Morus-Haus) in der Marktgemeinde Hilders im Naturpark Hessische Rhön statt, unmittelbar an der damals noch bestehenden Grenze zur DDR gelegen. Den teilnehmenden Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG) sind bis heute noch zahlreiche Erinnerungen mit damaligen Erlebnissen zur „Wende“ präsent: Unter anderem erlebten die Pfadfinder den Tag der Währungsunion zwischen West- und Ostdeutschland am 1. Juli unmittelbar vor Ort und eine mehrtägige Wanderung mit Übernachtung in einem Dienstgebäude der DDR-Grenztruppen führte sie entlang der nur wenige Monate zuvor noch tödlichen Grenzanlagen (www.dpsg-kaisersesch.de).
Ob sich die Jugendlichen des vielzitierten „wehenden Mantels der Geschichte“ seinerzeit schon bewusst waren, ist unklar – jedenfalls erbeuteten sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit Hämmern, Meißeln und Eisensäge bewaffnet einen der steinernen Pfosten an der nahen Grenzübergangsstelle zwischen dem westdeutschen Ortsteil Hilders-Simmershausen (Landkreis Fulda) und der thüringischen Gemeinde Oberweid (Landkreis Schmalkalden-Meiningen).
Bereits unmittelbar nach der Maueröffnung wurde das Grenzregime am von der DDR-Führung so bezeichneten „antifaschistischen Schutzwall“ gelockert – was vor allem hieß, dass nun nicht mehr auf „Grenzverletzer“ geschossen wurde. Zum 3. Dezember 1989 war so auch an der zuvor über Jahrzehnte hin von beiden Seiten her endenden Straße zwischen Simmershausen und Oberweid ein Grenzübergang eingerichtet worden. Nach und nach wurde dann an den Übergängen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR kaum noch kontrolliert.
Gleichwohl: Auch unter diesen Bedingungen wäre der mit der Demontage eines Teils der Staatsgrenze endende Raubzug der Pfadfinder von den Grenzbehörden sicher nicht als „Kavaliersdelikt“ geahndet worden…
Als die Pfadfinder mit ihrem Diebesgut wieder zuhause in der Eifel waren und nur wenige Wochen später die unerwartet rasche Vollendung der deutschen Einheit zum 3. Oktober 1990 anstand, entschied man sich, mit dem Grenzstein auch im Kleinen an die Deutsche Teilung und deren Überwindung zu erinnern.
(Franz-Josef Knöchel, Digitales Kulturerbe LVR, 2019)
Internet
www.dpsg-kaisersesch.de: Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg Kaisersesch, Bericht zum Sommerlager 1990, „Die Grenzanlagen wecken immer noch Betroffenheit“ (Rhein-Zeitung vom 21.08.1990, abgerufen 18.02.2019)
www.thomas-morus-haus.de: Thomas-Morus-Haus am Buchschirm in Hilders (abgerufen 18.02.2019)