Kugelhaus

Schlagwörter:
Fachsicht(en): Denkmalpflege
Gemeinde(n): Böhlen (Sachsen)
Kreis(e): Leipzig
Bundesland: Sachsen
Koordinate WGS84 51° 12′ 15,55″ N: 12° 23′ 13,41″ O 51,20432°N: 12,38706°O
Koordinate UTM 33.317.470,98 m: 5.675.791,35 m
Koordinate Gauss/Krüger 4.527.156,49 m: 5.674.445,81 m
  • Mehrfamilienwohnhaus (mit vier Eingängen) in offener Bebauung, Eingangsdetail

    Mehrfamilienwohnhaus (mit vier Eingängen) in offener Bebauung, Eingangsdetail

    Fotograf/Urheber:
    Isabell Schmock-Wieczorek
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  • Mehrfamilienwohnhaus (mit vier Eingängen) in offener Bebauung, Blick über den Vorhof nach Nordost

    Mehrfamilienwohnhaus (mit vier Eingängen) in offener Bebauung, Blick über den Vorhof nach Nordost

    Fotograf/Urheber:
    Nils Schinker
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  • Mehrfamilienwohnhaus (mit vier Eingängen) in offener Bebauung, Schrägansicht von Norden

    Mehrfamilienwohnhaus (mit vier Eingängen) in offener Bebauung, Schrägansicht von Norden

