Namensherkunft
Über die Namensgebung lässt sich sagen, dass der Name entweder im Zusammenhang mit dem Schleyertor steht oder möglicherweise auf Brautzüge zurückzuführen ist, da jedes Paar, das einst in der katholischen Kirche von Sankt Goar den Bund der Ehe schließen wollte, die Schleiergasse durchqueren musste. Durch die Gasse und das Schleyertor, das Nordtor der Stadtbefestigung, führte der Weg die Hochzeitspaare zu der vor den Toren der Stadt stehenden Kirche. Im Volksmund wurde die Schleiergasse daher auch der Pfad der Liebenden genannt. Neben dem freudigen Anlass der Eheschließung wurden jedoch auch die Toten auf ihrem letzten Weg durch die Schleiergasse zum Friedhof begleitet.
Frühere Namen sind ebenfalls überliefert: Burggasse, Maulgasse, Frau-Base-Gass.
Die Bezeichnung Burggasse ist eher verständlich, da sich jenseits der Stadtmauer die Gasse in den zur Burg Rheinfels führenden Weg fortsetzt. Dieser Name wurde bereits in einem Dokument aus dem Jahr 1566 gefunden. Maulgasse geht auf das Haus am unteren Ende der Gasse zurück. Hier ebaute 1682 Johann Heinrich Maul in kunstvoller Fachwerkbauweise das nach ihm benannte „Haus Maul“. Keine endgültige Erklärung ist bisher auf den Namen „Frau-Base-Gass“ gefunden, obwohl auch diese Bezeichnung, wie auch die zuvor genannten, in Königlichen Amtsblättern der 1830er Jahre verzeichnet ist.
Die Schleiergasse wurde früher im Volksmund ebenfalls die „Vier Glatzen-Gasse“ genannt – nach vier dort wohnenden Herren ohne Haupthaar: dem Kaufmann Johann Kölzer, dem Barbier Carl Goeddaeus, dem Schneider Jakob Pulcher und dem Kaufmann und Stadtbeigeordneten Franz Knopp. Es wurde erzählt, dass einmal in einer Hexennacht neben dem normalen Straßenschild „Schleiergasse“ ein neues Schild „Vier Glatzen-Gasse“ angebracht wurde.
Heutige Bedeutung
Mit dem Abbruch des benachbarten Stadtmauerabschnittes und dem Bau der Bahnlinie, dem die Verbindung zum Schlossberg zum Opfer gefallen ist, hat die Schleiergasse ihre einstige Bedeutung eingebüßt. Abgesehen vom Fachwerkhaus Heerstraße 123 an der Ecke zur Heerstraße ist die heutige Bebauung mit traufständigen Bauten im Kern barock. Dies geht auf die Tatsache zurück, dass die Nordmauer der Stadtbefestigung und die angrenzende Bebauung zu Beginn des 18. Jahrhunderts zerstört waren.
Wer heute durch diese von der Heerstraße zur Oberstraße führende stille Gasse geht, der kann sich nicht vorstellen, dass hier noch vor Jahrzehnten ein reges Geschäftsleben pulsierte. So eröffnete dort vor 140 Jahren eine Senffabrik, gleich zwei Lebensmittel-, Haushaltswaren- und Gemüsegeschäfte und eine Bäckerei boten ihre Waren an, beim Schuhmacher konnten Schuhe besohlt, beim Schneider ein neuer Anzug in Auftrag gegeben, bei der Putzmacherin eine Steppdecke bestellt und beim Friseur die Haare geschnitten werden. Auch ein Anstreicher bot seine Dienste an.
Im Gegensatz zu den anderen Querstraßen von Sankt Goar existieren heute noch zahlreiche historische Abbildungen. Das Gässchen ist seit Generation ein beliebtes Motiv romantischer Stadtansichten, da sich direkt am unteren Ende der Gasse das oben erwähnte „Haus Maul“ befindet. Aus der richtigen Perspektive kann man den oberhalb der Gasse befindlichen Kanzleiturm sehen, was eine Einladung zu attraktiven Fotomotiven darstellt.
Die Schleiergasse ist eine Station des historischen Stadtrundgangs von Sankt Goar, dem „Via Sancto Goaris“, der mit Hinweistafeln auf besondere Objekte in der Stadt verweist.
(Sebastian Weinand, Universität Koblenz-Landau, 2015)
Internet
st-goar.de: St. Goar - Schleiergasse - Pfad der Liebenden (abgerufen 20.09.2016)
st-goar.de: St. Goar: Als es in der St. Goarer Sschleiergasse noch eine Senffabrik gab (abgerufen: 20.09.2016)