    Fotograf/Urheber:
    Nils Schinker
    Medientyp:
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Das sogenannte Kugelhaus an der Ostseite der Karl-Marx-Straße nimmt in seiner zurückgesetzt freigestellten Lage gegenüber der Böhlener Kirche im Süden und des heutigen Rathauses im Norden eine besondere Stellung ein, die symptomatisch für die Entwicklung von Böhlen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts steht.
Das frühere Bauerndorf Böhlen erfuhr mit Beginn der 1920er Jahre grundlegende Veränderungen. Am 1. April 1921 erfolgte der erste Spatenstich zum Abbau des Böhlener Grubenfeldes. Mit der hier gewonnenen Braunkohle und dem ab 1920 neu errichteten Böhlener Großkraftwerk sollte die Energieversorgung für Westsachsen und Teile Thüringens abgesichert werden. Der Grund und Boden, den der sächsische Staat schon seit 1918 in und um Böhlen erwarb, wurde nicht nur für Tagebau und Kraftwerk benötigt, sondern auch für die Errichtung von Verwaltungs- und Wohnbauten des Böhlener Energieunternehmens, das seit 1924 Aktiengesellschaft Sächsische Werke (ASW) hieß. Die ASW wurde als Staatsbetrieb geführt.
Bei der Errichtung der Werkswohnungen nutzte die Werksleitung u. a. Teile des aufgekauften Rittergutes. Im Herrenhaus und im Gutspark entstanden durch Um- und Neubau Beamtenwohnungen. Für Arbeiterwohnungen wurde die Schäferei ausgebaut. Gleiches sollte mit anderen Wirtschaftsbauten des Gutshofes geschehen. Schließlich entschloss man sich hier doch für Neubau. 1928/29 wurde an Stelle des Südflügels im ehemaligen Wirtschaftshof der hier in Rede stehende, stattliche Wohnblock für 24 Familien errichtet. Insgesamt erhielt Böhlen in den 1920/30er Jahren durch die ASW und später auch die Braunkohlen-Benzin-AG (Brabag) hunderte neuer Wohnungen für die massenhaft aus strukturarmen Regionen zuziehenden Arbeitskräfte Böhlen entwickelte sich damit vom Dorf zur Werksstadt und erhielt mit der neuen zwei- und dreigeschossigen Wohnbebauung ein völlig verändertes Erscheinungsbild.
Der Wohnblock Karl-Marx-Straße 12, 14, 16, 18 ist von den neuen Wohnbauten auf Grund seiner architektonischen Gestaltung und seiner städtebaulichen Position das herausragende Beispiel. Er ist weitgehend im Originalzustand erhalten. So bezeugt und veranschaulicht er die beschriebene einschneidende Entwicklungsetappe des Ortes in seiner jüngeren Vergangenheit. Durch die nahe Stellung des Wohnblocks zur alten Kirche im ehemaligen Dorfkern wird der Umformungsprozess besonders eindrucksvoll ablesbar. Kirche und Wohnblock sind die städtebaulichen Dominanten im historischen Ortskern.
An der architektonischen Gestaltung des Wohnblocks ist klar ablesbar, dass es beabsichtigt war, dem Bauwerk eine prägende Rolle für das Ortsbild zu verleihen. Auch sollte er offensichtlich ein ansprechendes Pendant zum Böhlener Herrenhaus bilden, das leider 1979 abgerissen wurde. Der dreigeschossige Wohnblock ist breit gelagert und hat ein hohes Walmdach mit ausladendem Dachüberstand. Seine Fassaden tragen Rauputz. An den Schmalseiten sind Austritte angelegt. Von entscheidender Bedeutung für die Wirkung des Baues sind die Rundbogendurchfahrt in der Mitte und der spitze Dachreiter, durch dessen Kugelbekrönung das Gebäude den volkstümlichen Namen „Kugelhaus“ erhielt. Eine gestalterische Funktion hat auch der Klinkersockel, in den die Durchfahrt und die rückseitig gelegenen Hauseingänge rahmend eingeschlossen sind. Die Grünanlage, die sich vor dem Wohnblock ausbreitet, wurde mit dem Gebäude geplant und ausgeführt. Sie trägt zum städtebaulichen Wert des Wohnblocks in hohem Maße bei.
Die historische Bedeutung des Wohnblocks beschränkt sich nicht nur auf die Ortsgeschichte. Beginnend im 19. Jh. und dann verstärkt im 20. Jh. wandelte sich der ganze Leipziger Südraum zur Industrielandschaft für Bergbau und Veredlungsanlagen. Der Aufbau der neuen Industriezweige erforderte eine enorme Zuwanderung von Arbeitskräften, wodurch folglich viele weitere Ortschaften von gravierenden Veränderungen im Erscheinungsbild und in der Sozialstruktur betroffen waren. Doch beim Vergleich der Wohnbauten, die andernorts in dieser Epoche entstanden, zeigt sich, dass der Böhlener Wohnblock auch im regionalen Rahmen zu den herausragenden Architekturzeugnissen für den industriellen Umgestaltungsprozess zählt. Davon ausgehend muss das Bedeutungsfeld sogar noch etwas weiter abgesteckt und ein Aussagewert für die Bau- und Sozialgeschichte im Allgemeinen konstatiert werden. Massenwohnungsbau war eine charakteristische Bauaufgabe in der Zeit der Weimarer Republik. Soziale Aspekte wie preiswerte Mieten, Hygiene und Zweckmäßigkeit usw. spielten dabei eine wesentliche Rolle. In dem Wohnblock Karl-Marx-Straße 12-18 lassen sich diese sozialen Gesichtspunkte erkennen, z. B. an der Ausstattung der Wohnungen mit Bädern und Balkonen (Austritte). Es ist von zusätzlichem Interesse, dass die zeittypische Bauaufgabe Massenwohnungsbau hier in der speziellen Form Werkswohnungen dokumentiert wird.
Als eines der bedeutendsten Zeugnisse aus der Hauptphase des Umgestaltungsprozesses des Leipziger Südens zur Industrielandschaft hat das sogenannte Kugelhaus einen hohen und seltenen Dokumentationswert. Für die radikale Umformung einer ganzen Region mit massenhafter Neuansiedlung von Arbeitskräften in sehr kurzer Zeit gab es in Sachsen kein Vorbild. Der Wohnblock veranschaulicht exemplarisch, welch tiefgreifender Wandel für die betroffenen Ortschaften hinsichtlich der Bau- und Sozialstruktur damit verbunden war. Aus diesem Grunde ist er sowohl orts- als auch regionalgeschichtlich bedeutsam. Seine nicht alltägliche architektonische Gestaltung hebt ihn über andere Wohnbauten, die in jener Epoche im Leipziger Südraum entstanden, heraus; folglich kann auch damit der Seltenheitswert festgestellt werden. Die besondere, städtebauliche Stellung und Funktion, die der Wohnblock im Ortsbild hat und die ebenfalls seine Denkmalwürdigkeit begründet, ist oben beschrieben und erschließt sich dem Betrachter ohne Mühe.

(Nils Schinker, Landesamt für Denkmalpflege Sachsen)

Datierung:
  • Erbauung 1928–1929 (Kugelhaus)

Quellen/Literaturangaben:
  • --

Bauherr / Auftraggeber:
  • --

BKM-Nummer: 30100281

Kugelhaus

Schlagwörter
Ort
Böhlen
Fachsicht(en)
Denkmalpflege
Erfassungsmaßstab
Keine Angabe
Erfassungsmethode
Übernahme aus externer Fachdatenbank

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„Kugelhaus”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/BKM-30100281 (Abgerufen: 19. März 2025)
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